Das Leben von Küfer und SS-Mitglied Häfner
09.05.2025 MellingenAugust Häfner wird im Januar 1912 in Mellingen geboren. Hier verbringt der später verurteilte Kriegsverbrecher seine ersten Monate
Bei den Nürnberger Prozessen sagte der ehemalige SS-Obersturmführer August Häfner 1947 erstmals über das Massaker von Kiew aus. ...
August Häfner wird im Januar 1912 in Mellingen geboren. Hier verbringt der später verurteilte Kriegsverbrecher seine ersten Monate
Bei den Nürnberger Prozessen sagte der ehemalige SS-Obersturmführer August Häfner 1947 erstmals über das Massaker von Kiew aus. Es dauerte viele Jahre bis Häfner 1973 als Kriegsverbrecher verurteilt wurde. Geboren wurde August Häfner 1912 in Mellingen.
Anfang des 20. Jahrhunderts war
August Häfner senior, der 1884 geboren wurde, als deutscher Küfergeselle in der Schweiz auf Wanderschaft. Es ist belegt, dass August Häfner einige Jahre in Mellingen lebte, wo im Jahr 1912 auch sein gleichnamiger Sohn geboren wurde. August Häfner junior verbrachte als Säugling nur wenige Monate in Mellingen. Jahre später, nachdem die Familie nach Deutschland zurückgekehrt war, wurde Häfner junior Hitlerjunge und später auch Mitglied der SS.
Aber der Reihe nach. Laut den Angaben von Fredy Venditti, Leiter des regionalen Zivilstandsamtes in Mellingen, weilte Vater Häfner vom Oktober 1908 bis zum 12. Februar 1910 in Mellingen. Vermutlich arbeitete dieser bei einem Küfer im Städtli. Möglicherweise war dies Herr Lehli, der damals an der Bruggerstrasse 9 eine Küferei betrieb. Nach kurzer Abwesenheit erhielt Häfner am 16. März 1910 wieder eine Aufenthaltsbewilligung in Mellingen. Verheiratet war Häfner mit Emma Schweizer. Am 31. Januar 1912 wurden August Häfner und seine Frau Emma Eltern des Sohnes August Häfner junior.
Der Küfer und Weinhändler
Bereits am 16. September 1912 verliess die junge Familie ohne Ortsangabe das Städtchen, blieb aber weiterhin in der Schweiz. 1914 kehrten Häfners nach Deutschland zurück. Dieser fast vierjährige Aufenthalt von Vater Häfner in Mellingen zeigt, dass vor über 100 Jahren im Städtchen noch viele verschiedene Gewerbebetriebe existierten, bei denen sich zahlreiche Handwerksgesellen weiterbilden konnten.
August Häfner senior übernahm nach seinem Wehrdienst im Ersten Weltkrieg im Jahr 1918 die Küferei seines Vaters in Schwäbisch Hall, einer Stadt in Baden-Württemberg, 60 Kilometer nordöstlich von Stuttgart. Der in Mellingen geborene Sohn August Häfner absolvierte von 1927 bis 1929 bei seinem Vater die Lehre als Küfer. Nach dem Zweiten Weltkrieg trat er in die Küferei und das Wein- und Spirituosengeschäft seines Vaters ein und übernahm den Betrieb 1954.
Häfner war ein Anhänger Hitlers
Während seiner Wanderjahre als Küfer trat August Häfner junior der Hitlerjugend und als 19-Jähriger der NSDAP (Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei) bei. 1933 wurde er Mitglied der SS (Schutzstaffel), der mächtigsten Organisation des Hitlerregimes. Immer mehr liess er sich im politischen und militärischen Bereich von der Ideologie des Nationalsozialismus beeinflussen. So trat er 1937 freiwillig in die Grenzpolizeischule Pretzsch ein. In dieser wurden die Absolventen für die Eingliederung in die Gestapo (Geheime Staatspolizei), geschult, welche unter anderem eine bedeutende Rolle bei der Verfolgung von Juden spielte.
