Schieflage nach Wechsel in der Leitung
15.08.2023 Tägerig, FreiamtIn einem Brief an die Mitglieder des Altersheimvereins informiert der Vorstand über ernste Probleme
Das Seniorenzentrum in Tägerig hat vier schwierige Jahre hinter sich. Nach mehreren Wechseln in der Leitung schreibt das Heim rote Zahlen und geht nun über die Bücher. Das ...
In einem Brief an die Mitglieder des Altersheimvereins informiert der Vorstand über ernste Probleme
Das Seniorenzentrum in Tägerig hat vier schwierige Jahre hinter sich. Nach mehreren Wechseln in der Leitung schreibt das Heim rote Zahlen und geht nun über die Bücher. Das sorgt für Unruhe.
Probleme mit dem Seniorenzentrum», lautet die Überschrift eines Informationsschreibens, das die Mitglieder des Altersheimvereins Tägerig Mitte Juli erhielten. Unterzeichnet hat das Schreiben im Namen des Vereins dessen Präsident Willi Gloor. In diesem Brief – er wurde von unbekannter Hand auch in den Briefkasten des Reussboten gelegt – erfahren die Vereinsmitglieder von «unvollständigen Reorganisationen und gestiegenem Personalbestand» im Seniorenzentrum. «Als Folge davon wirtschaftete das Heim in den letzten vier Jahren arg defizitär.» Der Vorstand kommunizierte die Verluste jeweils an den Generalversammlungen.
Zwar habe man nach einem Ausweg gesucht und ein externes Büro beauftragt, die Situation zu analysieren. Ohne Erfolg. «Erst der vor einem Jahr neu in den Vorstand gewählte Martin Schmidt, seinerseits Geschäftsführer von zwei eigenen Kleinheimen, die rentabel betrieben werden, konnte im Vergleich mit seinen Heimen aufzeigen, dass das Problem bei den Kosten, insbesondere den Personalkosten, liegt», so der Wortlaut im Brief. Und weiter: Die jährlich auszuweisenden Pflegekosten pro Stunde würden im Seniorenzentrum weit über dem kantonalen Durchschnitt liegen. «Sie gehören zwischenzeitlich zu den höchsten im Kanton Aargau.»
«Zuschauen» ging nicht mehr
Willi Gloor, ehemaliger Gemeindeammann in Tägerig und seit der Gründung des Vereins vor 27 Jahren auch dessen Präsident, schildert auf Anfrage, wie es so weit kommen konnte. Trägerverein und Vorstand, schickt er voraus, seien für die Strategie des Seniorenzentrums zuständig. Um das Operative würden sich hingegen Heimleitung und Pflegedienstleitung kümmern. Dort sei es in den letzten Jahren aber zu zahlreichen Wechseln gekommen: Die neuen Leitungspersonen seien jeweils aus grossen Institutionen gekommen und wollten «ihrem Wissensstand entsprechend» das Kleinheim in Tägerig «professionalisieren» – in Tägerig gibt es gerade mal 20 Zimmer für 20 Bewohnerinnen oder Bewohner.
Diese Professionalisierung indes war mit hohen Kosten verbunden und sie war, wie im Brief erwähnt, defizitär. Die Defizite konnten für eine gewisse Zeit aus dem Ersparten des Vereins gedeckt werden. «In den letzten vier Jahren haben wir über 1 Million Franken verloren», so Gloor. Schliesslich wurden aber Verhandlungen mit der Bank nötig, um weiterhin Liquidität zu gewährleisten. Zwar unterstützte die Bank den Verein, sie sprach sich aber auch für die Rückkehr in den Bereich schwarzer Zahlen auf Ende Jahr aus. Der Vorstand habe dem Handeln lange zugeschaut. «Gutgläubig», meint Willi Gloor. «Zuschauen» aber war in dieser Phase nicht mehr möglich.
