Ausdrucksstark schreibt sie sich die Seele frei
20.05.2023 Mellingen, Region ReusstalMary Milanovic beschreibt in ihrem Buch «Gräber in meinem Kopf» nach ihrer Depression, was junge Menschen beschäftigt und quält
Im Eigenverlag hat die junge Frau ein Buch publiziert. Sie beschreibt darin, wie sie durch eine Erkrankung aus der Bahn geworfen wurde, ...
Mary Milanovic beschreibt in ihrem Buch «Gräber in meinem Kopf» nach ihrer Depression, was junge Menschen beschäftigt und quält
Im Eigenverlag hat die junge Frau ein Buch publiziert. Sie beschreibt darin, wie sie durch eine Erkrankung aus der Bahn geworfen wurde, wie sie ihre Depression bewältigte und wie sie ins Glück zurück fand.
Es muss raus, es muss weg, es muss endlich auf Papier. Ich bin wütend, ich bin stur, und es liegt nicht nur an mir», schreibt Mary Milanovic in ihrem kürzlich erschienenen Buch mit dem Titel «Gräber in meinem Kopf» – herausgegeben im Eigenverlag, illustriert von Natasha Rösli. Sie liefert damit einen von mehreren Gründen für die Motivation zu ihrem Erstlingswerk.
Die junge Frau, die in Niederrohrdorf aufgewachsen ist, studiert Kommunikations- und Medienwissenschaften, arbeitet als Journalistin und lebt heute in Mellingen. Milanovic schreibt sich Zorn, Wut und Trauer von der Seele. Sie tut dies nach einer schweren Erkrankung, gefolgt von einer Depression und auch, nachdem sie zahlreichen Geschichten von Freundinnen und Freunden zugehört hatte.
Mary Milanovic schreibt über Themen wie Betrug, Alkohol, Depression, Misshandlung, Vergewaltigung oder Suizid. Manches hat sie selbst erlebt, anderes wurde ihr zugetragen. «In diesem Buch erzähle ich nicht nur meine eigene Geschichte, ich erzähle auch diejenigen von Kolleginnen und Kollegen, Geschichten aus anderen Familien.» Absichtlich verfremdet sie die Personen. «Die Menschen hinter den Geschichten müssen nicht erkennbar sein», sagt die Autorin. «Ich wollte Themen öffentlich machen, Tabus brechen», sagt sie beim Gespräch in einem Mellinger Restaurant. Ihr gehe es darum, den Fokus auf Aspekte zu richten, die viele Jugendliche als bisweilen kaum erträgliche Herausforderungen in ihrem Alltag erleben.
Slam-Poetry, der ideale Stil
Mary Milanovic erzählt im Reim und mit Rhythmus. Denn die Form, die sie für ihren Text gewählt hat, ist Slam-Poetry. Slam-Poetry, weil sie dazu unter anderem bereits an der Bezirksschule Mellingen ein Wahlfach bei ihrer damaligen Klassenlehrerin Jasmin Schenk belegt hatte. «Das liegt mir», sagt sie. «Ich habe den Takt im Kopf, die Wörter auf der Zunge.» Gleichzeitig ermögliche diese Form der künstlerischen Verarbeitung, Schambarrieren zu verkleinern. «Rund um ein ernstes Thema gelingt es dank Slam-Poetry, das Eis zu brechen.» Zur Form gesellte sich später, während der Schuljahre an der Kantonsschule Baden, auch der Inhalt. Besonders ihr Deutschlehrer und ihr Englischlehrer hätten dem Thema «Mental Health», psychische Gesundheit, viel Gewicht beigemessen.
Milanovic ist heute 23 Jahre alt und schreibt «für alle, die kämpfen». Sie weiss, wovon sie spricht. Als bei ihr vor rund acht Jahren ein Tumor entdeckt wurde, der operativ entfernt werden konnte, musste sie selbst kämpfen. Sie fehlte monatelang an der Kantonsschule. Arbeiten, Bücher und Projektaufgaben wurden ihr nach Hause geschickt. «Die Lehrpersonen», sagt sie, «waren während dieser Zeit eine sehr grosse Unterstützung.» Sie erlebte danach eine depressive Phase, ein Spitalaufenthalt wurde nötig und auch eine Therapie. Mary Milanovic plädiert dafür, sich Hilfe zu holen, sich aus Opferrollen zu befreien. «Gerade Jugendliche», meint sie, «nutzen die Möglichkeit von Therapien zu wenig.» Sie jedenfalls quälte sich lange mit Selbstzweifeln, suchte ihre Identität.
Das Kapitel «Innerer Konflikt» zum Beispiel beginnt mit den Sätzen «Ich bin überall Ausländer, das ist nun mal so. Bin hier geboren, doch die Wurzeln sind anderswo.» Sie beschreibt, wie sie diesen Konflikt erlebt: «Dafür kann ich zwei Sprachen, aber keine perfekt. Hab das Fleissig-Sein vom Schweizer und den Respekt. Hab das Lebensfrohe und Lockere vom Serben, bin laut und direkt.» Sie nennt Dinge beim Namen: «Ich bin weder der pünktliche Stereotyp vom einen, noch der arbeitslose Drecksausländer vom anderen Land». Frage zu ihrer Identität und Herkunft könnten hingegen weder ein Pass noch der Name klären: «Und doch bestimmt der rote Pass nicht, wer ich bin, und das -ic am Ende des Namens nicht, was ich brauch.» In der Folge bleibt die Antwort schwierig, bleibt auch hier eine Frage: «Bin ich Teil dieses Landes oder werde ich nur ertragen, gezwungenermassen, einfach so angenommen, ohne zu fragen?»
«… Und wir sind toll.»
Ende März konnte Mary Milanovic ihr Buch in der Aula der Bezirksschule Mellingen vorstellen, auf Einladung ihrer damaligen Lehrerin Jasmin Schenk. Vier Passagen habe sie vorgelesen, ihre Texte seien vom Publikum sehr emotional aufgenommen worden, sagt sie. Sie habe viele positive Rückmeldungen erhalten, immer wieder auch ein «Dankeschön». Es sei ihr Bestätigung gewesen. «Mir geht es gut», sagt sie heute. Und in ihrem Buch fasst sie zusammen: «Wir sind so, wie wir sind. Und wir sind toll.»
Heidi Hess


