Handelten Naturschützer unter Druck?
23.02.2024 Fischbach-Göslikon, Freiamt, KüntenVon einem Kuhhandel und dem Publikumsmagnet Steg in hochsensibler Schutzzone
Werden sich Grossrätinnen und Grossräte in die Entscheidung um den geplanten Reusssteg einmischen? In einem offenen Brief werden sie genau um diese Einmischung gebeten.
In der Diskussion rund um den ...
Von einem Kuhhandel und dem Publikumsmagnet Steg in hochsensibler Schutzzone
Werden sich Grossrätinnen und Grossräte in die Entscheidung um den geplanten Reusssteg einmischen? In einem offenen Brief werden sie genau um diese Einmischung gebeten.
In der Diskussion rund um den geplanten Reusssteg, der die beiden Gemeinden Fischbach-Göslikon und Künten verbinden soll, kündigt sich eine steife Brise an.
Michael Koller und Bernhard Meier aus Künten wenden sich in einem offenen Brief an die Aargauer Grossrätinnen und Grossräte und bitten sie, beim Regierungsrat «auf eine Ablehnung des Baugesuchs für den Reusssteg hinzuwirken und damit dem vom Grossen Rat 1966 geforderten Reussuferschutz Nachachtung zu verschaffen.» Der Regierungsrat stehe unmittelbar vor der Entscheidung, ob er für diesen Steg seine Zustimmung erteilen soll oder nicht. «Angesichts des sechsfach geschützten Standorts dürfte eine solche Zustimmung nicht erteilt werden», folgern Koller und Meier.
An Schutzerlassen vorbei geplant
Sie begründen, das Bauprojekt für eine 130 Meter lange und 2 Meter breite Spannbandbrücke tangiere in einem besonders sensiblen Gebiet insgesamt sechs Schutzerlasse. Der Standort für den Steg liegt erstens in der Sperrzone des Dekretes zum Schutz des Reussufers, zweitens gehört dieses Gebiet zum Bundesinventar der Landschaften und Naturdenkmäler (BLN). Das alleine, halten Koller und Meier fest, müsste bereits genügen, dass ein Reusssteg an dieser Stelle keine Chance auf Bewilligung hat.
Die Aufzählung geht indes weiter. Drittens zählt die Reuss und ihre Ufergebiete bei Künten und Fischbach-Göslikon zum Aargauer Auenschutzpark, wo seit 1994 Renaturierungsprojekte umgesetzt werden sollen. Viertens gerate der vorgesehene Standort in Konflikt mit dem Inventar der Landschaften von kantonaler Bedeutung und darüber hinaus auch mit dem Bundesinventar der Auengebiete von nationaler Bedeutung – das ist Punkt fünf. Sechstens zählt dieses Gebiet auch zum Bundesinventar der Amphibienlaichgebiete von nationaler Bedeutung. «Der Reusssteg wird also in ein sechsfach geschütztes Gebiet hineingeplant», lautet das Fazit von Michael Koller und Bernhard Meier.
Der Steg: Ein «touristischer Cluster»
Im Brief erläutern die Verfasser den Zweck des geplanten Steges: Die Gemeinderäte erhofften sich eine bessere Zirkulationsmöglichkeit für Bevölkerung und Besucher sowie eine Aufwertung des Naherholungsgebietes. Auch der Regionalplanungsverband Mutschellen-Reusstal-Kelleramt (Repla MRK) unterstütze das Projekt und könne bei der Erstellung eines Gesamtkonzepts «Erholung und Landschaft» auf den Kanton zählen. Entstehen soll rund um den Steg ein «touristischer Cluster» mit Parkplätzen, dem bestehenden Campingplatz, einem Rastplatz mit Feuerstellen und Bademöglichkeiten bei der Sandbank in Fischbach-Göslikon.
Wie kam es zum «Kuhhandel»?
Gegen das Baugesuch «Fussgängersteg Reuss», welches die Gemeinderäte von Künten und Fischbach-Göslikon im Sommer 2021 veröffentlicht hatten, gingen Einwendungen von Pro Natura, WWF und Birdlife ein. Die Naturschutzorganisationen hinterfragten den Bau, weil er einen Eingriff in den besonders geschützten Auenschutzpark darstellt. Der Steg, so der Einwand, bringe grössere Belastungen für die Natur. Auch Pro Velo meldete sich: Die Velo-Organisation wehrte sich gegen das Velofahrverbot auf dem Reusssteg.
Inmitten dieser für die Gemeinden unliebsamen Einwendungen konnte Fischbach-Göslikon Druck ausüben. Pro Natura plante seit längerem ein Auenschutzprojekt Grien auf der Fischbacher Uferseite. Gegen dieses Projekt war eine Einwendung der Gemeinde hängig. Die Gemeinde Fischbach-Göslikon soll nun angeboten haben, ihre Einwendung gegen das Projekt Grien zurückzuziehen. Im Gegenzug sollte Pro Natura seine Einwendung gegen den Reusssteg zurückziehen. Die Brief-Verfasser Koller und Meier reden in diesem Zusammenhang von einer «Zwangslage», welcher die Verbände ausgesetzt waren: «Der Fussgängersteg schien in einem Patt zu enden.»
Die Naturschützer lenken ein
Einig wurden sich die beiden Gemeinderäte und die Naturschutzorganisationen Pro Natura, WWF und Birdlife erst im September 2023. Zur Rettung des Auenschutzprojektes Grien hätten sie schliesslich eine gemeinsame Vereinbarung unterzeichnet. Darin sicherten die Parteien einander zu, «die Projekte der Gegenseite nicht aufzuhalten und, sollte in einem Bauprojekt eine Bewilligung verzögert werden, dessen Fortgang bestmöglich zu fördern».
Mit einem Bau des Reussstegs dürfte das Gebiet an der Reuss zum neuen Geheimtipp und zum Touristenmagnet werden, befürchten Koller und Meier. Von möglichen Folgen würden Ranger oberhalb von Bremgarten berichten: Partyvolk, Abfall, Lärmpegel, Mountainbiker auf Fusswegen. Publikumsmagnete wie der Reusssteg sollten gar nicht erst gebaut werden, betonen sie: «Der Aargau ist voller schöner Orte, die man als Naherholungsgebiete fördern kann und an denen kein erhöhtes Schutzinteresse besteht.»
Heidi Hess