Informationstage für Jugendliche sind das A und O
27.10.2023 Serie im Reussbote, Region ReusstalDer «Reussbote» befragte die Präsidenten der Gewerbevereine zum Thema «Fachkräftemangel». Das Problem fordert alle Branchen
Alle Branchen sind betroffen. Genaue Zahlen sind den regionalen Gewerbevereinen nicht bekannt. Um dem Fachkräftemangel vorzubeugen ...
Der «Reussbote» befragte die Präsidenten der Gewerbevereine zum Thema «Fachkräftemangel». Das Problem fordert alle Branchen
Alle Branchen sind betroffen. Genaue Zahlen sind den regionalen Gewerbevereinen nicht bekannt. Um dem Fachkräftemangel vorzubeugen wird auf Berufsinfotage für Jugendliche gesetzt.
Das Problem an der Wurzel anzugehen, ist meist eine gute Lösung. Darauf setzen auch die Gewerbevereine der Region. Jugendliche sollen möglichst früh für eine Berufslehre gewonnen werden, um so dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken. Die Gewerbevereine unterstützen deshalb ihre Mitglieder, indem sie Informationstage für Schülerinnen und Schüler der Oberstufe und Infoabende für Eltern organisieren. Firmen können an solchen Veranstaltungen nicht nur Berufe präsentieren, sondern gleich auch für offene Stellen werben. Der «Reussbote» befragte die Präsidenten der Gewerbevereine Region Mellingen, Fislisbach, Reusstal und Rohrdorferberg zum Thema Fachkräftemangel. Der Gewerbeverein Fislisbach leitete die Fragen an seine 80 Mitglieder für eine repräsentative Umfrage weiter. Aktuarin Patrizia Dörlinger fasste die eingegangenen Antworten zusammen.
◆ Welche Branchen sind in der Region vom Fachkräftemangel betroffen, ist das bei den Mitgliedern ein Thema?
Urs Imboden, Präsident Gewerbeverein Region Mellingen: Man hört von diversen Firmen in diversen Branchen vom Problem mit Personalmangel. Wir führen dazu aber keine Befragung durch und ich kann daher keine Namen oder Zahlen nennen.
Antonio Giampà, Gewerbeverein Reusstal: Aus verschiedenen Gesprächen mit Mitgliedern, aber auch mit Unternehmungen an den Berufsmessen, wissen wir, dass der Fachkräftemangel inzwischen fast alle Branchen betrifft.
Patrizia Dörflinger, Aktuarin Gewerbeverein Fislisbach: Die antwortenden Mitglieder konnten teils nach längerer Suche alle Stellen besetzen. Kein Betrieb hat eine offene Lehrstelle. Durchs Band sagen aber alle: Fachpersonal fehlt. Sei dies, weil die Lehrlinge nach dem Lehrabschluss den Betriebszweig verlassen oder vorhandenes Personal zu wenig ausgebildet ist. Die Antworten habe ich aus den Branchen Zweiund Vierrad, Handel, KFZ-Werkstätte, Detailhandel, Handwerk, Gesundheit und Kältebranche erhalten.
Felix Schüpbach, Präsident Gewerbeverein Rohrdorferberg: Von unseren 150 Mitgliedern sind vor allem handwerkliche und industrielle Betriebe am meisten vom Fachkräftemangel betroffen. Und selbstverständlich auch das Gastgewerbe. Leider gibt es bei uns am Rohrdorferberg nicht mehr so viele Restaurants.
◆ Was unternimmt der Gewerbeverein, um einem Fachkräftemangel vorzubeugen?
Urs Imboden: Wir führen schon seit einigen Jahren mit der Sek., der Real und der Bez. Mellingen Informationsanlässe durch. Zusätzlich bieten diverse Firmen Schnupperwochen für Schülerinnen und Schüler, sowie Informationsabende für Eltern an. Ich kann mir vorstellen, dass Restaurants leider wegen Personalmangels künftig ihre Öffnungszeiten reduzieren müssen. Aus der Seite des Gewerbevereins können wir ausser dem Berufsinfotag nicht viel entgegenwirken. Tatsache ist: Wer Fachkräfte braucht, muss auch Ausbildungsplätze anbieten und seine Mitarbeiter stetig weiterbilden.
Antonio Giampà: Wir machen bei Berufe Wohlen plus mit, um zukünftigen Lernenden die Vielfalt der Berufe aufzuzeigen und sie zu animieren, eine Lehre zu absolvieren. Vermehrt wird auch darauf aufmerksam gemacht, dass eine Berufsmatura berufsbegleitend oder im Anschluss an die Lehre möglich ist. Unsere Mitglieder weisen wir jeweils an der GV auf den Anlass im September hin und fordern sie auf, bei Berufe Wohlen plus mitzumachen.
Patrizia Dörflinger: Der Gewerbeverein Fislisbach hat keine Aktionen bezüglich Vorbeugung von Fachkräftemangel vorgenommen. Dies müsste im grösseren Rahmen erfolgen. Zudem sind im Gewerbeverein verschiedenste Branchen vertreten, bei welchen sehr unterschiedliche Situationen betreffend Personal bestehen.
Felix Schüpbach: Der Gewerbeverein Rohrdorferberg engagiert sich seit sechs Jahren mit einem Berufsinfotag. Dieses Jahr konnten 160 Schülerinnen und Schüler aus 40 verschiedenen Berufen vier auswählen, um sich darüber ein Bild zu machen. Das Feedback ist jeweils von beiden Seiten sehr gut. Der Gewerbeverein Rohrdorferberg wird den Anlass zusammen mit der Kreisschule auch in der Zukunft weiterführen. Erfreulich ist, dass immer mehr Betriebe mitmachen.
