«Eine Schule, die stehen bleibt, lebt nicht»
28.06.2024 Oberrohrdorf-Staretschwil, Region RohrdorferbergChristof Zehnder arbeitete über 40 Jahre lang als Lehrer, danach auch als Schulleiter – jetzt wird er pensioniert
Schulleiter Christof Zehnder erzählt, warum er bei seiner ersten Stelle in Obersiggenthal Glück hatte, warum er nach 20 Jahren Schule einen Abstecher in die ...
Christof Zehnder arbeitete über 40 Jahre lang als Lehrer, danach auch als Schulleiter – jetzt wird er pensioniert
Schulleiter Christof Zehnder erzählt, warum er bei seiner ersten Stelle in Obersiggenthal Glück hatte, warum er nach 20 Jahren Schule einen Abstecher in die Privatwirtschaft machte und was er von Schulreformen hält.
Als junger Seminarist absolvierte Christof Zehnder in Mellingen Mitte der 1970er-Jahre ein Praktikum bei einem älteren Lehrer. Otto Müller hiess dieser Pädagoge, hatte ein Leben lang unterrichtet. Müller stand damals kurz vor seiner Pensionierung. Und der junge Seminarist staunte, mit welcher Begeisterung Otto Müller auch nach vielen Jahren seinen Unterricht gestaltete. «Ich wünschte mir damals, dass mir dies eines Tages ebenfalls gelingen wird.»
In diesem Sommer, über 40 Jahre später, wird Christof Zehnder pensioniert. Bis auf einen kurzen Abstecher in die Privatwirtschaft, blieb er der Schule treu. Dabei war sein Einstieg kein einfacher: Er habe Glück gehabt, meint er, bei seiner ersten Anstellung als Lehrer.
◆ Warum Glück, Herr Zehnder?
Christof Zehnder: Bei massivem Lehrerüberfluss konnte ich als einer der wenigen Absolventen des Lehrerseminars Wettingen nach über 60 Bewerbungen eine Stelle ergattern. Vermutlich dank etwas Vitamin B. Ich war sehr intensiv in der Jugendarbeit engagiert, in der Jungwacht. Wir pflegten gute Beziehungen zu Obersiggenthal. Dort war damals die Mutter einer Kollegin Schulpflegerin. Das half: Ich konnte mich vorstellen. Das alleine war schon ein Riesenglück.
◆ Damals herrschte – anders als heute – ein Überfluss an Lehrpersonen.
Massivst. Von 20 ausgebildeten Lehrern in meiner Seminar-Klasse fanden nur drei oder vier eine Stelle. Alle anderen suchten Alternativen, sie studierten weiter, gingen zu Banken oder in die Privatwirtschaft.
Im Frühling 1979 stand der junge Lehrer in Obersiggenthal vor 33 erwartungsvollen Kindern der 3. Primarklasse. Eine grosse Klasse. Wie er sie managte, wisse er nicht mehr so genau, erzählt er. Aber es funktionierte und Christof Zehnder hatte vom ersten Tag an Spass an seinem Beruf.
◆ Wenn Sie an Ihre Anfänge zurückdenken, woran erinnern Sie sich?
Daran, wie leicht Schulkinder in diesem Alter zu begeistern sind. Wir konnten vieles machen, was über den normalen Unterrichtsstoff hinausging. Ausflüge zu den Römern in Vindonissa, im Wald gruben wir Lehm aus, den wir selbst brannten – das waren Highlights.
◆ Sie waren Primarschullehrer, liessen sich zum Sekundarlehrer weiter bilden und unterrichteten auf dieser Stufe auch. Was ist das Schöne am Unterrichten?
In den letzten 30 Jahren unterrichtete ich, auch in der Zeit als Schulleiter mit einem kleinen Pensum, Jugendliche in der Oberstufe. Auch diese Jugendlichen, mitten in der Pubertät, kann man begeistern, ihnen etwas mitgeben und sie formen. Das ist eine grosse Motivation. Man muss die Schülerinnen und Schüler mögen, sie positiv sehen und etwas investieren. Dann kommt sehr viel zurück.
◆ Was konnten Sie persönlich Ihren Schülerinnen und Schülern mitgeben?
Vielleicht eine positive Lebenseinstellung? Das zumindest wäre mein Anliegen. Die Erkenntnis, dass Vieles möglich ist, wenn man sich engagiert, etwas durchzieht, auch wenn es anstrengend wird. Oder Wertschätzung, auf die Jugendlichen eingehen. Jahre später grüssen mich häufig diejenigen, mit denen ich die schwierigsten Auseinandersetzungen erlebt hatte. Sie zeigen grosse Wertschätzung und sind froh, dass sie damals ernst genommen wurden.
