Die tausend Teeschalen des Keramikers Bisang
31.03.2023 Mellingen, Region ReusstalHeinz Bisang bearbeitet in seinem Altstadthaus jede Schale als wäre sie eine Skulptur. Dennoch landet manche als Scherbe in der Mulde
Der Keramiker Heinz Bisang kennt Lebensphasen, wo er von Ton und Töpferscheibe pausierte. Seit einigen Jahren aber kreiert er mit grosser ...
Heinz Bisang bearbeitet in seinem Altstadthaus jede Schale als wäre sie eine Skulptur. Dennoch landet manche als Scherbe in der Mulde
Der Keramiker Heinz Bisang kennt Lebensphasen, wo er von Ton und Töpferscheibe pausierte. Seit einigen Jahren aber kreiert er mit grosser Leidenschaft japanische Teeschalen aus Ton.
Die japanischen Teeschalen werden ihn noch lange begleiten. Sie werden ihn erfreuen, überraschen, auch enttäuschen. Heinz Bisang spricht nicht von Schalen, sondern von «Chawan». So werden in Japan die Teeschalen genannt, aus welchen Matcha, der besonders starke japanische Grüntee getrunken wird. Diese Schalen bilden in der japanischen Teezeremonie das Herzstück.
Vor knapp vier Jahren hat der Keramiker, der mitten in Mellingen lebt, begonnen seine eigenen «Chawan» herzustellen. Über 300 Schalen hat er seither aus Ton mit seinen Händen geschaffen. Ein Vielfaches schwebt ihm vor. «Ich will tausend Schalen machen», sagt er. «Bis ich die eine, perfekte Schale habe.»
Der Ausschuss entsteht erst im Ofen
Noch hat er sie nicht. Aber einige Gelungene sind dabei. Und damit bewegt sich der Mellinger Keramiker, der seine Schalen im schmalen Altstadthaus produziert, durchaus in der Tradition der japanischen Keramiker, die erst nach Jahren eine hohe Fertigkeit erlangen und auch dann weiterhin viel Ausschuss produzieren. Für Letzteres können sie wenig. Denn der Ausschuss entsteht oft erst beim Brennen bei extremer Hitze durch Asche und Flammen in den grossen Öfen. Die Hitze kann das Gefäss verkrümmen, in Gefässwand oder Glasuren können Risse entstehen. Die Perfektion ist dahin. Und das alles ist reiner Zufall.
Die Schalen werden dadurch oft undicht, Tee trinken kann man daraus nicht mehr. «Das gilt es zu ertragen», sagt Bisang. Er nimmt eine Schale, betrachtet sie. «Sie ist sehr schön. Aber sie hat einen Riss in der Glasur.» Eine andere hat einen Riss in der Wand. Gut möglich, dass sie als Scherben in einer Mulde auf dem Mellinger Werkhof enden.
Wenn der Zufall regiert
Über 50 «Chawan» liess Bisang im letzten Herbst in einem Spezialofen im Emmental brennen. Drei bis vier dieser Schalen bezeichnet Heinz Bisang als «wirklich schön». Sechs Tage lang harrten die Schalen im Holzofen bei über 1000 Grad neben Gefässen anderer Kunstschaffender aus. Während dieser langen Brennzeit gelangt permanent Asche auf die Objekte, die im Idealfall wie eine Glasur auf dem Ton wirkt. Bisang spricht von «Wissenschaft» und davon, dass Vieles am Material liege. «Der Ton steht an erster, zweiter und auch an dritter Stelle», sagt er. Vieles sei der Tonmischung, die er selber knetet, geschuldet – den Mineralien im Lehm. «Material und Mischung sind ein ständiges Experiment.» Ein Experiment, das Heinz Bisang seit wenigen Jahren mit grosser Akribie verfolgt. Jede Schale wird minutiös skizziert, jede Skizze mit Angaben zur Tonmischung versehen. Es mag für den Keramiker ein Versuch sein, den Zufälligkeiten bei der Entstehung der Teeschalen auf die Spur zu kommen. Ist es die Mühe und das Geld auch wert? Die Antwort des Pensionierten ist eindeutig: «Diese Arbeit macht mich zufrieden und ausgeglichen.» Sie erfülle ihn. Anders als etwa beim Töpfern mit einer Drehscheibe, handle es sich beim Aushöhlen eines Stück Ton – so entstehen Bisangs «Chawan» – nicht um serielle Arbeit. Der Keramiker sagt: «Ich arbeite plastisch, stelle eigentlich Skulpturen her.»
Die Eltern hatten ihm abgeraten
Schon als Jugendlicher – als es um die Berufswahl ging – offenbarte er den Eltern in Luzern seinen Wunsch, Keramiker zu werden. Die Eltern hätten ihm abgeraten, sagt Bisang. Er fügte sich und absolvierte eine Lehre bei der damaligen PTT. Bisang wurde Betriebssekretär und arbeitete 16 Jahre lang auf dem Beruf. Daneben besuchte er den Vorkurs an der Kunstgewerbeschule in Luzern. In jeder freien Minute zeichnete er.
Schliesslich kündigte er bei der PTT und ging nach Bogotà, Kolumbien. Dort liess man ihn in einer Keramikfachklasse mitarbeiten. Als Heinz Bisang in den späten 1980er-Jahren in die Schweiz zurückkehrte, wurde ihm auf dem Mutschellen im Haus Morgenstern, einem Zentrum für erwachsene Menschen mit einer betreuungsintensiven Beeinträchtigung, die Leitung der Töpferwerkstatt angeboten. Als er nach 16 Jahren im Haus Morgenstern aufhörte, liess er die Keramik zehn Jahre lang ruhen.
Die Reise zur japanischen Teeschale
Erst im Herbst 2019 fand er zurück zum Ton. In einem Fachmagazin war eine Keramik-Reise ausgeschrieben. Ziel war, den «grossen, japanischen Brennöfen» zu folgen. Auf dem Programm standen auch Kyoto und Arita. «Auf dieser Reise hat es mir den Ärmel reingezogen», sagt Heinz Bisang, «meine Leidenschaft für die Keramik war von Neuem geweckt». Seither spezialisierte er sich auf das Herstellen der «Chawan», der Matcha-Schale.
Bisang übt sich dabei an einer besonderen Technik. Ein Tonblock, so gross wie die künftige Schale, wird zunächst an der Aussenseite bearbeitet. Dafür greift der Keramiker an seinem Arbeitstisch am Fenster nach einem Stück Holz und schlägt mit gezielten Bewegungen seitlich auf den Block ein. Die Maserung des Holzscheites hinterlässt im weichen Material Spuren. Erst wenn ihm das Muster gefällt, gibt Bisang dem Block mit einem Holzspatel an der Ober- und der Unterseite seine Form. Danach folgt der Fussring, dessen Gestaltung alles andere als banal ist. Denn an der Unterseite der Teeschale zeigt sich die Kunstfertigkeit des Keramikers. Heinz Bisang zeigt die Füsschen seiner eigenen Schalen. Kaum eines genügt seinen Ansprüchen. Wie aus einem Guss, aus wenigen Schnitten geformt, sollten sich diese Fussringe präsentieren.
Der Mellinger Keramiker wird noch eine Weile «Chawan» im schmalen Altstadthaus kreieren: Er wird in der Arbeit ausdauernd bleiben, anspruchsvoll und kritisch, ohne seinen Humor zu verlieren. Bis er tausend Teeschalen hat – darunter hoffentlich auch «die eine, perfekte».
Heidi Hess