Die Krönung lässt noch etwas auf sich warten
23.02.2024 Region ReusstalMarianne Wildi hat die Hypothekarbank Lenzburg in der letzten Dekade geprägt. Jetzt tritt sie als CEO zurück und wird designierte VR-Präsidentin
Am 16. März dieses Jahres findet die 155. ordentliche Generalversammlung der Hypothekarbank Lenzburg AG statt. Dabei kommt es ...
Marianne Wildi hat die Hypothekarbank Lenzburg in der letzten Dekade geprägt. Jetzt tritt sie als CEO zurück und wird designierte VR-Präsidentin
Am 16. März dieses Jahres findet die 155. ordentliche Generalversammlung der Hypothekarbank Lenzburg AG statt. Dabei kommt es zu einer Zäsur. Mit Marianne Wildi tritt nämlich die «Chefin» nach 14 erfolgreichen Jahren zurück. Was sich wie das Ende einer Ära anhört, ist aber eher die geplante Fortsetzung einer ohnehin schon ungewöhnlichen Laufbahn. Marianne Wildi wird wohl zur nächsten VR-Präsidentin gewählt, muss aber eine «Abkühlungsperiode» von normalerweise einem Jahr abwarten und solange auf dem Wartebänklein Platz nehmen. So wollen es die Regeln der Bankenaufsicht FINMA.
Gleicher Ort, gleiche Zeit. Im Büro von Marianne Wildi am Hauptsitz der «Hypi» im Herzen von Lenzburg. Acht Jahre sind es her, seit unserem letzten Gespräch. Es ist, als wäre die Zeit stillgestanden. Oder sogar zurückgedreht worden. Marianne Wildi ist äusserlich noch immer dieselbe. Trotz grosser Belastung im Job haben sich keine Fältchen in ihr Gesicht geschlichen. Sie empfängt mich wie einen alten Bekannten, fröhlich, aufgestellt und völlig unkompliziert. Das Zahlenschloss zur Sicherheit an ihrer Bürotür ist noch immer. Aber sonst ist es wie damals. Der ausladende Bürotisch aus einer anderen Zeit, voll gestapelter Papiere. Noch immer der gleiche Drehstuhl mit grünem Bezug. Fürs Foto muss sie ihren Arbeitsplatz erst mal etwas freischaufeln. Wäre nicht nötig. Aber sie will es so. So sitzt sie da hinter ihrem Schreibtisch. Im Gegensatz zu damals, als ein Engel die Tischplatte zierte, steht nun neben ihm eine prächtige, lilafarbene Orchidee. Ach ja, bei genauem Hinsehen hat sich doch etwas verändert. Die Brille mit grösseren Gläsern. Schick. Und die Frisur. Aber sonst … Das gleiche frische Lächeln, als ob eine Bank führen ein Kinderspiel wäre.
Hört man ihr zu, klingt es auch so. «Wir machen immer nur, was wir können.» Stress? Darüber muss sie kurz nachdenken. Nein, Stress scheint sie nicht zu kennen. Eben, weil sie nur macht, was sie kennt und was sie kann. Und das ist eine ganze Menge. Sie betont, dass es ihr sehr wichtig ist, gemeinsam mit ihrem Führungsteam und ihren Mitarbeitenden unterwegs zu sein.
Von ganz unten nach ganz oben
Kaum zu glauben, dass die mittlerweile auch schon 58-Jährige in jungen Jahren mit dem Schraubenzieher unter Schreibtischen gekniet hat, und in «Hypi»-Filialen PCs installiert hat. Das ist eine Weile her. Damals, vor über 35 Jahren, als der Schreibautomat, der eine A4-Seite Text speichern konnte, als Innovation galt, stand Marianne Wildi als junge Handelsschulabgängerin bereits bis zu den Ellenbogen in der frühen digitalen Welt. Leute wie sie, die schon damals sahen, was kommen wird, hatten es schwer, sich mit neuen Ideen durchzusetzen. Sie aber hats geschafft. Das unscheinbare «Mädchen vom Land», das in der Dorfmusik Hunzenschwil-Schafisheim noch immer die Posaune spielt (wenn sie es denn zeitlich auf die Reihe bringt), hat unaufhörlich an der digitalen Zukunft der Hypothekarbank gearbeitet. Und dabei tiefe Spuren hinterlassen. So sehr, dass die «Hypi» mit ihrer Fintech-Strategie international Aufsehen erregt hat. Die «Hypi» war wohl die erste traditionelle Schweizer Bank, die mit dem Verkauf von Bankensoftware «artfremd» Geld verdiente. Erst letztes Jahr wurde die Finstar AG gegründet, die Firma, in welche in den nächsten Monaten die Technologie d. h. die Software, welche alle Kernbankenfunktionen als auch die Fintech-Module bereitstellt, ausgelagert werden sollen. Wie könnte es anders sein, mit Marianne Wildi als Verwaltungsratspräsidentin an der Spitze.
