Sie näht Kissen, mag Kraniche und liebt «Etoile»
20.09.2024 Remetschwil, Region RohrdorferbergIm Rugghölzli unter dem Dach näht Isabelle Favre Kissen um Kissen und verwendet dafür ausgewählte Stoffe aus aller Welt
Das Geschenk ihrer Mutter weckt in Isabelle Favre eine grosse Leidenschaft. Es wird zum roten Faden in ihrem Leben und lässt viele Kissen ...
Im Rugghölzli unter dem Dach näht Isabelle Favre Kissen um Kissen und verwendet dafür ausgewählte Stoffe aus aller Welt
Das Geschenk ihrer Mutter weckt in Isabelle Favre eine grosse Leidenschaft. Es wird zum roten Faden in ihrem Leben und lässt viele Kissen entstehen, die wie Souvenirs an die weite Welt erinnern.
Isabelle Favre sitzt an der Nähmaschine in ihrem Atelier im Rugghölzli. Zügig lässt sie den Stoff durch ihre Finger gleiten, die Nadel setzt Stich für Stich. «Den Stoff in der Hand», erklärt Favre, «beginnt für mich die Leidenschaft.» Sie sei keine Schneiderin. Aber schon als Kind habe sie sehr gerne mit Textilien gearbeitet. 25 Jahre alt war sie, als ihre Mutter, die selbst viele Kleider genäht hatte, darunter auch wunderbare Cocktailkleider, ihr eine Nähmaschine schenkte. Es war ein Geschenk, das sich wie ein «roter Faden» in ihr Leben hinein weben sollte.
Das allerdings konnte die junge Frau, die nach Abschluss der Hotelfachschule in Zürich lebte und bei einem Unternehmensberater im Finanzbereich arbeitete, damals nicht ahnen. Heute, 28 Jahre später, sagt sie in ihrem Atelier: «Ich hatte eine gute Arbeitsstelle, einen guten Job – den ich allerdings ohne grosse Leidenschaft ausübte.»
Die Nähmaschine in ihrer kleinen 2 ½-Zimmer-Wohnung, versetzte sie hingegen von Anfang an in einen Taumel und in Begeisterung. Sie sei nach der Arbeit heim gekommen, habe sich in ihrem Wohnzimmer an die Maschine gesetzt und stundenlang mit viel Hingabe genäht. «Kissen, Taschen, oft bis zwei Uhr nachts», sagt sie. «Mein Wohnzimmer war übersät von zugeschnittenen Dekostoffen, die ich bei einem Innendekorateur holen konnte.» Wenn Familie, Freunde und Bekannte zu Besuch gekommen seien, seien sie von ihren Arbeiten begeistert gewesen. Manches Stück konnte sie auch damals schon verkaufen. Tagsüber die Arbeit im Büro, viel Freizeit an der Nähmaschine in der guten Stube, so ging das mehrere Jahre lang.
Hündin «Etoile» kann mitkommen
Als Isabelle Favre mit ihrem Partner zusammenzog, weil der gemeinsame Sohn geboren wurde, rückte das Nähen in den Hintergrund. Favre war zu diesem Zeitpunkt 35 Jahre alt. Sie blieb zu Hause, räumte Stoff und Nähmaschine, die viel Platz benötigten, weg, und kümmerte sich in Möriken, wo die Familie im Haus mit Apfelbaum lebte, um ihren kleinen Sohn.
