Als sich im Reusstal die Frontisten versammelten
19.01.2024 Region ReusstalIn den Bremgarter Neujahrsblättern 2024 schreibt der Historiker Patrick Zehnder über die Frontisten im unteren Reusstal
Vor dem Zweiten Weltkrieg kam es im unteren Reusstal zu Versammlungen rechtsextremer Gruppen. In Fislisbach und in Tägerig wurden um 1935 auch Ortsgruppen ...
In den Bremgarter Neujahrsblättern 2024 schreibt der Historiker Patrick Zehnder über die Frontisten im unteren Reusstal
Vor dem Zweiten Weltkrieg kam es im unteren Reusstal zu Versammlungen rechtsextremer Gruppen. In Fislisbach und in Tägerig wurden um 1935 auch Ortsgruppen gegründet.
Die Frontisten, Anhänger der Nationalen Front, stehen im Zentrum der aktuellen Forschung des Birmenstorfer Historikers Patrick Zehnder. Er widmet der faschistischen Vereinigung in den neuesten Bremgarter Neujahrsblättern ein ganzes Kapitel: «‹Harus!› an der Luzernerstrasse: Frontistische Umtriebe im Bremgarten der mittleren 1930er-Jahre». Als Quelle dienen Zehnder in erster Linie Berichte, die während dieser Zeit in der lokalen Presse erschienen sind. Auch der «Reussbote» berichtete über Regierungsratsbeschlüsse oder von Versammlungen der Nationalen Front in der Region. Zwar fokussiert Zehnders Beitrag in den Neujahrsblättern auf Bremgarten – dort versammelten sich Anhänger der Frontisten etwa im Restaurant Reussbrücke. So geschehen im Februar 1934: Organisiert wurde der Anlass von der Ortsgruppe Baden. Der spätere Grossrat Josef Willi meinte damals, dass sich «auch das aargauische Freiamt für unsere Ideale begeistern» werde.
«Wahrung der Redefreiheit»
Bereits im Juli 1933 hatte Alfred Disch, Direktor der gleichnamigen Bonbon- und Biskuitfabrik aus Othmarsingen, eine Kundgebung der Nationalen Front als Versammlungsleiter im Schulhaussaal in Tägerig eröffnet. Wenige Tage vor dieser Veranstaltung erschien im «Reussbote» ein Inserat (siehe Bild oben). «Mitbürger» wehrten sich, weil an dieser Veranstaltung keine Diskussion erwünscht war. Auf dieses Inserat hin erklärte Versammlungsleiter Disch, dass nach Ausführungen über «Zweck und Ziele der Nationalen Front», nun doch eine Diskussion ermöglicht werde. Das schreibt der «Reussbote» am 11. Juli 1933 in seiner Berichterstattung über den Anlass. In der anschliessenden Diskussion meldeten sich ein Pfarrer, ein Fabrikant aus Dottikon, ein Landwirt aus Niederwil und ein Herr aus Stetten zu Wort. Manche äusserten sich kritisch, andere offenbarten ihre Sympathie gegenüber den «Bestrebungen der Nationalen Front».
Ortsgruppe gegründet in Fislisbach
Im Aargau bildeten sich in diesen Jahren rund 40 aktive Ortsgruppen der Nationalen Front, die unregelmässig über das Kantonsgebiet verteilt waren. Auch im Reusstal entstanden solche Ortsgruppen. Zum Beispiel die Ortsgruppe «Unteres Reusstal» mit Zentrum Fislisbach, die im Sommer 1934 im Restaurant Rössli gegründet wurde. Dort soll der örtliche Bauunternehmer Wettstein als Ortsgruppenführer seine Arbeit aufgenommen haben. In der «Front», dem Publikationsorgan der rechtsextremen Bewegung, wird er beschrieben: «Ernst Wettstein ist einer jener älteren Kameraden, die im Herzen jung geblieben sind und so den Weg in die Nationale Front gefunden hat. Den Beweis hierfür hat er uns durch die Tat und die restlose Hingabe für die Sache der N.F. (Nationalen Front) selbst erbracht». Zum Einzugsgebiet der neuen Ortsgruppe zählten auch die Stadt Mellingen, Tägerig und weitere Dörfer im Bezirk Bremgarten.
Musikkorps im Gasthof zum Adler
Schon einen Monat später existierte eine Ortsgruppe in Tägerig, wo sich im Gasthof zum Adler auch die «Stützpunkte des Bezirkes Bremgarten» zu Austausch und Schulung trafen. «Wie viele Köpfe diese allerdings zählten, ist unklar», schreibt der Historiker. Nur im Ausnahmefall nannte die Front Zahlen und die Nationale Front, die zu ihren besten Zeiten im Jahr 1935 landesweit geschätzte 9000 Angehörige zählte, führte auch kein offenes Mitgliederverzeichnis.
Im Gasthof zum «Adler» in Tägerig jedenfalls traf sich seit Herbst 1934 das Musikkorps Aargau der Nationalen Front. Undurchsichtig sei, so Zehnder, wie es um die Besetzung und Instrumentierung der Musikgruppe gestanden habe.
Rund ein Jahr nach der Gründung riefen Präsident Armin Killer aus Gebenstorf und Aktuar Fritz Häusler aus Fislisbach zur aktiven und passiven Mitarbeit auf, ebenso zu finanzieller Unterstützung. «Doch scheint eine nennenswerte Mobilisierung im Bezirk Bremgarten ausgeblieben zu sein», kommentiert der Historiker diesen Aufruf.
Anfangserfolge erschöpften sich
An einem Sonntag im Juni 1935 lud die Nationale Front schliesslich zu einem «Ausmarsch ins Freiamt» mit Besammlung in Othmarsingen. Der Marsch über Lenzburg und Dottikon – inklusive Mittagsverpflegung – führte im Vorfeld der anstehenden Nationalratswahlen im Herbst zur Schlusskundgebung nach Wohlen.
Zwar soll die frontistische Bewegung beachtliche Anfangserfolge erzielt und von der nationalsozialistischen Machtübernahme in Deutschland und der Misere der Weltwirtschaftskrise profitiert haben. Diese Erfolge erschöpften sich aber schweizweit rasch. Die Mitglieder der Bewegung sahen sich politisch und moralisch isoliert, die verschiedenen frontistischen Vereinigungen zerstritten sich. Ein innenpolitisches Problem blieb einzig ein harter Kern der Frontisten. (hhs)