«Abbruch-Meier» ist auch noch mit 85 im Geschäft
01.11.2024 Tägerig, FreiamtWalter Meier ist Tägliger durch und durch. Er hat sein Geld mit kaputten Autos gemacht – und steht noch immer täglich in der Garage
Walter Meier findet, es gebe über ihn nicht viel zu sagen. Dabei sind so manche Szenen aus dem Leben des 85-Jährigen filmreif. Er war ...
Walter Meier ist Tägliger durch und durch. Er hat sein Geld mit kaputten Autos gemacht – und steht noch immer täglich in der Garage
Walter Meier findet, es gebe über ihn nicht viel zu sagen. Dabei sind so manche Szenen aus dem Leben des 85-Jährigen filmreif. Er war Motocross-Champion, Eishockeyspieler und Meister-Kegler und er ist noch immer erfolgreicher Unternehmer. Mit seinem Autoabbruch oberhalb Tägerigs und seiner Dorfgarage hat er sich als «Abbruch-Meier» einen Namen gemacht. Und, der Tägliger hat sich im Laufe seines Lebens eine Sammlung von Motorrädern und Autos zugelegt, welche die Mobilität der letzten 100 Jahre nacherzählt.
Wie soll man Walter Meier beschreiben? Ein weisshaariger Rentner, der gerne einen Zahnstocher zwischen den Zähnen hält und augenfällig bemüht ist, nicht aufzufallen. Eine Geschichte über sein Leben zu schreiben, das hält er nicht nur für unnötig, er wüsste auch nicht, was es da zu erzählen gibt. Aber wir können ja mal einen Versuch unternehmen. So treffen wir uns dort, wo Walter Meier seit 65 Jahren anzutreffen ist, in seiner Dorfgarage. Dort wo auch schon Episoden der Schweizer TV-Kultserie «Der Bestatter» mit Mike Müller gedreht wurden. Genauer, in der alten Küche, in der Walter Meier seiner Mutter Elsa schon als Bub hinter dem Schürzenzipfel hervor beim Kochen zugeschaut hat. Er sitzt bei mattem Licht an der Stirnseite des Tisches und fragt sich, was der Chronist vom «Reussbote» an einem wie ihn so besonders findet. Meier trägt eine blaue Helly Hansen-Jacke mit Reissverschluss, blaue Jeans und an den Füssen weisse Sportschuhe mit den berühmten drei Streifen. Als er erfährt, dass er auch noch für ein Fotoshooting herhalten müsse, hat er bedenken. «Da müsste ich doch was Schönes anziehen.» Eben nicht, meint der Chronist. Denn wir wollen den Walter Meier, so wie ihn alle kennen. Schlicht, bescheiden und zurückhaltend. Ein Unternehmer, der sein Licht ganz tief unter den Scheffel stellt. Einer, der sagt: «Wenn ich den Kirchturm von Tägerig nicht mehr sehe, wird mir unwohl.» Dabei hat er den Turm während seines langen Berufslebens die Hälfte der Zeit nicht gesehen.
Tägerig als Nabel der Welt
Denn Meier war während Jahrzehnten quer durch die Schweiz auf Achse, um geschrottete Autos abzuholen. Immerhin: Bei der Rückkehr konnte er sich jeweils immer wieder am Erscheinungsbild des Tägeriger Kirchturms erfreuen. Für Walter Meier scheint Tägerig der Nabel der Welt. Allerdings, stets mit Blick auf die Welt da draussen. Vor allem auf jene, die ihm hold gewesen ist. Wenn es irgendwo auf der Autobahn oder auf einer Landstrasse Autos zerbeult hatte und er von der Versicherung einen Anruf erhielt, holte er das, was von den Autos übrig geblieben war, nach Tägerig. Walter Meier verfügt über ein Netzwerk mit Schadensexperten weit über die Kantonsgrenzen hinaus. Und was irgendwie instand gestellt werden kann, das wird wieder fahrbar gemacht. Vor allem Volkswagen und Porsche. Am Anfang waren es meist VW Käfer. Das hat seine Gründe: Nach der Schulzeit in Tägerig konnte Meier bei der damals renommierten Firma «Hohl Automobile» an der Brauerstrasse 16 in Zürich eine Lehre als Automechaniker machen. Die Firma war auf Volkswagen und Porsche spezialisiert. So wurde aus Walter Meier ein VW- und Porschekenner. Er erinnert sich: Ich musste werktags früh um sechs aufs Postauto nach Baden und mit dem Zug nach Zürich. Um Viertel vor acht abends war ich jeweils wieder zu Hause.» Und da habe schon sein «Ätti» gewartet, weil in der Werkstatt noch ein VW Käfer zur Reparatur stand. Vater Arnold ist in der Wildenau in Stetten, unmittelbar an der Reuss, aufgewachsen. Er arbeitete als Dreher in der damaligen BBC. Nebenbei reparierte er Velos und Motorräder.