Die «Hypi» entwickelt und betreibt schon seit Anfang dieses Jahrtausends ein Informatiksystem namens Finstar. «Finstar ist die Basis für die schweizweit einzigartige Banking-asa-Service-Strategie der Hypothekarbank Lenzburg, welche nun weiter in Richtung Embedded Finance ausgebaut wird», schreibt die «Hypi» in einer Medienmitteilung.
Rücktritt als CEO am 16. März
Nach der Gründung der Finstar AG kündigte der Verwaltungsrat der «Hypi» an, Marianne Wildi an der GV vom 16. März zur Wahl als neues Mitglied des Verwaltungsrates vorzuschlagen. Wohlwissend, dass dies nicht sofort möglich ist. Denn wer von der operativen Ebene einer Bank in den Verwaltungsrat wechseln will, muss eine rechtlich bedingte Übergangsfrist von mindestens einem Jahr einhalten.
So verlangt es die Hüterin über den Finanzmarkt, die Finma. Die «Hypi» ist bekannt für ihre langfristig angelegten Strategien. Da wird nicht ins Kraut geschossen. Kontinuität und Nachhaltigkeit stehen über dem schnellen Erfolg. Dafür steht, wie kaum ein anderer, Verwaltungsratspräsident Gerhart Hanhart. Der Jurist gehört dem VR seit 1996 an. Seit 2015 als Präsident, vorher als Vizepräsident. Hanhart hat schon früh erkannt, was die «Hypi» mit Marianne Wildi hat. Ein Talent, die wohl in den USA auf der Stufe eines Elon Musk oder eines Peter Thiel stehen würde, die mit PayPal das grösste Fintech-Unternehmen der Welt entwickelt haben. Aber anstatt Milliarden zu scheffeln blieb Marianne Wildi ihren Wurzeln treu. Grossunternehmen oder gar Grossbanken sind nicht so ihr Ding. Sie will selbst gestalten können. Dieser grundsolide Wesenszug, gepaart mit einer überdurchschnittlichen Intelligenz, hat sich für die «Hypi» als Volltreffer erwiesen.
Der Aargau ist ein guter Nährboden
Natürlich bewegt sich ihr Salär längst in höheren Sphären. Für Marianne Wildi aber kein Grund an ihrer bescheidenen Lebensweise etwas zu ändern. Eben hat sie ihre Eigentumswohnung in Meisterschwanden komplett renoviert. Aber sonst gönnt sie sich keinen grossen Luxus. Vielleicht mal eine Reise nach Übersee. Aber sonst zieht sie einheimische Gefilde vor. Das scheint ein guter Nährboden. Jedenfalls hat die «Hypi» ihre Bankensoftware Finstar (finstar.ch) in Lenzburg laufend weiterentwickeln und vertreiben können. Für Marianne Wildi war schon früh klar, dass die Transformation des Finanzmarktes weltweit nicht aufzuhalten sein wird. Deshalb verwundert nicht, dass die «Hypi» Nägel mit Köpfen machte, als vier junge Unternehmer mit «Neon» eine digitale Bankenplattform vorstellten, die das Banking sozusagen aus der Hosentasche ermöglicht. Neon ist die erste «Bank» der Schweiz, die von Grund auf als Digi-talplattform aufgebaut wurde. Neon machte Schlagzeilen, als die vier Gründer ihre Idee einer neuen Banken-App in der TV-Sendung Die Höhle der Löwen vorstellten. Online-Pionier Roland Brack (brack. ch) war von der Idee so sehr angetan, dass er als privater Investor einstieg.
«Hypi» ist auch eine neue Bank
2022 hat das renommierte US-Wirtschaftsmagazin Forbes Neon zur besten «Bank» 2022 der Schweiz gekürt. Dabei ist Neon nicht mal eine Bank. Denn in der Schweiz darf sich eine «Bank» nur so nennen, wer eine Banklizenz besitzt. Hier kommt die «Hypi» mit Marianne Wildi und ihrem Team ins Spiel. Die «Hypi» stellt die Banklizenz. So rundet sich das visionäre Bild ab, das die «Hypi» einst mit ihrer Bankensoftware entwarf. Software und Banklizenz (mit dem entsprechenden Knowhow) verschmelzen zu einer neuen «Bank». Man könnte sagen: Wo Neon draufsteht, steckt die «Hypi» drunter. Damit aber kein Missverständnis aufkommt: Neon ist ein eigenständiges Institut, allerdings eines ohne Bankschalter und Filialen, aber bereits rund 200 000 Konten. Obwohl das Potenzial solcher Plattformen wie Neon enorm ist, hat die «Hypi» aus Governance-Gründen auf eine Beteiligung an der Firma verzichtet. «Wir sind ganz einfach Partner», sagt Marianne Wildi. «So haben wir keine Interessenskonflikte.» Das sei auch eine Frage von Glaubwürdigkeit und Überzeugung gewesen. «Wir können nicht Neon sein. Neon und Banken agieren nämlich unterschiedlich, sie kommunizieren auch anders. Heute erbringen wir Services an Fintechs, die wir früher nur an Banken gaben, die Finstar als Kernbankensystem nutzen.» Open Banking verfolge zwei Pläne sagt Wildi: Software weiterentwickeln und API als Verbindungsfunktionen zur Verfügung stellen. API steht für Application Programming Interface oder zu deutsch: Entwickeln von Programmierschnittstellen.