◆ Wer organisiert überregionale Aktionen, um noch besser auf vorhandene Lehrstellen und Berufe aufmerksam zu machen?
Urs Imboden: Zusätzlich zu den Infotagen kann man sich überregional, zum Beispiel an der Berufsschau in Wettingen, engagieren. Das läuft dann aber über die Berufsverbände.
Antonio Giampà: Wir engagieren uns nicht nur bei Berufe Wohlen plus, sondern auch bei den Berufsinfotagen mit dem Gewerbeverein Region Mellingen.
Patrizia Dörflinger: Es gibt viele Möglichkeiten in der Region, um auf das vorhandene Lehrstellenangebot aufmerksam zu machen. Natürlich ist es jedem Mitglied überlassen, sich an den überregionalen Berufsschauen zu präsentieren.
Felix Schüpbach: Wir engagieren uns nicht überregional. Der Fokus liegt bei uns klar in der Region.
◆ Gibt es ein Netzwerk unter den Mitgliedern?
Urs Imboden: Bis anhin gibt es kein «Fachkräftemangel-Netzwerk».
Antonio Giampà: Ob es ein Netzwerk betreffend Lernenden unter den Mitgliedern gibt, kann ich nicht sagen. Es ist aber sicher eine gute Idee. Unsere Mitglieder haben aber jeweils die Gelegenheit, sich an den verschiedenen Netzwerkanlässen auszutauschen.
Patrizia Dörflinger: Der Gewerbeverein Fislisbach bietet unter den Mitgliedern ein Netzwerk an.
Felix Schüpbach: Bei uns kann man sich als Mitglied unseres Gewerbevereins an gut fünf Anlässen im Jahr niederschwellig und unkompliziert austauschen. Und das über die eigene Branche hinaus.
◆ Was sind die Herausforderungen, welchen sich Firmen in eher ländlichem Gebiet im Hinblick auf den Fachkräftemangel stellen müssen?
Urs Imboden: Vielleicht wird sich in der Zukunft eher die Frage aufdrängen, welchen Herausforderungen sich die Kunden stellen müssen, wenn dem Gewerbe die Mitarbeiter fehlen.
Antonio Giampà: Die Art, die Jugendlichen anzusprechen, hat sich verändert und die Mitglieder reagieren darauf. Sie engagieren sich weiterhin für eine erfolgreiche Berufsbildung. Das Thema Quereinstieg nimmt zu. Das heisst, man investiert wieder mehr Zeit und Geld in die Ausbildung und Einführung neuer Mitarbeitenden, welche nicht direkt aus der Branche stammen.
Patrizia Dörflinger: Die Standortattraktivität, insbesondere auch als Wohnort, ist relevant. Hier sind somit auch die Wohngemeinden in der Pflicht, um attraktive Bedingungen anbieten zu können. In ländlichen Gebieten gehören verschiedene Punkte zur Attraktivität einer Lehrstelle. Sei dies durch Erreichbarkeit mit dem öffentlichen Verkehr, der Lage des Betriebes oder Verpflegungsmöglichkeiten. Dann kommen natürlich auch spezifische Punkte des einzelnen Betriebes dazu. Der Fachkräftemangel betrifft aber nicht nur ländlich gelegene Betriebe, sondern auch solche in Städten.
Felix Schüpbach: Veränderung der Demografie wird den Fachkräftemangel in der nächsten Zeit noch vergrössern. Ich selbst empfinde den Rohrdorferberg nicht als einen typisch ländlichen Standort, weil er sehr gut an den öV angeschlossen ist. Wichtig wäre aber am Rohrdorferberg für bezahlbaren Wohnraum zu sorgen, damit er für Arbeitnehmer attraktiv bleibt. Das ist leider zurzeit nicht so einfach. Es müssten daher Anreize von den Gemeinden geschaffen werden.
◆ Welche Sorgen hören Sie zum Beispiel bei den Treffs wie Gwerblerznüni, dem Gwerbler-Träff oder am Gwerbler-Stamm?
Urs Imboden: Zu wenig Personal, zu wenig geeignetes Personal und zu viel Arbeit. Dazu kommt noch der Zeitdruck bei den Aufträgen hinzu.
Antonio Giampà: Im Moment ist vor allem zu hören, dass es schwierig ist, Fachkräfte zu finden. Das bringt mit sich, dass vorübergehend mehr Arbeit auf weniger Personen verteilt werden muss. Was ebenfalls ein grosses Thema ist, sind die höheren Kosten in den verschiedensten Bereichen und die zunehmenden Vorschriften und administrativen Aufwände.
Patrizia Dörflinger: Die Thematik unter den Mitgliedern ist momentan eher die höheren Kosten seitens der Lieferanten und Herstellung von Produkten.
Felix Schüpbach: Nebst dem Fachkräftemangel ist die Materialbeschaffung und Nachfolgeregelung ein grosses Thema. Immer mehr Firmeninhaber müssen länger arbeiten, da keine Nachfolge in Sicht ist. Um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken, müssen Betriebe schauen, wie sie ihre Unternehmung attraktiver für Arbeitnehmer gestalten. Denn wenn Arbeit Freude bereitet und keine Belastung darstellt, bleiben Mitarbeiter auch langfristig dem Betrieb erhalten. Gelingt das nicht, werden künftig Konsumenten wegen des Fachkräftemangels mit deutlich weniger Leistungen rechnen müssen. So zum Beispiel bei Restaurants mit reduzierten Öffnungszeiten.
Debora Gattlen


