Metzger, Wetterschmöcker und Manager
26.04.2024 Mägenwil, Region ReusstalDaniel Kneuss (47) wurde als 23-Jähriger Chef von Kneuss Güggeli. Seither gehts nur in eine Richtung – vorwärts
Seit er von seinem Grossvater Ernst als Jungspund an die Spitze von Kneuss Güggeli berufen wurde, befindet sich Daniel Kneuss auf der Überholspur. ...
Daniel Kneuss (47) wurde als 23-Jähriger Chef von Kneuss Güggeli. Seither gehts nur in eine Richtung – vorwärts
Seit er von seinem Grossvater Ernst als Jungspund an die Spitze von Kneuss Güggeli berufen wurde, befindet sich Daniel Kneuss auf der Überholspur. Er führte den Familienbetrieb aus der Krise und trimmte Kneuss Güggeli zum Marktführer. Im Gespräch mit dem «Reussbote» gibt Kneuss Einblick in seine Denkweise. Und er verrät, weshalb für den Erfolg des Unternehmens die richtige Wettervorhersage so wichtig ist.
Die Muotathaler Wetterschmöcker haben echte Konkurrenz aus Mägenwil. Denn Kneuss und seine Mitarbeiter im Verkauf sind ausgewiesene Wetterschmöcker. Nicht etwa aus Spass. Nein, das Wetter ist ein wichtiger Faktor für den Erfolg von Kneuss Güggeli. «Bei schönem Wetter verkaufen wir deutlich mehr als wenn es regnet und kalt ist», sagt Daniel Kneuss, «also müssen wir ständig parat sein».
Der mittlerweile 47-jährige Kneuss empfängt den «Reussbote»-Chronisten in der Güggeli-Stube über dem Güggeli-Shop. Er hat kein eigenes Büro mehr. Das hat er abgeschafft. Die Wände in den Büros wurden herausgerissen. Kneuss legt Wert auf eine offene Bürolandschaft. Er versteht sich selbst als Teil der Mannschaft. «Auch wenn ich der Chef bin, so bin ich nur einer von vielen.» Als Chef will er ein Vorbild sein. «Ich gehe voran und versuche meine Leute mitzunehmen.» Das, so räumt er freimütig ein, sei nicht immer ganz einfach. Vor allem dann, wenn das Temperament überschiesst. Und wenn die Ideen sprudeln. «Ich muss mich dann jeweils etwas zurücknehmen, damit ich meine Umgebung nicht überfordere.» Ein Widerspruch in sich selbst, so scheint es zumindest. Denn einer wie Daniel Kneuss geht im Eilschritt durchs Leben.
Qualität kommt stets zuerst
Sein Leben hat er durchgetaktet. Zumindest wenn es um die Firma geht, ist jede Minute verplant. Es scheint zuweilen, als ob er gleichzeitig an mehreren Orten anzutreffen sei. Mal ist er Metzger, mal Marketingchef, Produktions- bzw. Personalleiter oder IT-Metzger oder dann gar Technik-Metzger, wie er spasseshalber sagt. Er will stets wissen was im Betrieb läuft. «Ich bin ein Kontrollfreak», gibt er freimütig zu. «Denn das was wir machen, wollen wir richtig und gut machen.» Er erinnert sich an Grossvater Ernst, der stets Qualität gepredigt habe.
Firmengründer Ernst Kneuss starb am 26. September 2018 im Alter von 93 Jahren. Noch am Tag zuvor war er, wie alle Tage zuvor, im Betrieb auf Besuch. «Er sagte immer und immer wieder zu mir: ‹Dani, Qualität, Qualität, Qualität›».