Anfänglich wohnten die Meiers im «Chräuel», «im Häuschen von Mutter Elsas Eltern». Dort ging «Noldi» Meier auch seiner Nebenbeschäftigung nach, sodass klein Walter schon früh mit fahrbaren Untersätzen in Berührung kam. Wir schreiben das Jahr 1947, als Vater Meier die Gelegenheit erhielt, an der Häggligerstrasse 4 ein älteres Bauernhaus zu kaufen. «Ich war acht Jahre alt, als wir hier einzogen», sagt Meier. Das Haus ist äusserlich heute noch so wie damals. Auf der vorderen Seite der Wohntrakt, und in der einstigen Scheune war die Werkstatt des Vaters. Heute befindet sich dort der Eingangsbereich der Firma – und Walter Meiers Büro.
Von der Töff- zur Autogarage
«Noldi» Meier, stellte von Töff- auf Autoreparaturen um, als Sohnemann Walter mit der Lehre fertig war. Walter war 20, als Vater Meier die Autogarage gründete. Sie hätten sich von Anfang an nicht um Arbeit bemühen müssen. «Die Leute kamen einfach. Es hat sich schnell rumgesprochen, dass wir es mit VW-Modellen besonders gut können», sagt Walter Meier. Er erinnert sich noch gut an den ersten Kunden, Pius Wietlisbach, der erst kürzlich verstorben ist. Er fuhr damals einen VW Käfer und blieb der Garage Meier ein ganzes Leben lang treu.
Bekannt wie ein bunter Hund
Das ist es wohl, was Walter Meier ausmacht und weshalb er auch mit 85 Jahren noch immer jeden Tag in der Garage steht. Er kennt alle seine Kunden, und sie kennen ihn. Teilweise brachten schon der Grossvater und der Vater ihr Auto zu Walter Meier in die Garage. Sie wissen: Ihr Wagen ist bei Walter Meier und seinen Leuten in guten Händen. Zum Betrieb gehört auch die Karrosserie- und Spenglerei auf der anderen Strassenseite. «Alles aus einer Hand», ist Meiers Motto. Die Lackiererei ausserhalb des Dorfes entlang der Bremgartenstrasse hat er vor Jahren an Michael Hallauer vermietet.
Szenenwechsel: Wir fahren vom Dorf hinauf in Richtung Büschikon. Walter Meier am Steuer seines VW Passat-Kombi. Er kennt die Strecke im Schlaf. Die Hägglingerstrasse führt steil hinauf, vorbei an der idyllisch gelegenen Lourdeskapelle. Walter Meier nimmt die zwei Haarnadelkurven mit Schwung und biegt dann scharf rechts ab. Auf dem Bergweg gehts durch den Wald. Eine letzte scharfe Biegung und wir tauchen ein in eine bizarr wirkende Welt. Walter Meiers Welt.
Mitten im Wald öffnet sich eine Lichtung, vollgestellt mit Autowracks. Das fahle Licht der morgendlichen Herbstsonne lugt zwischen den Bäumen hindurch und beleuchtet die Szenerie. Rechts, neben einer aus Holz konstruierten Halle, balanciert auf einer mit Moos und Efeu bedeckten Betonmauer ein «Trabi», der auch schon Grünspan angesetzt hat. Am Halleneingang hängt an einem Haken ein VW-Motor, mit losgelöstem Getriebe daneben, an dem einer von Meiers Mitarbeitern herumschraubt.
Ein Rundgang durch die Halle zeigt auf Holzgestellen aufgereihte Motoren, Getriebe, Autotüren, Scheinwerfer, Stossstangen und alle erdenklichen Ersatzteile. In der Hauptsache von ausgeweideten VW.
Goldene Zeiten sind vorbei
Die automobilen Versatzstücke, die da zu Hauf herumliegen, sind nichts, was Walter Meiers Herz wirklich erwärmen kann. «Viel Müh, aber wenig Ertrag», murmelt er, während er durch die Halle vorangeht. «Erst kürzlich habe ich 1000 Autos weggegeben», sagt Meier mit Wehmut in der Stimme. «Ins Alteisen». Für die Tonne Alteisen gebe es grad mal noch zehn Franken. Die goldenen Zeiten seien längst vorbei. Das Geschäft mit dem Abbruch sei nicht mehr wie früher, Osteuropäische Händler dominieren den Markt. Dennoch macht Walter Meier immer noch sein Geschäft mit gefragten Einzelteilen, wie er das seit Jahrzehnten tut.