Nach einigen Jahren trennten sich die Eheleute und Favre begann wieder zu nähen. Erst als der Sohn grösser wird, mehr Zeit in der Schule, mit Hobby und mit Freunden verbringt, sucht die passionierte Näherin einen Raum, um endlich ihren Traum zu leben und die Leidenschaft zum Beruf zu machen. Bei ihren Erkundungen stösst sie auf das Rugghölzli in der Busslinger Gewerbezone und unter dem Dach auf ein Atelier. Hell, eine breite Fensterfront, Blick in die Berge, viel Platz zum Nähen und ein grosszügiger Showroom. «Ich habe mich in diesen Arbeitsplatz schockverliebt», gesteht sie. Alles passte, ihre Nachbarn seien sehr sympathisch. Und das Beste: «Mein Hund kann mitkommen». Treuherzig schaut «Etoile» zu ihr auf, schleppt ein Spielzeug nach dem anderen an und legt auch der Besucherin eines zu Füssen. Kaum zu glauben, dass die verspielte Hündin bereits elf Jahre alt ist.
Gross geworden in Hotels
Isabelle Favre greift dem Hund ins helle Haar und im Regal nach ihrem Lieblingskissen. «Die Kraniche», sagt sie und betrachtet das Kissen mit weissen und roten Vögeln auf schwarzem Grund, diese Glücksvögel möge sie besonders gern. In Favres Atelier findet man viele Stoffe mit Motiven aus Botanik und Natur, mit Blüten und Ranken, mit Landschaften, Zitronen und Lavendel, auch Tiere, Eidechsen zum Beispiel, Elefanten oder Fische und als aktuelles, herbstliches Sujet der Kopf eines Hirsches auf beigem Stoff.
Diese Liebe für Stoffe mit Motiven aus der Natur führt Isabelle Favre auf ihre Kindheit zurück. Die Tochter einer Zürcherin und eines Westschweizers ist in Hotels aufgewachsen. Ihre Eltern arbeiteten als Hotelmanager in London und in Gabun, in Westafrika. Schon als Kind kam sie mit englischen Stoffen in Berührung, sie begegnete in Hotelgängen und -lobbys Gästen aus aller Welt. Diese Offenheit hat sie geprägt: «Mich interessieren andere Kulturen.»
Wahl des Stoffes – kein Weg zu weit
Kein Wunder kommen die Stoffe in ihren Regalen aus Afrika, Japan oder Indien, sie findet sie auch in Frankreich, England und Italien. Manche schimmern und glänzen, andere leuchten in kräftigen Farben und viele betören durch spezielle Muster. «Die Wahl des Stoffes ist wichtig», betont Isabelle Favre. Bei der Auswahl der Textilien scheut sie weder Aufwand noch Zeit. Sie besucht ihre Schwester in London, eine Freundin in Italien und fährt über die Grenze, wenn die holländischen Händler beim Stoffmarkt in Deutschland ihre Textilien präsentieren. «Manche Stoffe springen mich sofort an, ich berühre sie und spüre die Qualität.» Sie kaufe, was ihr gefalle. «Keine 08/15-Stoffe», meint sie und spricht vom Glück, wenn sie irgendwo einen besonders schönen Stoff entdeckt. In ihrem Atelier schneidet sie dann Quadrat um Quadrat, 40 auf 40 Zentimeter, 50 auf 50 oder 65 auf 65. Das Material für Kissen, die Sofas, Sessel oder Gartenstühle zieren sollen. Ob sie denn von ihren Kissen leben könne? Nein, meint sie, noch reiche es nicht. Es sei aber ihr Ziel, von dieser Arbeit den Lebensunterhalt zu bestreiten. 2022 hat sie mit dem Aufbau ihres Geschäftes in Busslingen begonnen, seit dem 1. Januar 2024 ist die Firma offiziell eingetragen. «Viele sagen, meine Kissen sind zu billig», sagt sie. Das sieht sie anders. Ihr sei wichtiger, die Kundinnen und Kunden entscheiden sich für ein zweites Kissen. Und vor allem sagt sie: «Das schönste ist, wenn meine Kunden Freude haben an den Kissen.»
An der Nähmaschine lässt Isabelle Favre derweil den Stoff durch ihre Finger gleiten, Stich für Stich, sie näht ihr Label ein und versteckt zwischen den Nähten sorgfältig den Reissverschluss.
Heidi Hess