Im Alterszentrum zuhause – auch ohne geschützten Demenzbereich
26.04.2024 SeniorenSimon Paul Kleiner, Bereichsleiter Pflege
«Zurück in die Kindheit», so hiess es früher, wenn jemand an Demenz erkrankt war. Die Bedürfnisse von Menschen mit Demenz sind tatsächlich denen von Kindern ähnlich. Sie brauchen mehr Nähe, Sicherheit, ...
Simon Paul Kleiner, Bereichsleiter Pflege
«Zurück in die Kindheit», so hiess es früher, wenn jemand an Demenz erkrankt war. Die Bedürfnisse von Menschen mit Demenz sind tatsächlich denen von Kindern ähnlich. Sie brauchen mehr Nähe, Sicherheit, Geborgenheit und Vertrauen. Kinder haben auch verstärkte Gefühle wie Trauer, Wut oder Angst. Man stelle sich nur vor, wie es sich anfühlen muss, wenn man plötzlich - wie ein Kind nach dem Mittagsschlaf - nicht mehr weiss, wo man gerade ist, und wie man dahin gekommen ist. Überforderung und Angst kann sich auch bei Angehörigen zeigen: «Was, wenn mein Vater irgendwann nicht mehr in der Lage ist, seine Bedürfnisse zu äussern?» Auch für Pflegepersonen können herausfordernde Situationen entstehen, wenn z.B: wichtige Massnahmen wie beruhigende Betreuungsangebote oder Therapien von Betroffenen abgelehnt werden.
Wir haben daher ein neues Konzept «Umgang mit Menschen mit Demenz» entwickelt. Es beschreibt, wie mit ebendiesen Veränderungen besser umgegangen werden kann, und nach welcher Philosophie Menschen mit Demenz bei uns ein Zuhause finden.
Das Alterszentrum verfügt über keinen geschützten Demenzbereich. Erkrankte leben zusammen mit anderen Bewohnenden auf der Abteilung, und nehmen auch die Mahlzeiten gemeinsam mit ihnen ein. Diese Wohnform nennt man auch «integrative Demenzpflege». Es ist für uns eine Selbstverständlichkeit, dass betroffene Bewohnende an allen Aktivitäten - wie zum Beispiel dem Programm der Soziokultur - teilnehmen dürfen. Erkrankten Personen wird Normalität gewährt und deren Wunsch nach Selbständigkeit grösstmöglich respektiert. Beim integrativen Pflegeansatz geht es darum, alle in den Alltag zu integrieren, sowie Struktur, Aktivitäten, aber auch Rückzugsorte bieten zu können.
Die Selbstverständlichkeit, dass alle unter einem Dach leben, ohne jemanden auszugrenzen oder zu benachteiligen, widerspiegelt eine Philosophie, die im Leitbild des Alterszentrums steht. Darin wird festgehalten, dass wir die Autonomie unserer Bewohnenden in jeder Phase des Lebens unterstützen, und sie jederzeit in ihrem physischen und psychischen Zustand achten. Dieser Betreuungsansatz wird nicht nur von den Mitarbeitenden gelebt. Auch die Bewohnenden im Alterszentrum kümmern sich liebevoll um ihre Mitmenschen. Wenn eine betroffene Person verloren ist und nicht weiss wohin, wird diese von jemandem ins Zimmer begleitet. Die tägliche Jassgruppe nimmt jeden in die Gemeinschaft auf. Ohne mit der Wimper zu zucken, wird während des Spiels vielleicht einmal mehr wiederholt, was gerade «Trumpf» oder wer an der Reihe ist.
Trotz dieser gelebten Herzlichkeit gibt es bei Menschen mit Demenz auch Krisensituationen. Beispielsweise dann, wenn nicht verstanden wird, warum Hilfe bei der Körperpflege durch die Pflegeperson wichtig wäre, oder wenn jemand unbedingt nach Hause muss, aber den Weg nicht weiss. Wussten Sie, dass Personen mit Demenz besonders abends dazu tendieren, Unruhe und Unwohlsein zu verspüren? Dann, wenn man früher «nachhause» musste. Dann, wenn die Kinder etwas zu Essen brauchten, die Wäsche gebügelt werden sollte, oder die Kühe in den Stall mussten. In Fachkreisen trägt dieses Symptom den passenden Namen «Sundowning», auf Deutsch «Sonnenuntergang».
Im Konzept wird beschrieben, wie solche herausfordernden Situationen begleitet werden, und was man tun kann, um einem «Sundowning» zu begegnen. Hier gilt es, frühzeitig Unruhe zu erkennen. Meistens hilft es, auf andere Gedanken zu kommen. Sei es, sich im Alltagsgeschehen zu integrieren, das «Zäme sii» unserer Soziokultur zu besuchen, oder auf einen kleinen Spaziergang mit einer Pflegeperson nach draussen zu gehen.
Bei stark weglaufgefährdeten oder täglich vermehrt verhaltensauffälligen Bewohnenden bietet der integrative Ansatz allerdings nicht die erforderliche Struktur. Bei diesen Verhaltensauffälligkeiten werden geschützte Demenzwohngruppen den Symptomen der Krankheit eher gerecht.
Zurück zum Anfang, zurück in die Kindheit: Wieder Kind sein bedeutet auch, die Freude an den kleinen Dingen wieder zu schätzen. Regelmässig sitzt eine Bewohnerin im Durchgang zwischen Haus A und Haus B. Staunend, mit Freude im Gesicht, betrachtet sie die Blumen auf der Wiese. Nicht selten wird man da auch selbst dazu motiviert, diesen Schönheiten des Alltags mehr Beachtung zu schenken. Wenn man dann noch Zeit findet und eine Blume für die Dame pflückt, zaubert man ihr ein Lächeln ins Gesicht, welches noch eine Stunde später sichtbar ist. Menschen mit Demenz vergessen, aber durch die herzliche Art erinnern sie uns auch an Schönes. Neben den schwierigen Momenten und den «Sundownings» geht bei uns durch diese kleinen Augenblicke im Alltag auch immer wieder im Herzen die Sonne auf.
Alterszentrum am Buechberg
Bernardastrasse 3 – 5442 Fislisbach
Telefon 056 484 83 83 – www.buechberg.ch