Für neuen Glanz wird am alten Lack gekratzt
19.07.2024 Mellingen, Region ReusstalDas massive Kirchenportal der Stadtkirche wird generalüberholt, mit Spachtel, Pinsel und Lösungsmitteln wird alter Lack entfernt
Michael Kaufmann hat viel Geduld, Freude an Formen, an Fratzen und Friesen. Er erzählt, warum er nach manchem Arbeitstag dennoch gerne zur Axt ...
Das massive Kirchenportal der Stadtkirche wird generalüberholt, mit Spachtel, Pinsel und Lösungsmitteln wird alter Lack entfernt
Michael Kaufmann hat viel Geduld, Freude an Formen, an Fratzen und Friesen. Er erzählt, warum er nach manchem Arbeitstag dennoch gerne zur Axt greift und Holz spaltet.
Kein Weg führt in diesen Tagen durch das Hauptportal in die Mellinger Stadtkirche. Zwar können alle hineinschauen, die Türflügel aus schwerem Eichenholz stehen weit offen. Wer im Städtli aber die katholische Kirche betreten will, muss durch den Seiteneingang – so steht es auch auf der Notiz, die am rotweissen Absperrband befestigt ist. Im Eingang, neben der massiven Kirchentüre, sitzt auf einem kleinen Schemel Michael Kaufmann, Restaurator. In der Hand einen feinen Spachtel, neben sich auf einem Rollwagen eine Kiste mit filigranem Werkzeug: Viele Pinsel, mehrere Spachtel in verschiedenen Grössen, auch Flaschen mit Lösungsmittel, Gläser, Becher, Watte oder Lumpen liegen auf dem Wagen griffbereit.
Die Restauratoren arbeiten seit bald drei Wochen im Haupteingang, entfernen chemisch und mechanisch den alten Lack von der Türe, lösen ihn von Schnitzereien und aus Fugen. Nur langsam kommen sie vom Fleck, schaben in den Spalten, heben kleine Lackschollen von Flächen. An diesem Morgen arbeitet der Handwerker, der in Muri das Atelier Kaufmann, Konservierung und Restaurierung, betreibt, alleine. In der Regel seien sie aber zu zweit oder zu dritt, sagt er. Ihm zur Seite stehen seine Mitarbeiterin Isabelle Rippmann sowie die ehemalige Mitarbeiterin Selina Gentinetta.
Holz hacken zum Ausgleich
Ob ihm denn nicht langweilig werde, bei dieser kleinteiligen Arbeit, die so sorgfältig ausgeführt werden muss? «Geduld braucht es schon», meint der Restaurator. Vom langen Hocken spüre er von Zeit zu Zeit auch den Rücken. Und an manchem Feierabend erkenne man trotz stundenlanger Arbeit kaum einen Fortschritt, meint er – nach getaner Arbeit kaum ein Resultat. «Da suche ich schon mal einen Ausgleich», sagt er. Holzhacken zum Beispiel, wo sich innert kurzer Zeit die Holzscheite stapeln, sei eine Möglichkeit. Vor allem liebe er an seiner Arbeit als Restaurator und Konservator, das Studieren der verschiedenen Formen. Die beiden Mellinger Türflügel bieten dafür ein breites Spektrum. Fratzen, Früchte, Ranken, Zierelemente und Friese, ganz oben am Rahmen auch ein sogenanntes «Eierstab»-Fries. «Alles typische Elemente einer klassischen Renaissance-Türe, sehr verspielt», kommentiert Kaufmann.
Die Mellinger Eichentüre datiert aus dem Jahr 1657. Michael Kaufmann kennt dazu noch ein paar Geschichten: «1910 wurde das alte Portal im Kunsthandel verkauft – vermutlich war es in einem schlechten Zustand.» Es sei in der Folge eine Kopie hergestellt worden, die aber etwas plump wirkte. «Erst im Rahmen einer umfangreichen Kirchensanierung konnte die alte Türe, die 1910 verkauft worden war, im Jahr 1970 wieder zurückgekauft werden.» In der Folge sei ein Schutzlack über das Holz gestrichen worden, um die Türe vor Verwitterungseinflüssen zu schützen. Was sich jedoch als nicht ideal erwies, das Wasser drang dennoch ins Holz.
Statt Lack gibt es nun Leinöl
Diesen Lack entfernen Michael Kaufmann und seine Mitarbeiterinnen nun seit einigen Tagen. Es ist eine mühselige Angelegenheit: Der aus damaliger Sicht «hochwertige» Lack wird mit einem Abbeizmittel abgelöst, mit dem Spachtel weggekratzt und schliesslich chemisch nachgereinigt. Sobald alles freigelegt ist, wird das Eichenholz geölt. «Mit Leinöl, wie es schon seit Jahrhunderten für solche Zwecke verwendet wird», sagt der Restaurator, der ursprünglich in Brienz Holzbildhauer gelernt hatte und sich danach an der Hochschule für Gestaltung zum Restaurator und Konservator ausbilden liess. «Einmal geölt», sagt Kaufmann, «wird die Türe alle zwei bis drei Jahre gepflegt und nachgeölt.»
Heidi Hess




