«Wir haben mit sieben Mädchen angefangen»
25.10.2022 Region ReusstalStiftungen in der Region: «Pro Diamantina» aus Remetschwil setzt sich für benachteiligte Mädchen und Knaben in Brasilien ein
Die Stiftung «Pro Diamantina» entstand 1994 auf private Initiative von Irene und Bernhard Bislin. Als Pensionäre machten sie sich ...
Stiftungen in der Region: «Pro Diamantina» aus Remetschwil setzt sich für benachteiligte Mädchen und Knaben in Brasilien ein
Die Stiftung «Pro Diamantina» entstand 1994 auf private Initiative von Irene und Bernhard Bislin. Als Pensionäre machten sie sich auf nach Brasilien, um bedürftigen Mädchen zu helfen. Rund 2400 Kinder profitierten.
Alles begann in den 1960er-Jahren mit einem beruflichen Aufenthalt von Bernhard Bislin in Brasilien. Er arbeitete als Elektroingenieur beim Kraftwerkbau am Rio Grande do Norte mit. Seine Frau Irene folgte ihm mit den beiden Söhnen. Vor Ort wurde die gemeinsame Tochter geboren. Sechs Jahre blieb die junge Familie, bevor sie in die Schweiz zurückkehrte: «Wir haben immer Kontakt zu unseren Freunden in Brasilien gehalten», erzählt Irene Bislin (86). Wir treffen sie mit Sohn Urs, heute Präsident der Stiftung, in Baden. Vater Bernhard (93) lässt sich altershalber entschuldigen. Während ihrer Zeit in Brasilien hätten sie die verheerenden Zustände im Land kennengelernt, erinnert sich Irene Bislin: «Je mehr man ins Landesinnere kommt, umso mehr sieht man, wie die einfachen Leute leben. Man spürt, dass vor allem die Kinder zu kurz kommen in der Ausbildung.» «Alkohol, Gewalt und Kriminalität sind omnipräsent. Die Väter sind meist nicht anwesend», ergänzt Urs Bislin. Die Armut sei allgegenwärtig.
Brasilien statt Generalabonnement
Nach der Pensionierung entschied sich das Ehepaar, das damals in Remetschwil lebte, mit seiner freien Zeit etwas Sinnvolles anzufangen: «Wir wollten noch etwas unternehmen und nicht ein Generalabo abschliessen», schmunzelt Irene Bislin. Mit nur zwei Koffern reisten sie nach Brasilien – und blieben acht Jahre. Das geeignete Projekt fanden sie in der Bergarbeiterstadt Diamantina. Dort existierte bereits ein Projekt für Waisenknaben: «Uns fiel auf, dass Mädchen und Frauen in Brasilien zweitrangig sind, da haben wir gesagt, wir machen etwas für die Mädels», sagt Irene Bislin. Die Idee, eine Tagesschule für Mädchen von sieben bis 17 Jahren zu gründen, kam bei den Behörden an, finanzielle Unterstützung konnte man aber nicht bieten. So kam es 1994 zur Gründung der staatlich anerkannten Stiftung «Pro Diamantina».
Bescheidene Anfänge
«Wir haben mit sieben Mädchen angefangen», berichtet die rüstige 86-Jährige. Später erhielten sie von der «Sociedade protetora di infançia» ein Grundstück, um eine Schule, die Villa Educacional de Meninas (VEM), zu bauen. Dort bekommen die Mädchen Nachhilfeunterricht, erhalten Schulmaterial und erlernen handwerkliche Tätigkeiten wie das Kochen, Nähen oder die Gartenarbeit. Doch zunächst geht es laut Urs Bislin um ganz grundlegende Fähigkeiten: «Wenn die Kinder zu uns kommen, müssen sie erst einmal entwurmt werden. Zähneputzen oder duschen kennen sie nicht.» In ihren Familien erlebten sie häufig Gewalt und Hunger. In der VEM erhalten die Mädchen einmal am Tag eine gesunde Mahlzeit und lernen zum ersten Mal «jemandem etwas Positives zu geben und zu empfangen». Dabei helfen Theater und Musizieren. Ausserdem erhalten sie therapeutische Unterstützung und werden auf den Beruf vorbereitet. Zwei Schülerinnen sind heute selbst Lehrerinnen an der Schule, einige studieren sogar. Heute unterstützt «Pro Diamantina» dank der Spenden aus der Schweiz über 100 Mädchen sowie weitere Projekte – auch für Knaben und Menschen mit Behinderung. «Wir freuen uns, dass es weiter geht», sagt Irene Bislin. Denn im Stiftungsrat engagiert sich mit Enkelin Julia bereits die dritte Generation.
Michael Lux Weitere Infos: diamantina.org



