«Meine Figuren sind fröhlich und lebensbejahend»
16.08.2024 Region ReusstalKreative Köpfe (6): Jacqueline Brosi aus Busslingen formt Skulpturen aus Pappmaché – jedes Werk ist eine besondere Begegnung
Jacqueline Brosi kreiert Menschen aus Papier. Für die ehemalige Zahntechnikerin steht die Kunst im Zentrum ihres Lebens – mit zunehmendem ...
Kreative Köpfe (6): Jacqueline Brosi aus Busslingen formt Skulpturen aus Pappmaché – jedes Werk ist eine besondere Begegnung
Jacqueline Brosi kreiert Menschen aus Papier. Für die ehemalige Zahntechnikerin steht die Kunst im Zentrum ihres Lebens – mit zunehmendem Erfolg.
Papier ist der Stoff, aus dem die Kunst ist. Auf die Werke von Jacqueline Brosi trifft dieser Satz ganz bestimmt zu, denn sie kreiert ihre Skulpturen nicht etwa aus Stein oder Metall, sondern aus gewöhnlichem Papier. Zeitungen oder sonstiges Papier aus dem Haushalt, alles kann als Grundlage für ihr Pappmaché dienen. Es darf einfach nicht glänzen, wie die Künstlerin aus Busslingen sagt. Hinter ihrer Idee, Skulpturen aus Papier zu kreieren, standen zu Beginn nicht vor allem ästhetische, sondern praktische Gründe. «Das Material macht mich unabhängig», sagt Brosi. «Ich brauche keinen Brennofen wie zum Beispiel beim Ton, und es ist ein Recyclingmaterial.»
Die Künstlerin arbeitete früher vor allem mit Holz, Stoff, Ton und Beton, sie malte auch. Erst mit der Zeit entschied sie sich für das Pappmaché. Und es war ein Entscheid, der nicht nur Vorteile mit sich brachte. «Das Material schrumpft beim Trocknen bis zu 50 Prozent», erklärt Brosi. «Wenn ich ein Gesicht modelliere, muss ich es unzählige Male nachbearbeiten – ich muss es immer wieder nachschleifen, neues Pappmaché auftragen.» Umgekehrt eröffne das Material viele gestalterische Möglichkeiten.
Zuerst einen «richtigen» Beruf
Schon die Kindheit der Künstlerin im Bündnerland war vom Zeichnen und Modellieren geprägt. Sie war ein kreatives Kind, der Grossvater war Maler, die Mutter beschäftigte sich mit Bauernmalerei und Glasritzen. «Dennoch war es keine eigentliche Künstlerfamilie», erinnert sich Brosi. «Als es um meine Ausbildung ging und ich auf die Kunstgewerbeschule wollte, sagten meine Eltern, ich solle etwas Richtiges machen. So wurde ich Zahntechnikerin.» Es sei ein sehr schöner, kreativer Beruf gewesen, sie habe ihn viele Jahre ausgeübt – bis zur Heirat. «Und heute kommen mir die Technik und die Fingerfertigkeit beim Arbeiten an meinen Skulpturen zu Gute.»
Später besuchte sie verschiedene Kurse an der Kunstgewerbeschule in Zürich und an der Scuola di Scultura di Peccia. Als Brosi Mutter von zwei Söhnen wurde, blieb sie mit den Kindern schliesslich zu Hause. Via Fällanden ging es nach Remetschwil, wo sie seit 16 Jahren in ihrem Atelier zu Hause in Busslingen arbeitet. Daneben gibt sie Kurse im Modellieren. «Ich tat das jahrelang für eine Schule, seit drei Jahren bin ich mit meinen Kursen selbstständig», sagt sie. Der Mann ist weiterhin an ihrer Seite, die Söhne sind unterdessen 22 und 17 Jahre alt. Es ist ein funktionierender Alltag.
Sympathische Figuren
In diesem Rahmen kann sich die 56-Jährige nun entfalten. Sie kreiert vor allem Menschen – schlanke Figuren, die so positiv und humorvoll wie lebendig und sympathisch wirken. «Stimmt, meine Figuren sind fröhlich und lebensbejahend», bestätigt die Künstlerin.
Das zentrale Thema dieser Kunst ist die Begegnung. Jede Skulptur ist eine solche. Es geht um Begegnungen zwischen der Figur in ihrem Eigenleben und dem Betrachter, der sich dieses Eigenleben in seinem Kopf herbei fantasieren kann – und um Begegnungen zwischen der Künstlerin und ihren Kreaturen in der Entstehung. «Wenn ich arbeite, ist es immer eine Geschichte zwischen mir und der Figur, die im Entstehen ist. Das fordert mich bisweilen heraus», so Brosi. «Ich bin mit den Figuren aber immer ganz bei mir.»
Diese Momente erlebt Brosi jeden Tag. Denn sie arbeitet nicht nur, wenn sie eben mal die Muse küsst. Der ganze Tagesablauf ist geprägt von der Arbeit: «Kreativität ist nicht auf Knopfdruck abrufbar, und manchmal gibt es Phasen, in denen ich mich weniger kreativ fühle», sagt Brosi. «Aber dann nutze ich die Zeit anders, kümmere mich um das Büro oder die Website. Oder ich arbeite an einer Figur weiter, die fast, aber noch nicht ganz fertig ist.» Da ihre Skulpturen aus Pappmaché sehr langsam trocknen, könne es bis zu einem halben Jahr dauern, bis eine grosse Figur mit all ihren Schichten fertig ist. Da könne sie immer wieder parallel an verschiedenen Werken arbeiten.
Von Remetschwil nach Bratislava
Brosis fröhliche Figuren haben in den letzten Jahren an Bekanntheit gewonnen. Sie waren in diversen Galerien in der Schweiz zu sehen. Nun stellt sie Brosi unter anderem am Dorffest in Remetschwil aus. Und die allererste Ausstellung im Ausland steht auch kurz bevor: Jacqueline Brosi hat den Schritt über die Grenzen geschafft und wird ihre Kunst im November erstmals in Bratislava zeigen.
Wer weiss: Vielleicht geht es für die ehemalige Zahntechnikerin erst so richtig los.
Marko Lehtinen
Sommerserie
Die Fähigkeit, etwas zu erschaffen, was neu oder originell und dabei nützlich oder brauchbar ist – so definiert Wikipedia das Wort «Kreativität». Wir haben uns im Einzugsgebiet des «Reussbote» auf die Suche nach kreativen Menschen gemacht und unsere Erfahrungen in der Sommerserie «Kreative Köpfe» zusammengetragen. Die Begegnungen waren so vielfältig und inspirierend wie die Menschen und ihre Schaffenskraft dahinter. (red.)