Die Zukunft der Gemeinde mitgestalten
05.05.2023 Niederrohrdorf, Region RohrdorferbergNach elf Jahren möchte die Gemeinde sich ein neues, zukunftsträchtiges Leitbild geben. Erster Schritt: ein Workshop
Nicht im stillen Kämmerlein, sondern in einem demokratischen Prozess soll das neue Leitbild entstehen. Die Grundlage bildet ein Workshop, bei dem am Samstag 40 ...
Nach elf Jahren möchte die Gemeinde sich ein neues, zukunftsträchtiges Leitbild geben. Erster Schritt: ein Workshop
Nicht im stillen Kämmerlein, sondern in einem demokratischen Prozess soll das neue Leitbild entstehen. Die Grundlage bildet ein Workshop, bei dem am Samstag 40 Personen aus verschiedenen Bevölkerungs- und Altersgruppen miteinander diskutierten.
Immerhin 40 der 55 vom Gemeinderat vorgeschlagenen und angeschriebenen Gäste nahmen die Einladung zum «World Café» an. Die Mitglieder einer Referenzgruppe, bestehend aus Vertretern möglichst vieler Bevölkerungsgruppen, darunter Jung und Alt, Gewerbetreibende sowie Vereinsmitglieder und Parteigänger unterschiedlicher Couleur, sollten stellvertretend Ideen für das neue Leitbild entwicklen («Reussbote», 3. März). «Ich finde es gut, dass das Leitbild nicht einfach vom Gemeinderat geschrieben wird», sagt Daniel Fassbind, der seit fünf Jahren in Niederrohrdorf wohnt. «Ich finde es ebenfalls super, dass man das macht – und Stimmen aus allen Lagern einholt», sagt Grossrat Michael Notter (Die Mitte). Und auch die fünfzehnjährigen Schülerinnen Rhiana Molpeceres und Lisa Greder finden es spannend, dass hier so verschiedene Leute zusammenkommen.
Speed-Dating statt Kaffeekränzchen
Dann gilt es ernst: Hector Herzig und Liliane Girsberger von der Organisationsberatung «Herzka», die die Leitbildentwicklung im Auftrag der Gemeinde begleiten, erklären den Ablauf: Als Erstes wird durchgezählt – und zwar auf neun. Genauso viele Stationen mit Flipcharts sind in der Mehrzweckhalle im Rüsler verteilt. Eine zehnte ist für freie Ergänzungen unter dem Motto: «Was ich noch sagen wollte», reserviert.
Die zufällig zusammengewürfelten Kleingruppen, sollen an den Stationen einbringen, was ihnen beim jeweilien Thema besonders am Herzen liegt. Gefragt sind: «Dorfentwicklung», «Leben und Wohnen», «Bildung», «Natur und Umwelt», «Vereine, Kultur und Freizeit», «öV und Verkehr», «Gewerbe und Arbeit» sowie «Soziales und Gemeinschaft» und «Finanzmanagement». Ein ganz schönes Programm für einen dreistündigen Workshop. Deswegen gibt Herzig auch ein Zeitlimit von zehn Minuten vor – dann wird durchgewechselt, bis jede Gruppe alle Stationen durchlaufen hat. «Es geht um Entwicklung, den Blick in die Zukunft und strategische Gedanken», gibt er den Teilnehmenden noch mit auf den Weg, während diese bereits zu ihrer jeweiligen Station pilgern.
