Einzigartig: 800 Jahre alte Tongeschirre gefunden
29.07.2022 Mellingen, Region ReusstalBeim Hexenturm ist seit zwei Wochen die Kantonsarchäologie am Graben. Sie fand den Beweis, dass die Parzelle früher überbaut war
Sie sind mit grobem Geschütz, wie Bagger, aber auch mit feinen Pinseln, Schaufeln und Staubsaugern zu Gange. Das Archäologie-Team ...
Beim Hexenturm ist seit zwei Wochen die Kantonsarchäologie am Graben. Sie fand den Beweis, dass die Parzelle früher überbaut war
Sie sind mit grobem Geschütz, wie Bagger, aber auch mit feinen Pinseln, Schaufeln und Staubsaugern zu Gange. Das Archäologie-Team gräbt sich bei der Parzelle vor dem Hexenturm Schicht um Schicht in die Tiefe. Dabei kam Erstaunliches zu Tage.
Bis vor Kurzem wuchsen auf der Parzelle vor dem Hexenturm Kohlrabis und Salat. Seit 1902 wurde diese Parzelle als Garten genutzt. Nun soll die Lücke beim Hexenturm an der Scheunengasse durch einen Neubau wieder geschlossen und überbaut werden. Die Kantonsarchäologie Aargau nutzt im Vorfeld zum Bauprojekt die einmalige Gelegenheit, auf dem Grundstück Grabungsarbeiten durchzuführen. «Es ist die letzte Möglichkeit in der Altstadt von Mellingen auf einem unbebauten Grundstück Ausgrabungen vorzunehmen. Das ist einzigartig und wird es so nicht mehr geben», sagt Reto Bucher, Leiter Untersuchung Mittelalter, von der Kantonsarchäologie Aargau. «Ausgrabungen, die bisher in der Altstadt von Mellingen durchgeführt wurden, können an einer Hand abgezählt werden.»
Funde bestätigen Geschichte
Nun wurde bestätigt, was bisher bekannt war. Die Parzelle war bis 1902 überbaut. Der Brand des Hexenturms und angrenzender Häuser war die grösste Brandkatastrophe in der Altstadt nach dem Stadtbrand von 1505. Die Grabungs-Equipe stiess am Grundstücksrand auf Reste der Stadtmauer und auf dem Grundstück auf Mauern von Gebäuden. «Alte Fotos zeigen, dass an dieser Stelle eine ganze Häuserzeile Opfer der Flammen wurde», sagt Bucher. «Die Häuser sind bis zur Grundmauer niedergebrannt.» Die Archäologen fanden nicht nur Grundmauern der Häuser, sondern stiessen noch auf viele Fundstücke. Diese schlummerten unentdeckt 120 Jahre unter einem Gemüsegarten. Nun werden sie ans Tageslicht geholt, werden gewaschen, nummeriert, dokumentiert und danach in Brugg in der Kantonsarchäologie für die Nachwelt aufbewahrt. «Wir haben 800 Jahre Alltagsgeschichte gefunden», sagt Bucher.
Tonscherben aus vorstädtischer Zeit
Was aber selbst die Archäologen vor Ort beeindruckte, war, dass sie Keramik-Scherben aus dem 12. Jahrhundert in einer kleinen Grube entdeckten. Auf so alte Funde zu stossen, überraschte. Sie weisen darauf hin, dass hier bereits vor dem Bau der Mellinger Altstadt im Jahre 1230/40 gesiedelt wurde.«Es sind die ältesten Funde der Ausgrabung. Anhand der Keramikstile wird das Alter ersichtlich. Die Stücke stammen sehr wahrscheinlich von vor der Zeit der Stadtgründung.»
Chronik aus 1548 zeigt bereits Haus
Es gab Hinweise, dass bereits vor dem Brand von 1902 die Häuserzeile an dieser Stelle in der Altstadt fehlte. Bei der Stadtansicht von Mellingen aus der Schweizerchronik von Johannes Stumpf von 1548 ist ebenfalls eine Lücke bei der Häuserzeile neben dem Hexenturm zu sehen. «Diese Aufzeichnungen sind mit Vorsicht zu geniessen», sagt Bucher. Nun wurden Hinweise gefunden, dass ein Teil der Häuserzeile später wieder aufgebaut wurde. Es wurde Geschirr aus der Zeit gefunden. «Man kann sich jetzt anhand der Fundstücke vorstellen, wie das Tongeschirr beim grossen Brand zu Bruch ging», sagt Bucher. Das Tongefäss sei zwar zerbrochen, aber fast vollständig. Es werde wohl nach der Reinigung wieder zusammengesetzt, bevor es archiviert wird. Im vorderen Teil der Ausgrabung wurde vor der Häuserzeile ein gepflasterter Gehweg entdeckt. Dazwischen lag eine Münze aus dem Jahre 1797. «Diese ist Zeugnis von Leben, das hier in Mellingen stattfand», sagt Bucher. «Die Münze ist wohl jemandem aus der Tasche gefallen.» Die Münzen werden bereits im Labor untersucht.
Ausgrabung läuft noch weiter
Nebst Keramik zeugen auch Tierknochen von Speiseabfällen, Eisenfunde oder Ofenkacheln aus dem 16./17. Jahrhundert von der Besiedelung auf der Parzelle. Alle Funde werden bis zum Abtransport in Harassen gestapelt. Die Grabungsarbeiten werden noch weitere zwei Wochen andauern. «Wir graben bis wir auf die natürliche Sandschicht stossen», sagt Bucher. Bereits parallel zu den Ausgrabungen werden die Bohrungsarbeiten für die Erdsonde des Neubauprojekts durchgeführt. Nachdem die Ausgrabungen abgeschlossen sind, werden die Bagger auffahren und mit dem Aushub für den Neubau beginnen. Nach 120 Jahren wird die Lücke in der Altstadt mit einem modernen Bau geschlossen. Die freigelegte Stadtmauer bleibt wohl erhalten, da sie hinter dem Neubau liegt.
Debora Gattlen