Erst mulmig, dann neugierig, schliesslich stolz
19.04.2024 Wohlenschwil, Region ReusstalVon Zürich nach Nizza in einer Boeing 737 – Erfahrungsbericht aus dem Flugsimulator des ehemaligen Airline-Piloten Felix Staubli
Im Flugsimulator der Familie Staubli darf ich eine Stunde lang Pilotin sein. Die Lämpchen machen mir Sorgen und doch vergeht die Zeit im ...
Von Zürich nach Nizza in einer Boeing 737 – Erfahrungsbericht aus dem Flugsimulator des ehemaligen Airline-Piloten Felix Staubli
Im Flugsimulator der Familie Staubli darf ich eine Stunde lang Pilotin sein. Die Lämpchen machen mir Sorgen und doch vergeht die Zeit im Flug.
Ein leicht mulmiges Gefühl beschleicht mich, als ich das Dachgeschoss der Familie Staubli in Wohlenschwil betrete. Dort fällt mein Blick auf ein Cockpit, einen wirklichkeitsgetreuen Nachbau einer Boeing 737. Hier soll ich demnächst abheben. Einen Flug nach Nizza schlägt Felix Staubli, ehemaliger Airline-Pilot, Kapitän bei verschiedenen Airlines und Erbauer dieses Flugsimulators, vor. «Eine Stunde, zehn Minuten werden wir unterwegs sein», meint er. Ich hatte mit weniger gerechnet. Genf vielleicht oder eine Runde über dem Hallwilersee. Abheben und bald wieder landen. Es hätte mir gereicht. Klar, auch ich wollte mal Flight Attendant werden. Pilotin aber war nie ein Traumberuf. Jetzt, beim Anblick von Bildschirmen, Schaltern und einem Schubhebel in der Mitte, von Lämpchen, die wie ein Christbaum aufleuchten und deren Funktionen mir schleierhaft sind, frage ich mich, wie komme ich da wieder raus? Oder vielleicht doch eher hoch? – Immerhin in ich deswegen hier. In der Redaktion fiel die Wahl für dieses Experiment, wovon manche mit Sicherheit träumen dürften, auf mich – gerade weil sich meine Affinität für Technik und Motorfahrzeuge in Grenzen hält. Auto fahren habe ich spät gelernt. Ich bereue es nicht. Aber lieber fahre ich Velo, nehme den Zug.
Eine Leidenschaft im Doppelpack
Unterm Dach der Familie Staubli zeigt sich rasch, Fliegen ist nicht nur die grosse Leidenschaft von Felix Staubli, es ist auch diejenige seiner Frau Sandra. Als langjährige Flugbegleiterin hat sie den Bau des Flugsimulators mitgestaltet. «Kaum ist man in der Luft», schwärmt Felix Staubli, «ist man wirklich am Fliegen». Es würde ihm sonst keinen Spass machen. «In diesem Simulator kann man 90 Prozent trainieren, alles funktioniert.» Aktuell sei er sogar dran, Notfälle durchzuspielen, zum Beispiel einen Triebwerkausfall simulieren. Die Ergebnisse seien verblüffend, erklärt er und lacht. Piloten in Ausbildung könnten in diesem Cockpit denn auch problemlos das «Flight Management System» üben.
Staubli fährt den Simulator hoch, in den Fenstern des Cockpits erscheinen die Rollbahnen des Flughafen Zürich, darüber ein wolkenverhangener Himmel. – Nicht viel anders sieht es auch vor dem Fenster in Büblikon aus: Grau und bewölkt. «Wir arbeiten mit aktuellsten Wetterdaten, die wir online beziehen. Eine Software rechnet sie in ein Bild um», erklärt Felix Staubli. Auch der Geräuschpegel lässt keine Zweifel offen, verhalten dröhnen die Triebwerke. Felix Staubli bittet mich, auf dem Pilotensitz Platz zu nehmen. Er selbst nimmt die Funktion des Co-Piloten ein. Ruhig erklärt er die Handgriffe. Die meisten führt er selbst aus.
Kurz wird es im Cockpit hektisch
Mich beruhigt er mit den Worten, dass er bei allem assistieren werde. «Ohnehin kann im Flugsimulator nichts schief gehen.» Eine Schieflage vielleicht, aber mit Sicherheit kein Absturz, zumindest nicht mit Blessuren. Neugier und Erwartungshaltung steigen. Wir geben Schub, die Triebwerke dröhnen auf, langsam beginnt die Boeing über die Piste 28 zu rollen. Mit dem Steuer bewege ich das Bugrad und versuche, die Nase des Flugzeugs in der Mitte, auf der gelben Linie zu halten. Mehr muss ich nicht tun. Und das gelingt.
Wir geben Schub, man glaubt, die Beschleunigung förmlich zu spüren, schon naht das Ende der Rollbahn. Kurz wird es im Cockpit hektisch, das Flugzeug hebt ab. Ob ich das Abheben mir zuschreiben darf, weiss ich nicht. Einerlei, wir gewinnen an Höhe. Ich verspüre Stolz. Und Felix Staubli lacht.
Die Boeing steht steil in der Luft
Wir steigen und steigen. Bald sind wir über den Wolken. Statt grau nun blau. Wir sind zu langsam, müssen beschleunigen. «250 Knoten», empfiehlt Felix Staubli. Das Flugzeug steht plötzlich steil in der Luft und im Cockpit ertönen Warnsignale. Staubli aber bleibt ruhig. «Es kann nichts passieren», sagt er, reguliert und schlägt schliesslich vor, den Autopiloten einzuschalten. Unter uns liegt Andermatt. Ich bin erleichtert.
Wir halten Kurs und Staubli erzählt, wie er zum Fliegen kam. Er sei in Sulz bei Künten aufgewachsen. Im Alter von 17 Jahren habe er auf dem Flugplatz Birrfeld das Segelflugbrevet gemacht. Es folgte die Ausbildung zum Privat-, danach zum Berufspiloten. «Die Faszination fürs Fliegen begleitete mich seit eh und je», sagt er. In Künten ist auch Sandra Staubli aufgewachsen. Kennengelernt aber haben sich die beiden erst übers Fliegen, über ihre gemeinsame Leidenschaft.
Wir wechseln den Platz
Die Zeit vergeht im Flug. Wir bereiten die Landung vor. Noch bleiben rund 20 Minuten. Alles scheint einfach. Unter uns liegt Nizza, das Meer breitet sich vor uns aus. Der Flughafen soll vom Wasser her angeflogen werden. Vielleicht wäre es doch besser, überlege ich mir, die Steuersäule dem erfahrenen Piloten zu überlassen? In letzter Minute wechseln wir den Platz und ich denke: Guter Entscheid. 400 Meter über Meer, die Fahrwerke sind ausgefahren und Felix Staubli setzt zur Landung an.
Heidi Hess
Der ehemalige Airline-Pilot Felix Staubli überlässt Aviatik-Begeisterten im Erlebnis- und im professionellen Bereich im Flugsimulator den Sitz des Captains. – Infos: flysimulator.ch.