◆ Ihr eigener Weg im Berufsleben war kein geradliniger. Sie bildeten sich weiter, machten auch einen Abstecher in die Privatwirtschaft. Warum?
Ich unterrichtete 13 Jahre lang in Oberrohrdorf, zuvor sechs Jahre in Obersiggenthal – ich hatte also schon 20 Jahre lang unterrichtet.
◆ Sie hatten genug?
Irgendwann gelangen in diesem Beruf alle an einen Punkt, wo sie sich fragen: Mache ich die nächsten 20 Jahre so weiter oder gibt es noch eine Welt ausserhalb? Ich profitierte in den 1990er-Jahren davon, dass ich in Oberrohrdorf die noch junge Informatik aufbauen konnte, dadurch kam ich mit verschiedenen Firmen in Kontakt und erhielt Angebote.
◆ Konkret?
Mich reizte der Wechsel von der Schule in einen Informatikbetrieb; ich sollte die Lehrlingsausbildung aufbauen.
◆ Ihr Abstecher war von kurzer Dauer. Sie kamen nach zwei Jahren zurück in die Schule.
Diese Firmen erlebten um die Jahrtausendwende grosse Krisen. Es gab Personaleinsparungen, in meiner Firma wurde ein grosser Teil der Mitarbeitenden entlassen, gerade mal eine Handvoll konnten bleiben. Die Ausbildung von Lernenden war kein Thema mehr. Weil ich zudem für den Personalbereich zuständig war, musste ich Leute auch entlassen – das war die Kehrseite der Medaille. Für mich war es der Moment, zurückzukehren. Bereut habe ich den Abstecher nie. Aber ich erkannte, dass die Schule mein Umfeld ist, die Arbeit mit Menschen, das Kreative, die verschiedenen Werkstätten, die Musik ...
Christof Zehnder war Sekundarlehrer, Stufenleiter, auch Rektor und mit Einführung der geleiteten Schule im Jahr 2005 interessierte er sich für die Schulleitung, absolvierte dafür eine Ausbildung. Ab 2007 war er Schulleiter an der Primarschule in Oberlunkhofen und dann in Oberrohrdorf. Er erlebte in dieser Phase zahlreiche Schulreformen.
◆ Wie erleben Sie die Reformen, die den Bildungsbereich bewegen?
Die Weiterentwicklung der Schule finde ich sehr wichtig: Eine Schule, die stehen bleibt, lebt nicht. Neue Anforderungen, neue Rahmenbedingungen sind spannend. Allerdings war in den letzten Jahren die Kadenz an Veränderungen hoch.
◆ Mit welchen Auswirkungen?
Es blieb kaum Zeit zur Konsolidierung: Umsetzen, auswerten, wenig Zeit zur Optimierung – und bereits stand das nächste Projekt vor der Türe. Das fordert das Team, kann es überfordern. Es fordert auch die Schulleitungen. Allerdings ist sehr vieles möglich, wenn man kontinuierlich dran bleibt.
◆ Was war schwierig?
Eine grosse Herausforderung ist die Ebene Eltern. Beim Grossteil der Kontakte funktioniert die Zusammenarbeit Schule und Eltern sehr gut, ist konstruktiv. Bei grossen Meinungsverschiedenheiten akzentuieren sich allerdings in den letzten Jahren massivste Forderungen von Elternseite. Vor allem die Art und Weise wie Konflikte ausgetragen werden, ist manchmal grenzüberschreitend. Das ist eine unschöne Entwicklung. Es ist eine wichtige Aufgabe der Schulleitung, hier Grenzen zu setzen.
Im Sommer wird Christof Zehnder pensioniert. Rückblickend meint er: «In all den Jahren hatte ich nie das Gefühl, die Schule sei mir verleidet. Auch heute noch bin ich sehr motiviert, im Schulumfeld zu arbeiten.» Es schliesst sich ein Kreis: Wie seinem Vorbild Otto Müller ist ihm gelungen, was er während seines Praktikums in jungen Jahren beim erfahrenen Lehrer bewundert hatte.
◆ Sie räumen auf, in Ihrem Büro ist Ihre Nachfolgerin Carole Feusi bereits mit der Co-Schulleiterin Susan Held im Gespräch ... Und jetzt?
Ich wollte bewusst einen Schnitt machen. Ich erhielt Anfragen auf Mandatsbasis. Offenbar sind pensionierte Schulleiter für verschiedene Funktionen gefragt. Zunächst aber freue ich mich auf private Projekte. Im gestalterischen Bereich zum Beispiel auf Arbeiten mit Metall in meiner eigenen Werkstatt. Oder auf sportliche Aktivitäten mit meiner Frau: Wir sind gerne in den Bergen unterwegs, Andermatt ist unsere zweite Heimat. Wir sind auf Hochtouren, fahren Ski, gehen biken und vieles mehr.
Heidi Hess