So sah der Künstler Hans Trudel Mellingen
13.01.2023 Mellingen, Region ReusstalEin Holzschnitt des Badener Künstlers Hans Trudel (1881–1958) zeigt eine ungewöhnliche Stadtansicht aus den 1920er-Jahren
Trudi Berner postete den Druck mit der Stadtansicht von Mellingen auf Facebook – und erhielt begeisterte Reaktionen. Der Holzschnitt stammt vom ...
Ein Holzschnitt des Badener Künstlers Hans Trudel (1881–1958) zeigt eine ungewöhnliche Stadtansicht aus den 1920er-Jahren
Trudi Berner postete den Druck mit der Stadtansicht von Mellingen auf Facebook – und erhielt begeisterte Reaktionen. Der Holzschnitt stammt vom bekannten Künstler Hans Trudel, der im Städtli einst ein Atelier besass, wie Historiker Rainer Stöckli weiss.
Das Motiv habe ich so noch nirgends gesehen, da dachte ich, ich stelle es als Plausch rein», erklärt Trudi Berner, warum sie ein Foto des ungewöhnlichen Holzschnitts in der Mellinger Facebook-Gruppe teilte. Berner wirkt ein klein wenig erstaunt, dass sich die Zeitung für die ganze Geschichte interessiert – schliesslich werden auf den Sozialen Medien immer wieder aktuelle und historische Ansichten vom Städtli geteilt. Doch wie ihr, ging es offensichtlich noch anderen Mellingern, die das Motiv ebenfalls noch nicht kannten und spontan auf «Gefällt mir» klickten. Zum Druck selbst kann die 80-Jährige, die Anfang der 1960er-Jahre aus Konstanz nach Mellingen kam, nicht viel berichten: «Das hatte mein verstorbener Mann vor zehn Jahren gekauft», erinnert sie sich. Der Holzschnitt von Hans Trudel sei damals in der Zeitung ausgeschrieben gewesen. «Da hat mein Mann gesagt, da fahre ich mal hin und schaue mir das an». Schliesslich habe er das Werk für 600 Franken von einem privaten Verkäufer aus Neuenhof erstanden.
Kein unbekannter Künstler
Auch Städtli-Historiker Rainer Stöckli, dem der «Reussbote» ein Foto des Holzschnitts zukommen liess, kannte dieses spezielle Motiv bisher nicht – wohl aber den Künstler: «Der aus Ellikon (ZH) stammende Künstler machte sich als Maler, Zeichner, Grafiker, Bildhauer und Schöpfer von Holzschnitzereien einen Namen», so Stöckli. «Die meisten seiner plastischen Werke finden sich in Baden, wo Trudel lange Zeit wirkte, beispielsweise der Löwenbrunnen vor dem Stadtturm», weiss er. Das einzige in Mellingen existierende Werk des Künstlers sei jedoch die Löwenplastik an der Front des Hotel-Restaurants Löwen in der Hauptgasse.
Dabei hatte Hans Trudel, der dank eines Stipendiums sogar an der Akademie der Bildenden Künste in Wien studierte, laut Stöckli, von 1919 bis 1926 seine Werkstatt in den ehemaligen Gebäuden der Widenmühle am Grumetweg (heute Frigemo). In dieser Zeit muss auch das vom Künstler signierte Blatt entstanden sein, das auf 1923 datiert ist.
Historisches Zeugnis der Zeit
Dem geschulten Blick des Historikers fallen an der für heutige Zeitgenossen eher ungewöhnlichen Ansicht von Norden aufs Städtli interessante historische Details auf: «Rechts steht der Hexenturm, der mit einem Zinnenkranz endet. Das Spitzkegeldach brannte 1902 ab. Die ursprüngliche Form wurde erst 1951 rekonstruiert», so Stöckli. «Noch weiter rechts ist der Zeitturm sichtbar. Links schwingt sich die 1794 errichtete Holzbrücke über die Reuss. Diese musste 1927/28 der heute noch bestehenden Stahl-Beton-Brücke weichen», sagt der Historiker. Auch zu den Symbolen oberhalb der Stadtansicht weiss er etwas zu sagen: «Auf der linken Seite ist das alte Mellinger Kugelwappen angebracht, das 1934 vom heutigen Löwenwappen abgelöst wurde. Rechts unten sehen wir die Schlüssel des Juliusbanners, das Mellingen seit 1512 aufgrund von Privilegien durch Papst Julius II. führen durfte. Über dem Schiff flattert der Reichsadler», führt Stöckli weiter aus. Erstaunlich, was so ein kleines Kunstwerk bei entsprechendem Vorwissen so alles verrät. Trudi Berner, Wahl-Mellingerin, die sich schon lange im Städtli heimisch fühlt, gefällt das Bild ganz einfach. Daher hat es natürlich auch einen Ehrenplatz im Eingangsbereich: «Wenn man reinkommt, sieht man es sofort», schmunzelt sie.
Michael Lux