Von der albanischen Çifteli und Schnabelwetzern
12.07.2024 Mellingen, Region ReusstalChristian Fotsch ist viel um die Welt gekommen. Die Erlebnisse widerspiegeln sich in seiner Musik – die er auch Kindern gerne näher bringt.
Er hat die Welt bereist und die verschiedensten Kulturen kennen und lieben gelernt. Er spricht sieben Sprachen und spielt Instrumente aus ...
Christian Fotsch ist viel um die Welt gekommen. Die Erlebnisse widerspiegeln sich in seiner Musik – die er auch Kindern gerne näher bringt.
Er hat die Welt bereist und die verschiedensten Kulturen kennen und lieben gelernt. Er spricht sieben Sprachen und spielt Instrumente aus noch mehr Ländern. Davon zeugen die exotischen Saiteninstrumente in seinem Haus in Mellingen. Christian Fotsch ist ein Mann von Welt, auch wenn er sich selbst nie so nennen würde. Ist er ebenso ein Freigeist? «Ich würde mich eher als offenen Menschen bezeichnen», sagt der Musiker.
Der 61-Jährige hat sich in der beschaulichen Altstadt Mellingens seinen Rückzugsort eingerichtet. Hier ist er seit 18 Jahren zu Hause. Zuvor wohnte der gebürtige Winterthurer in einer kreativen Wohngemeinschaft in Regensdorf. «Als das Haus abgerissen wurde, suchte ich nach einer neuen Bleibe zwischen Basel und Rüti – und in der Altstadt von Mellingen war ein Haus zum Verkauf ausgeschrieben», erinnert sich Fotsch. «Ich fand es aber zu schmal. Man konnte kaum atmen darin.» Enttäuscht von der Besichtigung, stiess Fotsch in der Kleinen Kirchgasse rein zufällig auf ein anderes Haus, das ebenfalls zum Verkauf stand. «Ich fand es wundervoll. Und dank einer Vorerbschaft konnte ich es kaufen – seither bin ich hier.»
Die Flamenco-Platte der Eltern
Christian Fotsch wuchs, wie so viele Künstler, in einer musikalischen Familie auf. Seine Mutter war klassische Pianistin. «Ich hörte sie immer spielen und genoss es», erzählt Fotsch. «Und als meine Eltern eine Flamenco-Platte von einer Spanienreise mit nach Hause brachten, entdeckte ich meine Liebe für diese Musik.»
Seine eigene musikalische Karriere begann der Saiteninstrumentalist denn auch als Flamenco-Gitarrist. Er verbrachte viel Zeit in Sevilla und Granada, spielte in Tanzschulen und mit bekannten Grössen der Szene. «Die Flamenco-Gitarre ist noch immer mein primäres Instrument, aber am freiesten fühle ich mich heute auf der bundlosen, zweisaitigen Oud. Und auch die irische Bouzuki ist ein sehr wichtiges Instrument für mich», sagt Fotsch.
Zur irischen Musik hat er seit Jahrzehnten eine besondere Verbundenheit. «Ich tauchte einst voll in diese Musik ein.» Er gründete mit australischen Musikern ausserdem die Formation Xenos, die sich unter anderem der Musik der mazedonischen Roma widmete. Und er ist musikalisch auch auf dem Balkan heimisch. Daneben spielt Fotsch noch Kontrabass und verschiedene ethnische Instrumente wie die albanische Çifteli. «Sie ist ein spannendes Instrument, das Anderthalb-Tonschritte macht», erklärt der Musiker, während er eine Çifteli hervorkramt und ein paar Töne darauf spielt. «Wenn ich mit der Çifteli vor albanischen Kindern spiele, ist es unglaublich, was es in ihnen auslöst: Heimatgefühle und Wehmut. Es ist eine Musik, die sie von ihren Grosseltern her kennen.»
Schulkonzerte als Standbein
Christian Fotsch, der in seinem Leben bisher rund 85 Lieder komponiert hat, aber interessanterweise keine Noten liest, spielt viel für Kinder. Er gibt mit seiner erfolgreichen Formation Ssassa bis zu 200 Konzerte pro Jahr – viele davon in Schulen. «Die Schulkonzerte sind ein wichtiges Standbein für mich. Dank ihnen konnte ich meinen früheren Teilzeitjob als Primarlehrer zur Jahrtausenwende an den Nagel hängen und mich ganz der Musik widmen.»
Die bis zu 60-minütigen Konzerte an den Schulen haben interkulturellen und verbindenden Charakter – so auch das aktuelle Programm von Ssassa: Es heisst «Schnabelwetzer» und beinhaltet sieben Lieder in sieben Sprachen, vorgeführt von Musikerinnen und Musikern aus dem Irak, aus Mazedonien, der Türkei und der Schweiz.
Das Programm wird je nach Alter des Publikums vom Kindergarten bis zur Oberstufe angepasst. Und die Kinder machen mit. Singend, klatschend und tanzend lernen sie die Musik dieser Welt kennen – und die Kultur ihrer Mitschülerinnen und Mitschüler.
Ein Lied für die Gemeinde
Fotsch ist derzeit mit zahlreichen musikalischen Projekten unterwegs. Eines davon hat direkt mit Mellingen zu tun. «Ich habe begonnen, gemeinsam mit Schulen Lieder über die jeweilige Gemeinde zu schreiben. Dabei komponiere ich ein Lied – und die Klassen schreiben den Text dazu. Anschliessend nehmen wir es in einem mobilen Studio auf.» 16 Gemeinden haben schon mitgemacht. «Jetzt wäre es schön, wenn Mellingen auch noch dabei wäre.»
Christian Fotsch sprüht vor Kreativität und Energie – und dann zieht er sich wieder zurück, nur für einen Moment – in sein Refugium in Mellingen. «Ja, ich finde das Städtli mit der Reuss traumhaft schön. Hier habe ich einen Garten und ganz viele Mellinger Freundinnen und Freunde, die bei mir ein- und ausgehen. Umgekehrt habe ich hier auch meine Ruhe. Ich kann mir nicht vorstellen, wo das Leben für mich besser sein könnte.»
Marko Lehtinen
Sommerserie
Die Fähigkeit, etwas zu erschaffen, was neu oder originell und dabei nützlich oder brauchbar ist – so definiert Wikipedia das Wort «Kreativität». Wir haben uns im Einzugsgebiet des «Reussbote» auf die Suche nach kreativen Menschen gemacht und unsere Erfahrungen in der Sommerserie «Kreative Köpfe» zusammengetragen. Die Begegnungen waren so vielfältig und inspirierend wie die Menschen und ihre Schaffenskraft dahinter. (red.)