Die Wetterschmöcker
Zurück zu den Wetterschmöckern: «Wir müssen bei unseren Wetterprognosen lange vorausschauen», sagt Kneuss. Genau genommen exakt 13 Wochen. So lange dauert der Zyklus vom ausgeschlüpften Küken bis zum gewünschten Kneuss Güggeli. 70 Bauernbetriebe sorgen für den Nachschub. Sie sind in einem Verein zusammengefasst. In diesem Gefäss kommen Kneuss und die Bauern regelmässig zusammen, um anstehende Themen zu besprechen. Kneuss: «Wir legen Wert auf eine offene Partnerschaft. Die für uns produzierenden Bauern und wir sind ein Team. Wir sind aufeinander angewiesen.» Nicht zuletzt, weil es um Tierschutz und ums Tierwohl gehe. Die Branche steht unter ständiger Beobachtung von Tierschutzorganisationen und Verbraucherschutz. «Wir tun denn auch alles Erdenkliche, damit es den Tieren gut geht», sagt Kneuss. «Wenn es den Tieren gut geht, dann geht es auch uns gut», lautet sein einfaches Kredo. Kneuss verweist auf die vielen Zertifizierungen. Es gibt kaum einen Betrieb in der Schweiz, der so viele Qualitätsnachweise erbringen kann, wie das Mägenwiler Unternehmen. In der Firma sind dauerhaft vier Veterinäre vom Amt für Verbraucherschutz im Einsatz. Zudem beschäftigt Kneuss vier weitere Personen ausschliesslich für die Qualitätssicherung.
«Man muss den Markt spüren»
Und wie soll das mit der Wettervorhersage über eine solch lange Periode funktionieren? «Wir haben kein Warenlager», erklärt Kneuss. «Unser Warenlager ist im Stall der Bauern zu finden.» Um das mit der Wetterprognose zu veranschaulichen, macht Kneuss ein aktuelles Beispiel: Es ist der 9. April, ein Dienstag. Die Temperaturen sind gefallen. Das Thermometer zeigt gerade noch acht Grad an, gegenüber 26 Grad am Vortag. Aber auf das kommende Wochenende sind wieder 24 bis 26 Grad angesagt. Sonnenschein. «Echtes Grillwetter. Darauf müssen wir vorbereitet sein.» Zusammen mit einigen Mitarbeitern trifft sich Kneuss viermal am Tag zur Lageanalyse. Das Gremium entscheidet fortlaufend, wie viel für den nächsten Tag produziert werden muss. Dafür brauche es «Marktfeeling», sagt Kneuss. Und einen guten Verkaufsapparat.
Wie an der Börse
Sechs Mitarbeiter im Verkauf informieren die Endverkäufer über das Grillwetter vom kommenden Wochenende. Und sie offerieren zielgenau, was die Konsumenten wünschen. «Es geht zu und her wie an der Börse.» Tempo ist alles. Kommunikation mit der Kundschaft und das richtige Timing sind matchentscheidend, Logistik ebenso. Um 13 Wochen vorauszuschauen, werden umfangreiche Wetterdaten vergangener Jahre beigezogen. Aber letztlich geht es darum, kurzfristig den Betrieb auf die Bedürfnisse der Konsumenten auszurichten. Die Angebotspalette umfasst 680 Produkte. Nicht mehr so viele wie auch schon. «Wir haben unsere Auswahl schon um die Hälfte reduziert», sagt Kneuss. Wer es wissen will, schaut auf die Homepage kneuss.com. Und wers genau wissen will, sollte sich etwas Zeit nehmen. Kaum zu glauben, was Kneuss rund ums Güggeli alles kreiert – und zelebriert. Kneuss arbeitet mit Spitzenköchen und Foodentwicklern zusammen. Er ist ständig dabei Neues auszuprobieren.
Grossvater als Vorbild
Daniel Kneuss stand schon als kleiner Bub im Betrieb seines Grossvaters, der 1960 in Mägenwil eine kleine Farm erwerben konnte. Der Anfang war ein Desaster, erzählte Ernst Kneuss vor Jahren. Die ersten 100 Küken wollten nicht schlüpfen. Totalschaden. 2015 erzählte Ernst Kneuss am Küchentisch gegenüber dem «Reussbote» wie er damals auf die Idee kam, auf Güggeli zu setzen. Eine durch und durch verrückte Idee. Denn damals wurden am Markt nur Hennen gezüchtet, weil die wesentlich mehr hergaben als Güggeli.
