«Die Kapelle war ihrer Zeit voraus»
17.03.2023 Region ReusstalStiftungen in der Region: Die Elisabethen-Stiftung Nesselnbach bewahrt ein Kleinod moderner Architektur
1958 wurde die Heilig-Kreuz-Kapelle in Nesselnbach eingeweiht und eine Stiftung eingerichtet. Diese wurde im Andenken an die verstorbene Mutter des Stiftungsgründers Kurt Gratwohl ...
Stiftungen in der Region: Die Elisabethen-Stiftung Nesselnbach bewahrt ein Kleinod moderner Architektur
1958 wurde die Heilig-Kreuz-Kapelle in Nesselnbach eingeweiht und eine Stiftung eingerichtet. Diese wurde im Andenken an die verstorbene Mutter des Stiftungsgründers Kurt Gratwohl «Elisabethen-Stiftung» genannt.
Dort, wo sich heute die moderne Kapelle mit ihrem eigenwillig gezackten Schieferdach gen Himmel streckt, stand bereits früher eine winzige «Marie-Helferin-Kapelle». Sie war der Mutter Gottes geweiht und soll 1870 von Jacob Hubschmid-Stutz «aus einem Versprechen heraus» erbaut worden sein. So geht es laut Stiftungsratspräsident Adrian Gratwohl zumindest aus den handschriftlichen Aufzeichnungen der Nesselnbacherin Katharina Koch (1877-1965) hervor, die im Nachlass von Prälat Dr. Josef Meier gefunden wurden. Meier wohnte einst direkt neben der alten Kapelle. Er war es auch, der die Idee hatte, am selben Ort einen Neubau zu errichten. Der Legende nach soll er damals von einer Kapellen-Einweihung zurückgekommen sein und gesagt haben: «So eine schöne Kapelle möchte ich auch für Nesselnbach.» Dass es ein derart avantgardistisches Gotteshaus wurde, ist wohl dem Zürcher Bankdirektor Kurt Gratwohl zu verdanken, der Meier bei der Planung und Umsetzung unterstützte. Gratwohl war nicht nur mit Prälat Meier befreundet, sondern auch mit dem Architekten Hans Gübelin aus Luzern sowie dem Zürcher Bildhauer Emilio Stanzani. Letzterer fertigte das Bronze-Kruzifix sowie den Altar aus Muschelkalk in der heutigen Kapelle.
Eine Raketenabschussrampe?
Als Prälat Meier den Dorfbewohnern den für die damalige Zeit recht gewagten Entwurf von Gübelin vorstellte, gingen die Meinungen auseinander: «Die einen haben sich irrsinnig gefreut, die anderen haben es irrsinnig wüst gefunden», erzählt Adrian Gratwohl schmunzelnd. Von einer «Raketenabschussrampe» hätten manche Spötter gar gesprochen. Dennoch seien die Befürworter 1957 deutlich in der Mehrzahl gewesen. Ins selbe Jahr datiert auch die Stiftungsurkunde der «Elisabethen-Stiftung», die den Bau sowie den Unterhalt der künftigen Heilig-Kreuz-Kapelle als Zweck benennt. Federführend bei der Gründung war neben Prälat Meier ebenfalls Kurt Gratwohl: «Im Andenken an seine Mutter hat er die Stiftung Elisabethen-Stiftung genannt», erzählt Adrian Gratwohl, der Sohn des Stiftungsgründers. Finanziert wurde der Bau der 1958 eingeweihten Kapelle teilweise von den Dorfbewohnern selbst: «Man ist damals mit der Kasse von Tür zu Tür gegangen», so Gratwohl. Sein Vater habe ausserdem einen «guten Batzen» beigesteuert. Darüber hinaus trugen die Kirchgemeinde sowie weitere Sponsoren finanziell dazu bei, den modernen Kirchenbau zu realisieren. Dieser muss seinerzeit eine echte Sensation in der Region gewesen sein: «Bei der Einweihung waren einige Hundert Leute anwesend», berichtet der Stiftungsratspräsident, der heute zusammen mit Franziska Franzetti und Hugo Gratwohl, einem Grossneffen des Gründers, den Stiftungsrat bildet. Hugo Gratwohl kümmert sich gegen eine kleine Aufwandsentschädigung auch um die Pflege der Kapelle und dient als Sakristan. Die katholische Kirchgemeinde zahlt für den Unterhalt jedes Jahr einen Zuschuss an die Stiftung. 2001 wurde die Kapelle dann zum ersten Mal restauriert, wobei unter anderem das gesamte Dach aus Moselschieferplatten abgedeckt werden musste. Die Hauptsponsoren, welche der Stiftung dabei unter die Arme griffen, sind auf einer Bronzetafel am Eingang verewigt.
Beliebte Hochzeitskapelle
Aktuell kann aufgrund einer Vakanz im Pastoralraum leider nur einmal im Quartal ein Gottesdienst in der Kapelle stattfinden. Beliebt ist das Gotteshaus auch bei Auswärtigen – vor allem für Taufen und Hochzeiten. Die grosse Zeit erlebte die Kapelle in den 1970er-Jahren: «Zu Spitzenzeiten hatten wir 196 Hochzeiten im Jahr», berichtet Hugo Gratwohl. Jetzt sind die Zeiten etwas ruhiger. Doch die Stiftung, die vom Bischöflichen Ordinariat der Diozöse Basel beaufsichtigt wird, erfüllt weiterhin ihren Zweck. Und nachdem im vergangenen Jahr keine Hochzeit stattfand, steht just in der kommenden Woche wieder eine Trauung an.
Michael Lux
Serie: Stiftungen in der Region
Bisher erschienen:
«Pro Diamantina», Remetschwil; «Fischerhaus-Reuss-Stiftung», Mellingen; «Albert und Ida Nüssli-Stutz-Stiftung», Mellingen; Stiftung «Firmm», Mellingen; Stiftungen «Alte Kirche» und «Alte Mühle», Wohlenschwil.
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