Sein Abbruch ist bekannt für seine gute Ware. Denn das ist seine Welt, die er mit stetem Fleiss aufgebaut hat. Hier waren erst kürzlich wieder Filmteams, für die der skurril wirkende Haufen von Blech und Autowracks, willkommene Kulisse für dramatische Handlungen ist. Auch für Krimis.
Dieben auf den Pelz gerückt
Dabei wurde hier wirklich einmal geschossen. Allerdings nur mit mit Salzkörnern gefüllten Schrotpatronen. Das ist Jahrzehnte her und gehört zur Legendenbildung des aus der Zeit gefallenen Areals. Damals wollten Diebe im Schutz der Dunkelheit Ersatzteile klauen. Sie hatten ennet des Zauns bereits ein Lager zum Abtransport angehäuft. Doch der damalige Mitarbeiter lauerte den Gaunern nächtens auf und schreckte sie mit dem präparierten Schrot. Das war zwar schmerzhaft, aber nicht lebensbedrohlich. Die Diebe konnten von der Polizei eingesammelt werden.
Walter Meier hat Benzin im Blut. Nicht nur beruflich. Auch privat. Motiviert von seinem drei Jahre jüngeren Bruder Heinz, der vor wenigen Jahren verstorben ist, kam er zum Motocrosssport, der in den 1960er-Jahren in Tägerig einen hohen Stellenwert besass.
Schweizermeister im Motocross
Gleich hinter dem Dorf zog sich eine Rennstrecke durchs Gelände. Während zehn Jahren war die nationale Motocross-Elite einmal im Jahr in Tägerig zu Gast. Tausende von Zuschauern säumten jeweils die Strecke. Walter Meier gehörte zu den besten im Land. Mit seiner BSA Goldstar 500er lieferte sich Walter Meier mit den Grössen jener Zeit denkwürdige Duelle. Für die Technik am Töff war Vater «Noldi» zuständig, der ein begnadeter «Schrauber» war.
Walter Meier Schweizermeister
1965 konnte sich Walter Meier, der in Tägerig dreimal zuoberst auf dem Podest stand, als Schweizermeister feiern lassen. Zu seinen härtesten Konkurrenten gehörte Manfred Schurti, Spross einer Rennsport-verrückten Familie aus dem Fürstentum Liechtenstein, der in den 1970er-Jahren als Porsche-Werksfahrer einer der besten Langstreckenpiloten Europas war.
1968 beendete Meier seine Motocross-Karriere mit Schmerzen. Im letzten Rennen in Rothenthurm wurde der Tägliger von einem Konkurrenten über den Haufen gefahren. Dabei brach er sich ein Bein. Die Platten und Schrauben sind bis heute drin geblieben und erinnern Meier an dieses letzte Rennen. Wir steigen wieder ins Auto und fahren im VW Passat zurück durch den Wald, hinauf nach Büschikon, einem verschlafenen Weiler auf der Anhöhe, auf halbem Weg nach Hägglingen. Dort konnte Walter Meier vor Jahren eine Reitsportanlage erwerben. Er tat dies nicht, weil er auf Pferde umsatteln wollte. Nein, weil die Reithalle ein idealer Ort ist, um seine gewachsene Sammlung alter Autos, allen voran so ziemlich alle Porsche-Modelle, unter Tüchern verstaut, unterbringen zu können.
Meiers automobile Trouvaillen
Nicht nur das. In der Reithalle stehen dicht an dicht Autos, die im Strassenverkehr geschrottet worden waren, welche Potenzial zum Oldtimer haben. Etwa ein Fiat Balilla aus dem Jahr 1932. Ein Auto, das in der reichhaltigen Sammlung von Kaiser Wilhelm (1859 in Berlin, † 4. Juni 1941) nicht fehlen durfte. Da stehen Aston Martins, die bei James Bond im Film weltberühmt wurden oder Ferraris, alte Citroëns, Volvos – und natürlich wieder jede Menge alter VW Käfer. Dazu reiht sich an der Stirnseite der Hallen eine gute Hundertschaft von Motorrädern aus allen Epochen des letzten Jahrhunderts auf. Alle mit einer dicken Schicht Staub bedeckt. Viele davon museumsreif. Doch daran verschwendet Walter Meier keine Gedanken.
«Viele wollten mir schon etwas abkaufen.» Vergeblich, wie er betont. «Ich habe mir das im Laufe der Zeit verdient. Warum soll ich es wieder hergeben»? fragt er den Chronisten, ohne darauf eine Antwort zu erwarten. Walter Meier hat keinen Plan mit seiner musealen Sammlung. «Ich habe es einfach.» Punkt. Tochter Alexandra (54) und Sohn Romeo (52) werden sich dereinst darum kümmern müssen. Damit hat er sich abgefunden.
Beat Gomes