Es habe schon einen «harten Grind» gebraucht, sagte der alte Kneuss. Aber dank der Unterstützung seiner Marie, die mit ihm all die Jahre durch dick und dünn gegangen sei, habe man sich wirtschaftlich über Wasser halten können. Damals hätten sie die Güggeli im Waschtrog des Wohnhauses noch von Hand gerupft und auf den Markt in Baden gebracht. Der Rest ist Legende. Genauso, wie er Jahre nach seinem Rückzug aus der Firma in eine Sitzung geplatzt sei, um seinen Nachfolgern die Kappe zu waschen und interne Streitereien in der Art eines Patrons zu klären. Das war im Jahr 2000. Damals entschied der Firmengründer, seinen erst 23-jährigen Enkel Daniel an die Spitze des Unternehmens zu setzen. Wie sich im Rückblick herausstellt, ein weiser Entscheid.
Die Metzgerlehre hat Daniel Kneuss bei der Lüthi Metzgerei in Hausen bei Brugg gemacht. Diese Metzgerei existiert noch heute und ist weit herum bekannt für ihre exzellente Qualität. «Dort habe ich gelernt, fertig zubereitete Produkte herzustellen», sagt Kneuss. Als er vom Grossvater schon so jung an die Spitze des Unternehmens gerufen wurde, zögerte Kneuss keine Sekunde. Mit der Familie im Rücken konnte er seine ganze Kreativität und seine Dynamik in die Waagschale werfen.
Aussiedlung auf die grüne Wiese
Zumal der Betrieb zu jenem Zeitpunkt vor einem Quantensprung stand. Der Familienrat hatte beschlossen, den damaligen Betrieb mit 43 Mitarbeitern auf die «grüne Wiese» auszusiedeln. Die alten Strukturen waren nicht mehr zeitgemäss. Es fehlte an Platz und moderner Infrastruktur, um weiter zu wachsen. Anfang 2000 nahm die neue Fabrikationsanlage ihren Betrieb auf. Seither wurde der Betrieb laufend erweitert, modernisiert – und ein eigenes Parkhaus wurde realisiert. 170 Mitarbeiter und die vielen Besuchenden brauchen schliesslich Parkplätze. Nicht zuletzt wurde in die Nachhaltigkeit und in die CO2-Reduktion investiert. Aber jetzt sei genug. Daniel Kneuss will nicht mehr partout wachsen. So sagt er jedenfalls. «Im Gegenteil, wir wollen schrumpfen.»
«Wenn wir so weiter gemacht hätten, wären wir zu weiterem Wachstum gezwungen gewesen. Aber bis wohin?» Das ist ein heikler Balanceakt. Denn Kneuss Güggeli hat sich unter seiner Lokomotive Daniel Kneuss zu einer absolut führenden Marke im Güggeli-Bereich entwickelt. Der Markt verlangt, was ihm versprochen wird. Da ist es schwierig mit dem Schrumpfen. «Deshalb haben wir Qualität als oberste Maxime definiert, und nicht schieres Wachstum.» 2018 habe er der Firma eine Schrumpfkur von 25 Prozent verordnet. «Und was ist passiert? Wir sind wieder gewachsen.» Schrumpfen, um wieder zu wachsen, heisst das im Klartext.
Barfuss hinter der Dorfmusik her
Allem Erfolg zum Trotz: Daniel Kneuss ist der Mägenwiler Bub geblieben, der einst, wie er selbst sagt, «barfuss hinter der Dorfmusik hergelaufen ist.» Jene Dorfmusik, in der er viele Jahre das Flügelhorn geblasen hat und im Vorstand aktiv war. Das Flügelhorn hat er mittlerweile zur Seite gelegt. Auch der Guggenmusik «Mägi-Chlöpfer», die er einst mitbegründete, hat er tschüss gesagt. Die Prioritäten sind heute andere. Daniel Kneuss lebt seit Jahren in der Innerschweiz, mit bester Aussicht auf die Bergwelt. Der Liebe wegen. Mit seiner Frau Karin hat er zwei Kinder, beides Buben. Gefunkt hats vor 15 Jahren, bei einer Betriebsbesichtigung. Sie ist längst für das Marketing, den Güggeli-Shop und Teilbereiche der Personalführung zuständig. Daniel Kneuss ist Frühaufsteher. Er steht jeden Tag um 4.45 Uhr auf. Um 5 Uhr macht er einen ersten Check in der Firma. «Digitale Betriebsbesichtigung», nennt er das. Erst dann widmet er sich dem Frühsport. Das muss sein. Täglich. Man siehts ihm an. Der ungekrönte Güggeli-König der Schweiz ist topfit. Trotz wenig Schlaf. Maximal sechs Stunden müssen in der Regel reichen. «Das geht schon, wenn man Freude hat an dem was man tut», stellt er klar.
