Vom Bauernmädchen zur erfolgreichen Wirtin
02.06.2023 Mellingen, Region ReusstalZum 90. Geburtstag von Ruth Gimmi, ehemalige Wirtin im Restaurant Linde
Heute Freitag feiert im Alterszentrum Im Grüt Ruth Gimmi ihren 90. Geburtstag. Die ehemalige Linden-Wirtin erfreut sich, ausser einer Sehund Hörbeeinträchtigung, bei bester Gesundheit und blickt auf ein ...
Zum 90. Geburtstag von Ruth Gimmi, ehemalige Wirtin im Restaurant Linde
Heute Freitag feiert im Alterszentrum Im Grüt Ruth Gimmi ihren 90. Geburtstag. Die ehemalige Linden-Wirtin erfreut sich, ausser einer Sehund Hörbeeinträchtigung, bei bester Gesundheit und blickt auf ein arbeitsames, reiches Leben zurück.
Sie gab dem legendären Kalbsgeschnetzelten seinen Namen. Zu Zeiten des Restaurant Linde hiess es Kalbsgeschnetzeltes mit Rösti. Es war dann die Idee der Karnemellipserzunft Mellingen anlässlich eines Stadtfestes, dieses legendäre Gericht wieder aufleben zu lassen. Ruth und Alfred Gimmi waren längst nicht mehr auf der Linde, der Ruf ihrer legendären Spezialität hallte aber immer noch nach. Die Mellinger Zunft führte am Stadtfest eine Beiz und servierte das «Geschnetzelte à la Ruth». Über 2000 Portionen wurden verspiesen. Noch viele Jahre danach servierten die Zünftler das beliebte Geschnetzelte und in der Küche des kath. Vereinshauses rührte Ruth Gimmi in den Kochtöpfen. Das Rezept dazu hatte sie von Marie Baumgartner, die in der Linde mehrere Jahre kochte. Kalbfleisch, mit Rahmsauce, Paprika und Curry. «So hat es Marie Baumgartner gemacht und so habe ich es später immer nachgekocht», sagt Ruth Gimmi.
Die Übernahme der Linde
Ruth Gimmi ist in der Region aufgewachsen, zuerst in Niederrohrdorf, danach in Mellingen. Ihr Vater war Landwirt und Pächter auf mehreren Betrieben. «Als etwa die gefühlte vierte Pacht gekündigt war, sagte meine Mutter, dass sie keinen Bauernbetrieb mehr führen möchten». An der Bruggerstrasse führte sie dann ein «Spezereilädeli». Ruth Maurer, wie sie damals ledig hiess, besuchte die Schulen in Mellingen, unter anderem bei der legendären Fräulein Weiss. Danach arbeitete sie ein Jahr als Spuhlerin in der damaligen Argovia, später zog es sie in die Westschweiz. Schon damals kam ihr zugute, dass sie eine gesellige und sprachgewandte junge Frau war. Zurück in der Deutschschweiz war sie im Modehaus Bissegger Verkaufsfachfrau, ehe sie ins Gastgewerbe wechselte. Sie arbeitete im Zürcher Belvoirpark, danach in der Seerose in Meisterschwanden. Im Jahre 1953 heiratete sie Alfred Gimmi, zwei Jahre später übernahmen sie das Restaurant Linde in Mellingen nach einem grösseren Umbau. Damals sah das Restaurant anders aus, dazu gehörte zum Beispiel auch das freistehende Häuschen (Wöschhüüsli), in dem sich die Fussballer über eine lange Zeit umkleideten und duschten. Ruth Gimmi erinnert sich noch ganz genau an die Eröffnung des Restaurants Linde. So, als wäre es erst gestern gewesen. An der Türe hing ein Zettel: Samstagabend 8 Uhr nach Umbau Eröffnung. Im Nu war das Restaurant gestossen voll. Eine Speisekarte hatte es am ersten Tag noch nicht, der erste Gast verlangte prompt die Karte. Ruth Gimmi konnte ihm keine aushändigen und auch seinem Wunsch nach Pommes frites konnte nicht entsprochen werden. «Wenn ich heute zurückdenke, war es keine einfache Zeit. Ich hatte immer sehr gute und langjährige Angestellte, ich war froh um sie.»