Schliesslich wurde Häfner für den Militärdienst ausgebildet und dem Sonderkommando 4a zugeteilt. Diese Abteilung wurde 1941 im Zweiten Weltkrieg beim Angriff der deutschen Wehrmacht gegen Russland in die Ukraine entsandt, die damals noch zur Sowjetunion gehörte. In Kiew wurde die deutsche Armee mit Bomben beschossen. Hinter diesem Attentat vermutete man die Juden von Kiew. So beschloss die Wehrmacht, die Juden der Stadt zu ermorden – 33 000 Männer, Frauen und Kinder sollen innerhalb von 48 Stunden erschossen worden sein. SS-Obersturmführer August Häfner berichtete später über seine Vorgesetzten: «Wir mussten die Drecksarbeit machen. Ich denke ewig daran, dass der Generalmajor (…) sagte: ‹Schiessen müsst ihr!›.»
Es war dies die grösste Vernichtungsaktion von Juden durch die deutsche Wehrmacht, die ausserhalb der Gaskammern stattfand. Nach diesem Massaker von Kiew diente Häfner bei der Gestapo in Innsbruck und ab Spätsommer 1943 als Kommandant der Sicherheitspolizei in Wien.
Häfner im Gerichtsverfahren
Im Jahr 1947 sagte August Häfner am Nürnberger Prozess über die Vorkommnisse in Kiew aus, ohne aber verurteilt zu werden. Erst im Oktober 1967 begannen in Darmstadt die Hauptverhandlungen über die Taten des Sonderkommandos 4a. Dabei gestand Häfner, am Massaker von Kiew beteiligt gewesen zu sein, nicht aber aktiv Juden erschossen zu haben. Schon 1965 beteuerte er in einem Verhör, bei der Ermordung der Juden zur Zurückhaltung aufgerufen zu haben. Vor allem bei der Erschiessung von zahlreichen Kindern zusehen zu müssen, erschütterte ihn noch 20 Jahre nach diesem Vorfall enorm.
Nach einem Berufungsverfahren vor dem Landgericht Düsseldorf verurteilte man ihn 1973 wegen Beihilfe zum Mord in vier Fällen zu acht Jahren Haft. Häfner wurde in der Justizvollzugsanstalt Konstanz untergebracht, konnte diese allerdings wegen gesundheitlichen Beeinträchtigungen bereits 1976 wieder verlassen. Doch starb dieser erst 23 Jahre später am 20. August 1999 in Ilshofen-Eckartshausen ganz in der Nähe von Schwäbisch Hall. Ob Häfner in seinem langen Leben nochmals seine Geburtsstadt Mellingen besucht hat, ist wenig wahrscheinlich.
Rainer Stöckli
Der promovierte Historiker Rainer Stöckli ist in Mellingen aufgewachsen. Er dokumentiert gemeinsam mit Madlen und Viktor Zimmermann das Fotoarchiv Mellingen.
Häfner und Mellingen
Der Schwerpunkt dieser Biografie über den Küfer und SS-Obersturmführer August Häfner, der während des Zweiten Weltkriegs am Massaker von Kiew beteiligt gewesen war, liegt über 80 Jahre zurück. Doch lassen sich – wenn auch unter ganz anderen Umständen – Parallelen zur heutigen Zeit ziehen: Damals wie heute waren Übergriffe auf Juden aktuell und Kiew litt im Zweiten Weltkrieg und leidet auch derzeit unter Krieg.
Es ist mir als Verfasser dieses Textes sehr wohl bewusst, dass August Häfner nach seiner Geburt nur wenige Monate im Städtchen lebte und seine Lebensgeschichte sehr dunkle Stellen aufweist. Aber es wäre historisch falsch, solche Gegebenheiten einfach auszublenden. (rst)