Im Halbstundentakt finden Meetings statt. Das erste um 8 Uhr. Nach jedem Meeting würden Entscheidungen gefällt. «Ich höre zu und erwarte Lösungsvorschläge.» Kneuss nennt das «sportlich». Ein häufig gebrauchtes Wort in seinem Vokabular.
Der moderne Marktschreier
Dabei stellt er gerne seine Leistung unter den Scheffel. Er mache ja nur das, was schon sein Grossvater getan habe. Der sei nämlich ein ausgezeichneter Marktschreier gewesen, der auf dem «Märit» in Baden seine selbst gerupften Güggeli feilgeboten habe. Der Begriff Kneuss Güggeli sei eine Markenkreation des Grossvaters.
Als er vor 24 Jahren in den Betrieb kam, habe er ein Faxgerät vorgefunden. «Eines das 99 Nummern speichern konnte. Ich habe damit begonnen, laufend Angebote an Metzgereien und Verkaufsstellen zu senden. Es kam vor, dass ich von Kunden gebeten wurde, etwas weniger zu faxen. Denn das Faxpapier war damals teuer. Und das mussten die Empfänger zahlen. So wurde ich ebenfalls ein Marktschreier mit neuen Methoden.»
Modernes Management
Daniel Kneuss liebt es hemdsärmelig. Er sagt denn auch jedem ungeschminkt, er sei Metzger von Beruf und Marktschreier. Von seinen Weiterbildungen erzählt er nur am Rande. Wer ihn nicht kennt, vermutet in Daniel Kneuss einen mit allen Wassern gewaschenen Marketingprofi, mit Ausbildung als Betriebswirtschafter. Ein Kommunikationsprofi vor dem Herrn. Dabei kann er es mit den Arbeitern draussen im Betrieb genauso gut, wie mit den produzierenden Bauern und den Einkaufsbossen grosser Betriebe. Er selbst sieht sich als «angenehmer» Chef, «aber ein fordernder!» Er nervt sich nur, wenn jemand keine Lösungen hat. Daniel Kneuss ist alleiniger Aktionär der Firma, die als «Ernst Kneuss Geflügel AG» eingetragen ist. Das verpflichtet. «Wir wollen ein moderner Arbeitgeber sein.» Darunter versteht er nicht zuletzt, dass die Mitarbeiter mitreden können. Innovation und gute Ideen werden gefördert und belohnt.
Die Firma soll für Verlässlichkeit stehen. «Was wir versprechen, wollen wir auch einhalten. So haben wir definiert, dass sämtliche Bestellungen, welche bis 12.00 Uhr bei uns eintreffen, am Folgetag pünktlich ausgeliefert werden.»
Unbemannter Güggeli-Shop
Und wie es sich für einen Patron gehört, schaut Daniel Kneuss laufend in die Zukunft. So beschäftigt er sich mit dem «unbemannten Einkaufen». 24/7, also rund um die Uhr. In Luzern auf dem Pilatusplatz hat Kneuss einen voll automatisierten Verkaufscontainer aufgestellt. Ein Pilotprojekt. Zutritt mit dem Smartphone über eine App. Die Waren werden selbst gescannt und digital bezahlt. Wer es versuchen will: Auch vor dem Kneuss Güggeli-Shop in Mägenwil steht ein solcher Container, in dem rund um die Uhr frische Kneuss Güggeli gekauft werden können. Das nennt Kneuss Anpassungsfähigkeit an den Markt in einer sich schnell wandelnden Zeit. «Wie schon mein Grossvater in den Gründungsjahren, gehen wir damit zurück auf den Markt, direkt an den Endkonsumenten und wollen den Puls der Zeit fühlen.» Wen wird es wundern, wenn schon bald im ganzen Land unbemannte Kneuss Güggeli-Shops stehen werden? Den Chronisten jedenfalls nicht.
Beat Gomes