Unterschiedliche Heimkulturen
Im Informationsbrief ist von «Reorganisation» die Rede, unter anderem nach dem Vorbild des Seniorenzentrums Tägerig, so, wie es unter seinen früheren Leiterinnen Anni Wohler und Josette Netzhammer über 20 Jahre lang funktionierte. Unter ihrer Ägide hatte das Heim rentiert. «Bei Vollauslastung wurde in der Regel sogar ein kleiner Gewinn erwirtschaftet», sagt Willi Gloor. «Anders als früher arbeiteten noch bis vor kurzem im Heim übermässig viele Fachkräfte.» Es brauche aber nicht für jede Kleinigkeit Fachpersonen. Nötig seien Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die zwar eine Kernaufgabe erfüllen, aber auch einfach zupacken, wo es erforderlich sei. Zudem funktioniere ein Kleinheim, wie es das Seniorenzentrum in Tägerig eines ist, anders als grosse Pflegeeinrichtungen.
Als Vorteil in der aktuell schwierigen Ausgangslage bezeichnet Willi Gloor die neue Zusammensetzung des Vorstands: Eine Vakanz konnte mit Martin Schmidt besetzt werden, der Erfahrung mit Kleinheimen hat; für die Vorstandsarbeit konnte ausserdem die Tägliger Gemeinderätin und Pflegefachfrau Daniela Kramer gewonnen werden und als zusätzliche Expertin ergänzt seit Kurzem Annina Fantoni, die im Haus Morgenstern in Widen arbeitet, das Gremium.
«Schmerzhafte Entscheidungen»
Martin Schmidt erhielt vom Vorstand schliesslich den Auftrag, sich in der Betriebsleitung als Coach operativ einzubringen. Präsident Willi Gloor sagt, Schmidt habe relativ rasch festgestellt, dass der Personalaufwand pro Bewohner im Vergleich zu anderen Pflegeheimen gross sei. Stand heute würden sich 30 Angestellte – unter ihnen viele in Teilzeit – um 14 Bewohnerinnen und Bewohner kümmern.
Laut Informationsschreiben kam es daraufhin zu «schmerzhaften Entscheidungen» und zu Entlassungen. Das wiederum führte zu Unruhe und Diskussionen und zog weitere Kündigungen von Mitarbeitenden nach sich, welche das neue Konzept nicht mittragen wollten.
Im Brief heisst es: «So sind wir heute an einen Punkt gelangt, wo das Seniorenzentrum nicht mehr lange in der gewünschten Qualität betrieben werden kann.» Mitte Juli teilte der Verein seinen Mitgliedern mit, dass für den Fortbestand des Heims dringend Personal benötigt werde. «Personal, das bereit ist, den Pflegeberuf zu leben. Personal, das versteht, dass ein Betrieb nur existieren kann, wenn er kostendeckend arbeitet.» Es sei insofern auch nötig, die Rahmenbedingungen des Vorstands zu akzeptieren.
Viele kleine Änderungen helfen
Seit Mitte Juli konnten einige «Baustellen» aus dem Weg geräumt werden. «Wir setzen alles daran, dass das Heim bestehen bleibt», betont Willi Gloor im Gespräch und lässt damit gleichzeitig durchscheinen, wie ernst die Lage ist.
Als nächstes sollte eine neue Pflegedienstleitung ihre Arbeit im Seniorenzentrum aufnehmen können. «Eine diplomierte Fachfrau in Festanstellung», sagt der Vereinspräsident, der auf eine Phase mit vielen temporären Mitarbeitenden zurückblickt. Das Personal konnte wieder etwas aufgestockt werden; und der wegen Personalmangels verhängte Aufnahmestopp bei den Bewohnern kann aufgehoben werden. Und nicht zuletzt, meint Gloor, habe sich auch die Stimmung im Haus spürbar verbessert. Viele kleine Änderungen würden letztlich auch im Bereich Finanzen dazu führen, dass das Seniorenzentrum wieder schwarze Zahlen schreibe, ist er zuversichtlich.
«Die Vereinsmitglieder werden an einem Informationsabend, der für die kommende Woche angesetzt ist, noch detaillierter informiert», verspricht Willi Gloor.
Heidi Hess