Take-away in den 1960er-Jahren
Gimmis führten über viele Jahre Metzgerei und Restaurant. Ihr Mann Alfred war Metzger, sein Bruder Max führte die Metzgerei und Ruth war die weitherum geschätzte Linden-Wirtin. Schon anfangs der 1960er-Jahre führte Ruth Gimmi eine Art Takeaway ein. Sie bot einen Menüservice im Körbchen an. Tellerservice gab es damals noch nicht, es gab Plattenservice. Und wer die damalige Menükarte studiert, dem fällt auf, dass es ausschliesslich Fleischgerichte gab. Beilagen zu diesen waren erhältlich, musste man aber nachfragen. Von vegetarischen und veganen Gerichten sprach zu dieser Zeit noch niemand. Und wenn doch, suchte man vergebens nach ihnen. Bis zu 30 Mittagessen gingen über den Tresen, eine stattliche Anzahl.
Jassen in der Linde
In der Linde trafen sich nicht selten die Jasser. Auch Ruth Gimmi spielte das in der Schweiz beliebte Kartenspiel. Oft half sie aus, wenn im Restaurant gerade mal ein Jasser fehlte. Und als in Mellingen der Mittwochjass (damals hiess er noch so, heute nennt sich die Jasssendung Donnschtig-Jass) Halt machte, qualifizierte sich Ruth Gimmi nicht nur für die Teilnahme, sie war an diesem Abend, der im Fernsehen übertragen wurde, sogar Jasskönigin. Und einmal, erinnert sich die ehemalige Lindenwirtin, habe sie mit Pfarrer Baur bis morgens um 3 Uhr gejasst.
«Wir hatte gute und sehr treue Gäste», blickt Ruth Gimmi dankbar zurück. Damals gab es in Mellingen noch 13 Restaurants. Jedes Lokal hatte seine Gäste. Die Wirte waren untereinander nicht neidisch. «Wir mochten den anderen auch etwas gönnen.» Hin und wieder wurde es auch etwas später, als es die offizielle Polizeistunde erlaubte. Gimmi erinnert sich: «Wir waren eine glatte Jass-Runde, als der Dorfpolizist zur Polizeistunde kam. Jeder legte einen Fünfliber auf den Tisch, der Polizist schrieb die Quittungen und die Überhöckler lenkten ihn ab, nahmen die Fünfliber wieder in den Sack und spielten weiter
Nach der Frühpension viel auf Reisen
Ruth Gimmi war 51, ihr Mann Alfred 60 Jahre, als sie die Linde verkauften. Ihre beiden Söhne Herbert und René waren nicht bereit, Metzgerei und Restaurant weiterzuführen. «Für mich war es zu früh», sagt René Gimmi. «Das war für die Eltern wohl ein harter Schlag», so René Gimmi weiter. «Aber im Nachhinein war es der richtige Entscheid.» Gimmis verkauften Restaurant und Metzgerei an Hardy Stehli, der die Metzgerei weiterführte und die Linde verpachtete.
Ruth und Alfred Gimmi wohnten danach in einer Attikawohnung im Gheid und gingen viel auf Reisen. «Wir hatten eigentlich nie Freizeit, nach der Frühpensionierung holten wir dies nach.» Vor 18 Jahren zügelten Ruth und Alfred Gimmi ins Alterszentrum (in den Wohntrakt), wo sie heute noch lebt. Ich bin seit der ersten Stunde im Alterszentrum Im Grüt. Und heute Freitag darf Ruth Gimmi zusammen mit Familien und Freunden im Restaurant des Alterszentrums Im Grüt ihren 90. Geburtstag feiern. Dazu gratuliert auch der «Reussbote» ganz herzlich und wünscht der ehemaligen Lindenwirtin noch viele schöne Stunden im Kreise der Familie und Freunden.
Benedikt Nüssli



