Gemeinderat und Verwaltung sind gefordert
25.08.2023 Birrhard, Region ReusstalEine kurdische Familie aus dem Irak weigerte sich vorerst, eine ihr zugewiesene Wohnung zu beziehen
Die Gemeinde Birrhard muss wie jede andere Gemeinde im Aargau ein Kontingent an Asylsuchenden aufnehmen. Der Kanton wies der Gemeinde eine Familie zu. Diese wollte vorerst die Wohnung nicht ...
Eine kurdische Familie aus dem Irak weigerte sich vorerst, eine ihr zugewiesene Wohnung zu beziehen
Die Gemeinde Birrhard muss wie jede andere Gemeinde im Aargau ein Kontingent an Asylsuchenden aufnehmen. Der Kanton wies der Gemeinde eine Familie zu. Diese wollte vorerst die Wohnung nicht beziehen. Das fordert Gemeinderat und Verwaltung.
Familie verweigerte Wohnungsbezug», schrieb der «Reussbote» in seiner Ausgabe vom letzten Freitag. Der Fall in Birrhard zeigt auf, wie Behörden und Verwaltung auf Bundes-, Kantons- und Gemeindeebene mit der schwierigen Situation im Asylwesen schnell überfordert sind. Vor allem kleinere Gemeinden stossen an ihre Grenzen, wenn die Zuweisung nicht planmässig verläuft. «Wir haben eine Verwaltung mit 150 Stellenprozenten, sind dort an allen Ecken und Enden gefordert mit einer grösseren Überbauung im Dorf», sagt Vizeammann Gaudenz Lüchinger (SVP). Er ist zuständig für die Unterbringung der irakischen Familie. «Informationen vom Kanton kamen keine, wir wussten nur, dass am 16. August eine Familie anreist.» Der Kanton kannte die Grösse der Wohnung, er teilte die Familie uns zu, so Lüchinger weiter. Birrhards Vizeammann weist darauf hin, dass er und seine Kollegen Milizpolitiker seien. Zum Glück kann er aufgrund seiner Pensionierung die notwendige Zeit dafür aufbringen. «Ich bin derzeit an allen Ecken und Enden gefordert», sagt Lüchinger. Unterbringung, Information der Anwohner und Nachbarn, Bestellung der Swisspässe, Hausordnung, Waschmaschine und Regeln erklären und übersetzen für die Familienmitglieder, Koordination mit Schulen und Kursen, Papiere, Medienanfragen und vieles andere mehr.
Beim Kanton weiss man um die Probleme in Birrhard. Das Departement habe sich bei Lüchinger entschuldigt, dass nicht alles wie gewünscht abgelaufen ist. Auf Nachfrage des «Reussbote» schreibt Michel Hassler, Leiter der Kommunikation beim Departement Gesundheit und Soziales: «Dem Kantonalen Sozialdienst (KSD) ist bekannt, dass es im Rahmen einer Verlegung zu Unzufriedenheit bei der von der Verlegung betroffenen Familie gekommen ist. Verlegungen sind häufig mit Emotionen verbunden, die verarbeitet werden müssen (was auch Zeit in Anspruch nehmen kann). In der Regel können im Gespräch die beidseitigen Erwartungen geklärt und eine Lösung gefunden werden. Das ist auch in diesem Fall das Ziel. Grundsätzlich erwartet der KSD, dass die Familie die ihr von der Gemeinde zugewiesene Wohnung bezieht. Der KSD war vor Ort, ist weiterhin in Kontakt mit der Gemeinde und steht ihr beratend zur Seite.»
Ist diese Wohnung zumutbar für eine siebenköpfige Familie?
Die Berichterstattung in den Medien über die Probleme in Birrhard schlug hohe Wellen. Einige finden, dass es eine Zumutung sei, eine siebenköpfige Familie in einer 3 ½-Zimmer-Wohnung unterzubringen. Die Privatsphäre sei nicht gewährleistet, vor allem bei jungen Erwachsenen. Das führe schnell zu Konflikten. Andere wiederum finden, dass die Anspruchshaltung dieser Familie fehl am Platz ist und dass diese Wohnung zumutbar sei. So auch Birrhards Vizeammann Gaudenz Lüchinger. «Die Wohnung ist zweckmässig und schön eingerichtet. Es ist durchaus möglich, dass sieben Personen dort leben können.» Lüchinger kennt die Situation, in seinem näheren Bekanntenkreis, als eine kurdische Familie aus Syrien in die Schweiz flüchtete. Nach der Flucht waren sie zu viert in einer 2-Zimmer-Wohnung. Wenig Verständnis hat Lüchinger für die gestellten Ansprüche wie z. B. ein zweiter Kühlschrank. Ein W-Lan wird demnächst eingerichtet, nach Bedarf wird ein weiterer Kleiderschrank besorgt.
Die irakische Familie ist in einem Mehrfamilienhaus mit vier Parteien untergebracht. Lüchinger sagt: «Wir fühlen uns alleine gelassen, wir hatten keine Informationen.» Ende Juli erhielt die Gemeinde die Information, dass ihr eine Familie aus dem Irak zugewiesen werde. Die kurdische Familie hat von ihrer Verlegung am Vortag erfahren und reiste mit öffentlichen Verkehrsmitteln an. «Wir haben keine Ahnung, was die Familie gemacht hat, von wo sie geflüchtet ist, weshalb sie geflüchtet ist. Wir haben auch keine Papiere erhalten.» Die Unterlagen sind im Bundesasylzentrum. «Ich habe das Gefühl, Bund und Kanton sind überfordert und überlastet», so der Vizeammann. Lüchinger ist es wichtig, dass die Bevölkerung weiss, mit welchen Problemen sich Behörden und Verwaltungen auseinandersetzen müssen.
Nach der Ankunft der Familie weigerte sie sich vorerst, die Wohnung zu beziehen. Erst später, als Lüchinger und Gemeindeschreiberin Jennifer Steinlechner den Ort verliessen, bezog die Familie die Wohnung und richtete sich darin ein. Lüchinger sagt, die Kommunikation mit der Familie ist schwierig. Mit den zwei jüngeren Mädchen könne man sich auf Deutsch einigermassen verständigen. Die restlichen Familienmitglieder sprechen lediglich den Dialekt Kurmandschi.
Benedikt Nüssli
Der «Reussbote» unterhielt sich mit der kurdischen Familie. Lesen Sie den Bericht auf Seite 3