Die dortigen «Gastgeber» setzen sich aus Mitglieden des Gemeinderats sowie der Verwaltung zusammen: «Welche Themen sind für unsere Gemeinde am wichtigsten?» will Claudio Stierli, Geschäftsleiter der Gemeindekanzlei wissen. Nach kurzem Zögern, macht einer den Anfang: «Eigenständigkeit und Natur bewahren», wirft er in die Runde. Das Eis ist gebrochen. «Bewahren», dieser Begriff wird noch häufiger fallen. Eines der Hauptthemen des Tages, das sich wie ein roter Faden durch alle Themengebiete zieht, zielt in dieselbe Richtung: Soll die Gemeinde noch weiter wachsen – und wenn ja, wie kann dabei der dörfliche Charakter erhalten bleiben? «Ich habe das Gefühl, es wird unpersönlicher, umso grösser das Wachstum ist», findet eine Teilnehmerin. «Das gehört zur Agglomeration», meint hingegen ein anderer, den etwas mehr Anonymität gar nicht stören würde. Damit scheint er aber in der Minderheit.
Ein attraktiveres Dorfzentrum mit ansprechenden Restaurants, Cafés und Geschäften sowie Begegnungszonen für alle Altersgruppen, wünschen sich hingegen die meisten Teilnehmenden. Egal, ob Pub, Boccia-Bahn oder ein schöner Park an der Büntwiese: «Es ist das Zentrum, wo mehr Leben rein müsste», bringt es eine Teilnehmerin auf den Punkt. Gleichzeitig sollen Wohnen und Arbeiten näher zusammenrücken. Dafür soll das «richtige Gewerbe» gefördert und gezielt angesprochen werden. Mehr Räumlichkeiten für Co-Working, lautet ein Vorschlag, am besten unter demselben Dach wie die Schüler.
Eine Vision, die wohl nicht so einfach zu realisieren sein dürfte. Schliesslich mangelt es akut an Schulraum. Ein weiteres Thema, das den Menschen offensichtlich unter den Nägeln brennt und das immer wieder in den verschiedenen Gruppen aufpoppt: «Dass es langsam ein Schulhaus gibt, statt Containern», wünschen sich naturgemäss die Schülerinnen. Und auch bei Gemeinderat Kevin Van, der Gastgeber bei der Station «Bildung» ist, ist das natürlich Dauergesprächsthema, neben Tagesstrukturen, einer Aufgabenhilfe für benachteiligte Kinder oder einem öV-Rundkurs für die Schule. Wobei wir mitten im Thema «Verkehr» wären. Hier scheiden sich am ehesten die Geister. Tempo 30, eine durchgehende Veloroute oder doch ein besserer Anschluss an die Autobahn? Und bei alldem soll der Umwelt natürlich Sorge getragen werden, darüber sind sich zumindest die meisten Teilnehmenden einig. Und die wollen, einmal warmgelaufen, am Ende gar nicht mehr aufhören zu diskutieren, als Hector Herzig die Debatte offiziell beendet.
Verdichten und konkretisieren
Herzig und sein Team sind wahrlich nicht zu beneiden, all die Vorschläge, Ideen und Visionen unter einen Hut zu bekommen. Wobei es im ersten Schritt noch nicht um konkrete Projekte geht, sondern darum, die wichtigsten Themen für das neue Leitbild herauszufiltern. «Clustern» nennt Herzig das. Die Ergebnisse werden dann zusammen mit einer «Steuergruppe», bestehend aus Gemeinderat und den Gemeindekadern, weiter verdichtet. Dann kommen zunächst wieder die Workshop-Teilnehmenden zum Zug. Sie können sich zum Vorergebnis als einer Art «Vernehmlassung» äussern. «Ziel ist es, das Leitbild im Dezember zu verabschieden», erklärt Herzig und betont, das Leitbild sei als das «oberste strategische Element» gedacht. Im ersten Quartal 2024 solle daraus jedoch ein konkreter Massnahmenkatalog für den Gemeinderat entstehen. Ein langer Prozess, den anzustossen sich laut Frau Gemeindeammann Gisela Greder jedoch jetzt schon gelohnt hat. Ihr Eindruck am Ende des Vormittags ist äusserst positiv: «Die Leute haben sich stark eingebracht. Mit persönlich hat es viel Energie gegeben und Motivation weiterzumachen.»
Michael Lux


