Sich mit Gewichten gegen das Altern stemmen
09.02.2024 Mellingen, Region ReusstalJohannes Schober ist 95 Jahre alt und nach wie vor ein regelmässiger Gast im Fitness-Studio. Er erzählt, warum er das macht
«Das ist für mich Leben», bringt es Johannes Schober auf den Punkt. Er setzt sich an Kraftgeräte, trainiert seine Muskeln, dreht ...
Johannes Schober ist 95 Jahre alt und nach wie vor ein regelmässiger Gast im Fitness-Studio. Er erzählt, warum er das macht
«Das ist für mich Leben», bringt es Johannes Schober auf den Punkt. Er setzt sich an Kraftgeräte, trainiert seine Muskeln, dreht Spazierrunden im Städtli und ist auch immer für einen Schwatz zu haben.
Auch im Alter von 95 Jahren stemmt Johannes Schober noch regelmässig Gewichte: Zweimal die Woche stösst er an den Kraftgeräten mit den Beinen 80 Kilogramm von sich weg, hebt mit den Armen 40 Kilogramm in die Höhe und jedes Mal tritt er auch kräftig in die Pedale. Er absolviert ein auf seine Bedürfnisse zugeschnittenes Trainingsprogramm für Arme und Beine, für Muskeln und Gelenke. Im Fitness-Studio am Stadtrand von Baden, wo man den Witwer aus Mellingen mit seiner Betreuerin und Gesundheitsberaterin Fiore Rubino antreffen kann, ist niemand älter als Schober.
Die Flucht führt bis nach Mellingen
Und den rüstigen Rentner kennt man im Studio. Sie seien fast wie eine grosse Familie: «Alle duzen sich», sagt der 95-Jährige. «Im Fitness-Studio kommen auch Dinge zur Sprache, die nichts mit Sport zu tun haben». Mal geht es um familiäre Freuden, mal um Sorgen, auch berufliche Erfahrungen werden ausgetauscht und manchmal entziffert der Senior alte Briefe, weil er in jungen Jahren eine Schrift gelernt hat, die heute kaum noch jemand lesen kann: Johannes Schober beherrscht die Sütterlinschrift.
Schober kam in den frühen 1960er-Jahren aus der DDR in die Schweiz. Er floh 1961 mit seiner Frau als in Berlin die Mauer gebaut wurde. Zunächst fand das junge Paar in Westdeutschland ein Dach über dem Kopf. Johannes Schober hatte in Dresden physikalische Chemie studiert; ein ehemaliger Professor konnte ihm schliesslich bei der BBC in Baden eine Stelle vermitteln. Schon bald liess sich das Paar in Mellingen nieder, wo der Witwer auch heute noch in seiner Wohnung lebt.
«Ich brauche kaum Medikamente»
Seinen Alltag bewältigt Johannes Schober mit viel Humor, aber nicht mehr völlig selbständig. Er habe vor Jahren die Wahl gehabt, sich entweder für eine Betreuung oder für Medikamente zu entscheiden. «Ich brauche nach wie vor kaum Medikamente», sagt er. Seit fast vier Jahren aber unterstützt ihn die Pflegefachfrau und Gesundheitsberaterin Fiore Rubino, die verheiratet ist und in Zürich eine eigene Praxis betreibt. Seine Tochter hatte ihn mit der Betreuerin bekannt gemacht. Und Schober ist froh darüber. «Sie ist meine Knochentherapeutin und kontrolliert meinen Muskelaufbau», meint er vergnügt und fügt an: Vor allem aber sei sie für ihn ein «Haupttreffer». Ebenso heiter antwortet Fiore Rubino: «Für mich ist das eine mega Freude.» Und wenn sie im Fitnesszentrum sieht, wie er an den Kraftgeräten Gewichte bis zu 80 Kilo zu stemmen vermag, dann sei sie schon «sehr stolz».
Eigentlich ist er kein «Sportfreak»
Die Frau, die in der Mongolei aufwuchs und dort auch einige Jahre Medizin studierte, hat sich in der Schweiz auf Gesundheits- und Fitnessberatungen, insbesondere für Seniorinnen und Senioren, spezialisiert. Rubino und Schober kochen zusammen – der Senior schnippelt die Rüebli, sie gehen spazieren und Rubino fährt Schober ins Fitnesszentrum, dorthin, wo er schon früher mit den Kollegen von der BBC trainierte. Ein «Sportfreak» sei er eigentlich nicht, meint der 95-Jährige. Dennoch gehörten Sport und Fitness seit jeher zu seinem Alltag. In Mellingen war er Mitglied des Tennis-Clubs und auch in der lokalen Wandergruppe kennen ihn alle. Mitwandern kann Johannes Schober heute hingegen nicht mehr. Regelmässige Spaziergänge in Begleitung seiner Betreuerin Rubino bleiben aber unerlässlich. Sie fallen inzwischen einfach etwas kürzer aus: Schober und Rubino gehen durchs Städtli, spazieren der Reuss entlang und oft bleiben die beiden stehen, weil Schober Bekannte trifft.
Über Lebensqualität und Struktur
Training und Bewegung würden mit Sicherheit seine Lebensqualität erhöhen, meint der 95-Jährige. Die Besuche im Fitnesscenter würden seinen Alltag strukturieren, sagt er. Und ebenso wichtig wie das Training für Gelenke und Muskulatur sind ihm die Begegnungen. «Das», sagt er, «ist für mich Leben.»
Heidi Hess