«Hypi»-Software is everywhere
Neben Neon haben mittlerweile zahlreiche weitere Fintech-Unternehmen bei Finstar und der Hypothekarbank Lenzburg angedockt. Dazu zählen unter anderen Zinsli, Everon, Findependent, Kaspar&Flatfox oder Finpact. Aber auch gestandene Unternehmen wie Coop, die Banking-Services der Hypothekarbank Lenzburg für die App Coop-Finance+ nutzt. Neuste Nutzerin von Finstar ist auch Cembra, welche die Software als auch die Services für digitale Sparprodukte nutzt. Das alles wird innerhalb der Bank mit dem etwas gewöhnungsbedürftigen Begriff «Ban-king-as-a-Service» subsumiert.
Pilotprojekt mit Krypto-Franken
Das Projekt heisst «Helvetia». Thema ist der Krypto-Franken. Und, wen wunderts? Marianne Wildi ist an vorderster Front mit dabei, wenn es um das Thema Krypto-Franken geht. Die «Hypi» nimmt am Pilotbetrieb der Schweizerischen Nationalbank mit digitalem Franken teil. Im Rahmen des Pilotprojekts Helvetia Phase III führen sechs Geschäftsbanken auf der Plattform SIX Digital Exchange Finanzmarkttransaktionen durch und verwenden dazu erstmals einen von der Schweizerischen Nationalbank herausgegebenen digitalen Franken für Finanzinstitute.
«Die Teilnahme beim Projekt Helvetia ist ein konsequenter Schritt in der Weiterentwicklung unserer Bank im Bereich digitale Assets», sagt Marianne Wildi. Der digitale Franken, hinter dem die SNB steht, würde nämlich den Handel mit digitalen Vermögenswerten vereinfachen.
Marianne Wildi über «Macht»
Die «Bilanz» hat Marianne Wildi 2018 zu den 100 wichtigsten Bankerinnen und Bankern gekürt. All ihre Mandate aufzuzählen würde den Rahmen hier sprengen. Nach ihrer Wahl zur Präsidentin der Aargauischen Industrie- und Handelskammer und in den 18-köpfigen Vorstand der Schweizerischen Bankiervereinigung wurde sie in den Medien auch schon als mächtigste Wirtschaftsfrau im Aargau bezeichnet.
Marianne Wildi steht am Kaffeeautomaten ihres Büros, um ihrem Gast einen weiteren Kaffee zuzubereiten, als ich sie frage, wie sie mit der Macht, die sie Kraft ihres Amtes habe, umgehe. Sie lächelt. Mit dem Wort «Macht» kann sie rein gar nichts anfangen. Mit «machen» schon, sagt sie, aber nicht Macht. Beim Wort «Macht» komme ihr sofort das Wort «Missbrauch» in den Sinn. Sie möchte, dass das Wort «Macht» durch «Einfluss» ersetzt wird. Marianne Wildi staunt manchmal selbst, wie ihr die Position als «Hypi»- CEO Türen geöffnet hat. Der Zugang zu den einflussreichen Persönlichkeiten in Wirtschaft und Politik will sie nutzen, um die beinahe grenzenlosen Möglichkeiten im Bereich der Digitalisierung einzubringen sowie interessante Gespräche führen können. Nicht nur in der Bank, auch in anderen Bereichen der Gesellschaft.
Der Blick ist nach vorne gerichtet
Nun, es ist nicht mehr weit, bis ihre Zeit als CEO zu Ende ist. Für sie geht es nun darum «noch anständig aufzuhören», wie sie sagt. Marianne Wildi freut sich auf etwas mehr Freiraum, den sie nutzen will für interessante Mandate. «Ich freue mich darauf, mehr strategisch zu arbeiten. Ich bin auch dankbar dafür, dass ich bei der ‹Hypi› bleiben darf. Das ist mir eine Ehre.»
Beat Gomes