Bei Indianapolis ist man buchstäblich mittendrin
04.08.2023 Region ReusstalOldtimer: 4500 Zuschauer kamen zu «Indianapolis», der grossen Show mit historischen Rennfahrzeugen auf der offenen Rennbahn in Zürich-Oerlikon
Über 60 historische Rennfahrzeuge donnerten vergangene Woche über die altehrwürdige Radrennbahn in ...
Oldtimer: 4500 Zuschauer kamen zu «Indianapolis», der grossen Show mit historischen Rennfahrzeugen auf der offenen Rennbahn in Zürich-Oerlikon
Über 60 historische Rennfahrzeuge donnerten vergangene Woche über die altehrwürdige Radrennbahn in Zürich-Oerlikon. Mit dabei: allein 15 Teilnehmer aus dem Aargau, davon auch mehrere aus der «Reussbote»-Region.
Plötzlich wird es laut. Motoren werden angeworfen, es röhrt, knallt und sprotzelt aus allen Ecken des Fahrerlagers. Benzingeruch mischt sich mit dem Geruch von Gebratenem, der von den Imbissbuden herüberweht. Der Zuschauer ist mittendrin im Getümmel, muss schon mal zur Seite springen, wenn einer der historischen Boliden sich seinen Weg durch die Menge Richtung Startlinie bahnt. Dass man bei «Indianapolis in Zürich-Oerlikon» vor und während der Fahrdurchläufe so nah an Fahrer und Fahrzeuge herankommt, ist eine der Besonderheiten der traditionsreichen Oldtimer-Veranstaltung – natürlich abgesehen von der ungewöhnlichen Location, dem Oval der selbst bereits über 100 Jahre alten Radrennbahn. Schon lange vor dem Start drängen sich Besucher jeden Alters und Geschlechts um die über 60 historischen Rennwagen, Motorräder und Gespanne. Da wird fotografiert und gefachsimpelt, was das Zeug hält. Bereitwillig beantworten die Fahrer Fragen zu ihren heissgeliebten Schätzchen, von denen die Ältesten aus der Vorkriegszeit stammen, die Jüngsten aus den 1970er und 1980er-Jahren. Und natürlich hat jeder «Oldie» seine ganz eigene Geschichte, die erzählt werden will.
Die Kaufmann-Buben sind bekannt
Mitten im Gewühl treffe ich auf Georg Kaufmann aus Niederrohrdorf. Er hat die Veranstaltung 2002 mit aus der Taufe gehoben und zeichnet zusammen mit seinem Bruder Jo aus Remetschwil sowie Fahrleiter Karl Marty verantwortlich für die Organisation des Events. «Wir haben Freude an alten Fahrzeugen, an denen man schrauben und schaffen kann», erklärt Kaufmann seine Leidenschaft für historische Fahrzeuge, der der pensionierte Unternehmer schon seit den 1990er-Jahren frönt. «Das macht mehr Spass als das moderne Zeug», findet er. Ehrensache, dass der Achtzigjährige sich an diesem herrlichen Sommertag ebenfalls am Steuer seines Lagonda M-45 Le Mans von 1934 auf die 333 Meter lange Rundstrecke wagt: «Der gleiche Typ hat 1935 das 24-Stunden-Rennen in Le Mans gewonnen», erzählt Kaufmann. Stolze 180 km/h Spitze macht der Vorkriegsrenner, mit dem er bereits neun Mal die «Mille Miglia», das berühmte italienische Langstrecken-Strassenrennen, bestritt.
Teilnehmer brauchen Erfahrung
Auch wenn es sich bei «Indianapolis» in Oerlikon streng genommen nicht um ein echtes Rennen, sondern eher um eine fahrende Oldtimer-Ausstellung handelt: So ganz Ohne ist die Strecke mit einer Kurvenneigung von 44,5 Grad nicht: «Es ist eine extreme Belastung für Fahrzeug und Fahrer», weiss Kaufmann. Auf die Fahrer wirkten dabei starke G-Kräfte. Das bestätigt auch Jo Kaufmann (75), der mit seinem Bruder Kurt (74) wenige Zeit später zu uns stösst: «Wir können nicht jeden nehmen», sagt Jo. Weil die Strecke gerade für Motorradfahrer besonders anstrengend sei, nehme er in der Töff-Kategorie nur Fahrer, die auch sonst auf Rennstrecken unterwegs seien. Er selbst hat jede Menge Erfahrung und ist seit 1968 in ganz Europa mit dem Motorrad unterwegs. Auch Kurt Kaufmann hat – wie die beiden älteren Brüder – Benzin im Blut: «Ich bin in den 1970er-Jahren international bei Seitenwagenrennen gefahren», berichtet er. Bei Indianapolis setzt Kaufmann aber auf drei Räder. Er fährt einen Morgan Threewheeler (1930) mit Zweizylinder-Motor des Motorenherstellers «J.A.P». Sein Fahrzeug stammt aus Liverpool und kommt aus der englischen Rennszene: «In der Schweiz ist das ein Unikat. So schnell wie der ist keiner», sagt Kaufmann über seinen Morgan, an dem er selbst gerne Hand anlegt. Die beiden jüngeren Kaufmann-Brüder sind die Schrauber in der Familie: «Ich mache alles selbst», erklärt Jo Kaufmann. Selbst die Ersatzteile muss er bei den Oldtimern teilweise selbst herstellen, weil schlichtweg keine mehr zu finden seien.
Ums Suchen und Finden dreht sich auch bei Alain Rüede von «Dream Cars» aus Niederwil alles: «Ich suche ganz spezielle Rennfahrzeuge und bringe sie zur Le Mans Classic oder zum Goodwood Revival», erklärt er sein Geschäftsmodell, das aber vielmehr Passion ist. In seinem Show-Room in Niederwil stellt er seltene Oldtimer und Rennwagen mit Historie aus: «Wir verkaufen aber nur so viel, dass wir davon leben können», erklärt Rüede. Wichtig sei bei den Autos die Geschichte und die Dokumentation. Klar, dass auch der 400 PS starke Allard J2 mit 6-Liter-Motor von Cadillac, mit dem Rüede an den Start geht, eine schillernde Renngeschichte aufweist. Das englische Fahrzeug mit amerikanischem Motor fuhr von 1954 bis 1958 an der Westküste der USA die Konkurrenz in Grund und Boden und gewann in dieser Zeit 25 Rennen. Die Namen der wichtigsten prangen in weissen Lettern auf der Flanke des schwarzen Racers.
Ein besonderes Erlebnis
Aber nicht nur, wer selbst einen Oldtimer besitzt oder in der Szene aktiv ist, hat Spass an «Indianapolis». Schon die Kleinsten, die mit Eltern oder den Grosis zwischen den historischen Fahrzeugen flanieren, machen grosse Augen. Und spätestens als sich die «Rädli» zu drehen beginnen, die Motoren heulen und sich in den Benzingeruch der von verbranntem Gummi mischt, geht jedem das Herz auf, der auch nur einen Tropfen Benzin in seinen Adern spürt. Während die tollkühnen Männer und Frauen in ihren fliegenden Kisten knatternd ihre Runden drehen und sich mutig in die Steilkurven werfen, fühlt man sich zurückversetzt in die Goldenen Zeitalter des Rennsports. Jo Kaufmann bingt es auf den Punkt: «Das ist einzigartig, das gibt es sonst nicht.»
Michael Lux