«Biber-Chaos» ist ein Paradies für Artenvielfalt
18.02.2025 Region ReusstalWie ständige Veränderungen im Biberrevier die Biodiversität fördern – zum Beispiel an der Reuss, in Sulz bei Künten oder im Ägelmoos
Er baut und staut und schnell sieht es nach viel Chaos im Revier aus. Und dennoch verwandelt sich die Natur zwischen den ...
Wie ständige Veränderungen im Biberrevier die Biodiversität fördern – zum Beispiel an der Reuss, in Sulz bei Künten oder im Ägelmoos
Er baut und staut und schnell sieht es nach viel Chaos im Revier aus. Und dennoch verwandelt sich die Natur zwischen den Zähnen und den Füssen des Bibers in Gold für die Artenvielfalt.
Wasser hier, Wasser da. Im Biberrevier sehen entlang eines Bachs keine zehn Meter gleich aus», schreibt Christian Tesini, Fachspezialist Jagd und Wildtiere im Aargauer Umweltdepartement im jüngsten Bulletin «Umwelt Aargau». Tesini spricht von Zerstörung genauso wie von üppiger Vegetation und überfluteten Flächen. Bäume und Äste, die kreuz und quer liegen, machen den chaotischen Eindruck perfekt. Vor allem aber betont er: «Wenn Biber über mehrere Jahre hinweg an einem Bachabschnitt bauen dürfen, entstehen Landschaften mit einem schier unendlichen Potenzial für die Artenvielfalt.»
Dämme bauen, Wasser stauen
Auch in der Region ist der Biber ein kreativer Baumeister, der entlang der Reuss am linken und am rechten Ufer von Künten bis Gebenstorf Dämme baut und Wasser staut. Biberreviere finden sich etwa in den Naturschutzgebieten beim Campingplatz Sulz oder in den Altwasserteilen bei Fischbach-Göslikon, wie eine nationale Biberbestandserhebung von 2022 zeigte.
Weitere Reviere liegen reussabwärts beim Gnadental, im Torfmoos am Rohrdorferberg, dann im Schwarzgraben des Ägelmoos neben der Mellinger Umfahrung und am Reussufer bis Birmenstorf und Gebenstorf. Als kantonaler Biberbeauftragter ist Albert Karer für einen grossen Teil dieses Gebietes zuständig: «Dort, wo sich der Biber ausbreitet, nimmt er positiven Einfluss auf die Natur.»
«Das Chaos scheint perfekt»
Die umtriebigen Biber nagen Äste und Bäume an, bauen Dämme, nutzen «Biberrutschen» als Ein- und Ausstiegsstellen ins Wasser. Es entstehen Fluchtröhren und Wohnbauten, sobald ein Paar ein Revier besiedelt. «Spätestens mit dem ersten Nachwuchs», so Christian Tesini, «scheint das Chaos perfekt.» Daran ist die Familie mit den kleinen Bibern aber nicht alleine schuld. Die ständigen Veränderungen kommen auch von aussen.
So erodiert etwa bei Hochwasser das Ufer rund um Biberdämme. Es macht den Damm durchlässig und lässt angestautes Wasser wieder abfliessen. Die vom Wasser befreite Fläche präsentiert sich nun als Schlick- und Schlammlandschaft. «Für uns Menschen sieht das furchtbar aus», sagt Tesini und erklärt, auf diesem Untergrund entstehe eine Wiese, die schnell wieder Leben an den Bach bringe.
Wenn die Biber ihren Damm reparieren, erhalten sie auch dessen Filterfunktion: Feinsedimente halten weiterhin Nährstoffe wie Phosphor oder Nitrat zurück. «Das wirkt sich positiv auf das Gewässer unterhalb des Biberreviers aus», so der Experte. Dieser Filter verhindert, dass sich feines Material wie Sand, Schlamm oder Ton zwischen Kieslücken ablagert. Ein Vorteil für Forellen, die lockeren Kies als Laichplatz mögen.
Auswirkungen auf das viele Wasser
Ein Jahr lang untersuchte die kantonale Sektion Jagd und Fischerei den Einfluss von 23 Biberdämmen auf den Wasserhaushalt im Biberrevier Chräbsbach bei Siglistorf, im Nordosten des Kantons. Auf einer Bachlänge von rund einem Kilometer, wo sich Biberteiche, Dämme und fliessendes Gewässer abwechseln, studierten die Fachleute Abflussverhalten und Wassertemperatur des Baches.
Ihre Messungen zeigen: Regen fliesst in einer vom Biber gestalteten Landschaft langsamer ab, respektive Abflussspitzen werden durch Biberdämme gedämpft. Die Dämme beeinflussen ausserdem die Wassertemperatur. Am wärmsten ist der aufgestaute Teich hinter dem Biberdamm – viel Fläche mit Sonne und wenig Beschattung. Generell wird das Wasser innerhalb von Biberdämmen wärmer, es kühlt danach aber wieder ab.
Ein Gewinn für die Artenvielfalt
Haben Biber mehrere Jahre Zeit, ein Fliessgewässer zu verändern, so wirkt sich das auf die Artenzusammensetzung, auf die Artenvielfalt und auch auf die Häufigkeit einzelner Arten aus. «Seit den ersten Erhebungen im Jahr 2019 zeigt sich ein positiver Trend, den Biber durch den Umbau ihres Reviers ermöglicht haben», schreibt Tesini. Beispielsweise für Libellenoder Schmetterlingsarten. Im Gebiet Chräbsbach wurden Schmetterlinge wie Trauermantel, Kleiner Eisvogel oder Grosser Schillerfalter beobachtet – sie alle lieben die vom Biber gestalteten Feuchtgebiete.
Tesini geht davon aus, dass auch Brutvögel vom Chaos des Bibers profitieren. Nicht ganz eindeutig sind die Zahlen für Fische. Mehr Forellen gibt es in einem Biberbach nicht. Sie sind dort aber grösser und schwerer.
Wenig Verständnis für Biber-Chaos
Der Fachspezialist Jagd und Wildtiere folgert: «Es hat Seltenheitswert, dass sich Biberreviere im Aargau ungestört entwickeln können.» Die Umgebung rund um Bibergewässer werde oft zu stark genutzt; Infrastrukturanlagen befinden sich so nah am Bach, dass Biberdämme – die wie die Tiere selbst eigentlich geschützt sind – nicht einfach belassen werden können.
Davon kann der Biber im Ägelmoos ein Lied singen: Als er im Februar 2024 das Entwässerungssystem der Umfahrung Mellingen gefährdete, weil sein Damm den Wasserpegel bei der Velobrücke in die Höhe trieb, wurde sein akribisch aufgeschichteter Damm mit einem Kran entfernt. Im Vorfeld waren dafür allerdings Gespräche mit Baufachleuten und mit dem Biberbeauftragten Albert Karer nötig.
In der Tat scheiden sich die Geister bei Biber und Mensch, wie Gewässer und umliegendes Land genutzt werden können. Dass hier Konfliktpotenzial vorhanden ist, weiss Albert Karer. Und auch Fachspezialist Christian Tesini spricht von einem «beträchtlichen Schadenpotenzial» im dicht besiedelten Aargau. Wären die Menschen, die das Land direkt an Biberbächen mitbenutzen, offen für das Biberchaos, meint er, würden sich Wege des Zusammenlebens finden.
Heidi Hess
Christian Tesini, «Biodiversität durch Veränderung» in: Informationsbulletin «Umwelt Aargau», Januar 2025.



