«Ein echter Modellbauer ist nie fertig»
17.11.2023 Birrhard, Region ReusstalStefan Dietemann hat seinen Keller zum Modelleisenbahner-Paradies umgebaut
Nach einem Beinahe-Burnout entdeckte Stefan Dietemann sein Kindheitshobby wieder. Die Modelleisenbahn ist für den Automations-Ingenieur Entspannung und technische Herausforderung zugleich.
Schuld waren ...
Stefan Dietemann hat seinen Keller zum Modelleisenbahner-Paradies umgebaut
Nach einem Beinahe-Burnout entdeckte Stefan Dietemann sein Kindheitshobby wieder. Die Modelleisenbahn ist für den Automations-Ingenieur Entspannung und technische Herausforderung zugleich.
Schuld waren seine drei älteren Brüder. Von ihnen bekam Stefan Dietemann, der Nachzügler, seine erste Modelleisenbahn der Firma Märklin samt vier Lokomotiven. Acht Jahre war der heute 58-jährige, der in der Gärtnerei Wildenau in Stetten aufgewachsen ist, damals. Das Schlüsselerlebnis für seine spätere Leidenschaft war jedoch ein Besuch der Gotthardmodellbahn im Verkehrshaus in Luzern: «Da hat es mich total gepackt. Ich habe gedacht, etwas in der Art muss ich bauen». Auf dem Estrich des Elternhauses baute er seine erste noch bescheidene Anlage auf. «Die ganze Elektrik und die Steuerungstechnik hat mich fasziniert», erklärt Dietemann, der über die Begeisterung für die Modelleisenbahn sogar zu seinem Beruf fand und später eine Lehre zum Elektromaschinenbauer absolvierte. Nach der Lehre widmete er sich wieder intensiver seinem Hobby, das während der Teenagerzeit etwas in den Hintergrund getreten war. Fünf Jahre werkelte er an seiner acht auf fünf Meter grossen Fantasylandschaft, bevor es abermals zum Schnitt kam. Es folgten Hochzeit, Familie, Karriere. Als die Eltern starben, wurde die Eisenbahn 1998 schliesslich zerlegt und bis auf einige Restbestände verkauft.
Gesundheitlich ausgebremst
Heute ist Stefan Dietemann erfolgreicher Projektleiter und Softwareingenieur im Bereich Automation. Er entwickelt unter anderem Steuerungssysteme für Atomkraftwerke, Erdöl-Pipelines oder Flughäfen und ist eine Koryphäe auf seinem Gebiet. Auch in der Freizeit habe er immer «Grenzen ausloten» wollen, erzählt Dietemann, egal ob beim Skifahren oder Snowboarden. Nach 50 müsse ein Mann einmal gegen die Wand fahren, um zu merken, dass er älter werde, zitiert er einen Arzt. Er selbst sei nahe an der Erschöpfungsdepression gewesen, als ihn 2016 ein schwerer Skiunfall ausbremste, bei der seine Knieplatte zertrümmert wurde. Die Verletzung ist gut verheilt, damals beschloss Dietemann jedoch kürzer zu treten und sich ein ruhigeres Hobby zu suchen. Da kam der Zufall zu Hilfe: Ein Freund seines Sohnes hatte von seinem Götti aus Othmarsingen eine grosse Modellanlage geerbt: «Als ich die Loks gesehen habe, da habe ich Tränen in den Augen bekommen», erinnert sich Dietemann. Auf 50 000 bis 100 000 Fr. schätzt er den Wert der Anlage, die wertvolle Sondermodelle und Kleinserienmodelle umfasste. Weil Dietemann beim Verkauf der Sammlung mit Rat und Tat zur Seite stand, konnte er einige Loks zum Freundschaftspreis erwerben. Der Grundstock für seine aktuelle Anlage.
Klein-Othmarsingen in Birrhard
150 Meter Gleise, 60 Weichen und 20 Zugkombinationen. So lauten die nüchternen Zahlen von Dietemanns H0-Modelleisenbahn, die sich durch zwei grosse Kellerräume an der Wand entlang schlängelt und dabei auch Dietemanns Musikproberaum (sein zweites Hobby) durchquert. «Das Thema Othmarsingen war von Anfang an klar», erzählt der Ingenieur. Nicht nur, weil der Grundstock aus Othmarsingen stammte, sondern auch weil dort ein wichtiger Streckenknotenpunkt für den Bahnverkehr liegt. Herzstück der Anlage ist der Bahnhof Othmarsingen, den Dietemann samt Perron massstabsgetreu nachgebildet hat. Dazu mass er alle Abstände vor Ort aus. Den Hintergrund bilden Fotos der echten Landschaft. Und weil Dietemann nicht nur ein Tüftler, sondern Perfektionist ist, besorgte er sich von einem Fahrdienstleiter die Original-Streckenpläne, die er auf einem selbstgebauten Steuerungs-Panel nachbaute. Während die Züge schon ab Werk digitalisiert sind und via App gesteuert werden, kann er mit Hilfe von ausgedienten Industrie-Steuerungssystemen jede Weiche einzeln bedienen. «Das ist ein System für die Ewigkeit», sagt Dietemann. Und wann ist die Anlage fertig? «Ein echter Modellbauer ist nie fertig», antwortet Dietemann lachend. Der Weg sei das Ziel. Ein gewisses Suchtpotenzial habe das Hobby schon, gibt er zu. Er bemühe sich, es leidenschaftlich, aber nicht exzessiv zu betreiben: «Ich mache es aus Spass und zur Entspannung», betont er. Die unbegrenzte Welt der Modelleisenbahn will er auch anderen näherbringen. Nach einem Bericht im «Reussbote» über Urs Weber aus Mellingen, der ebenfalls Mitstreiter für sein Hobby suchte, gründete sich 2022 der Modellbahnverein Mellingen. Der richtet sich nicht nur an Profis, sondern auch an junge Modellbaufreunde.
Michael Lux
Infos: mylittleothmarsingen.com


