Das neue System hilft, mehr Leben zu retten
28.02.2025 Region ReusstalVor einem Jahr wurde im Aargau ein flächendeckendes First-Responder-System für Erstversorgung bei Herz-Kreislauf-Stillstand eingeführt
Seit Februar 2024 ist das First-Responder-System aktiv, bei dem lokale Ersthelfer via App alarmiert werden. Sie überbrücken die ...
Vor einem Jahr wurde im Aargau ein flächendeckendes First-Responder-System für Erstversorgung bei Herz-Kreislauf-Stillstand eingeführt
Seit Februar 2024 ist das First-Responder-System aktiv, bei dem lokale Ersthelfer via App alarmiert werden. Sie überbrücken die wichtige Zeit bis zum Eintreffen des Rettungsdienstes.
Insgesamt 1300 Personen haben sich im Kanton Aargau als First Responder registriert. 796 davon waren im vergangenen Jahr mindestens einmal im Einsatz und leisteten bei rund 1200 Einsätzen Ersthilfe. So wie Matthias Müller (Name geändert), der seit letztem Sommer dabei ist und seinen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte: «Ich möchte mich nicht öffentlich profilieren. Nur mein näheres Umfeld weiss Bescheid», sagt Müller, der auch bei der Feuerwehr Fislisbach aktiv ist. Für den Einsatz als First Responder absolvierte er bei den Samaritern Fislisbach einen «BLS-AED»-Kurs für Wiederbelebungsmassnahmen und den Umgang mit einem Defibrillator, der alle zwei Jahre wiederholt wird. Zudem erhielt er von der kantonalen Fachstelle einen Einführungskurs.
Alarmiert werden die First Responder parallel zum Rettungsdienst, sobald jemand 144 gewählt hat und der Alarm einen Hinweis auf eine bewusstlose oder leblose Person enthält. «Eine bewusstlose Person ist nicht ansprechbar, hat aber Atmung und Puls, eine leblose Person ist ohne Lebenszeichen», erklärt Müller den Unterschied. Die App alarmiert jeweils die Ersthelfer, die sich laut GPS im Umkreis aufhalten und näher am Geschehen sind als die Sanität. Die ersten vier Helfer, die sich melden, erhalten dann die genaue Adresse. Ziel ist es, dass innert fünf Minuten Hilfe beim Betroffenen ist. Denn bis zum Eintreffen des Rettungsdienstes kann es trotz guter Spitalanbindung in der Region 15 bis 20 Minuten dauern. Wertvolle Zeit, die über Leben und Tod entscheiden kann: «Die Einsätze reichen vom Herz-Kreislauf-Stillstand über einen epileptischen Anfall bis hin zu zuviel Alkohol oder Medikamenten», sagt Müller, der aus Datenschutzgründen keine Details preisgeben darf.
First Responder müssen managen
Im Optimalfall sind vier Ersthelfer plus Sanität vor Ort. Es kann aber sein, dass der First Responder zunächst allein ist. Dann gelte es, sich einen Überblick über die Situation zu verschaffen, ob die Person beispielsweise einen Stromschlag erlitten habe oder Gas ausgetreten sei. Die Eigensicherung habe dabei stets Vorrang: «Dann geht es darum, den Patient, am Leben zu erhalten und zu stabilisieren», so Müller. Erst danach kümmere er sich um das Umfeld und die Angehörigen. Diese werden bei Bedarf einbezogen. Sie können etwa die Rettung einweisen. «Sobald die Sanität da ist, geben wir First Responder die Informationen weiter, zum Beispiel ob die Person reanimiert wurde. Danach sind wir zur Unterstützung der Sanität da», erklärt Müller.
Erst wenn diese die First Responder nicht mehr brauche, sei die Aufgabe abgeschlossen. Im Schnitt erhält Müller einen Alarm pro Woche. Seit Anfang Jahr ist er schon fünf Mal ausgerückt. Wie es mit den Patienten weitergeht, erfährt er im Anschluss nicht. Das sei für ihn auch nicht entscheidend: «Ich gehe hin, um die Situation zu verbessern, das ist meine Genugtuung», so Müller. Wenn man sein Bestes gegeben habe, müsse man sich keine Vorwürfe machen, falls es trotz allem nicht gut ausgehe.
Es könne durchaus sein, dass man ein Erlebnis ein bis zwei Tage mit sich herumtrage, gibt Müller zu. Zumal die First Responder der Geheimhaltungspflicht unterstehen und ihre Erlebnisse selbst in der Familie nicht teilen dürfen. Falls nötig, stehen ihnen jedoch das Care-Team oder die First Responder-Verantwortlichen des Kantons zur Seite. Neben der Volljährigkeit und den genannten Kursen sind physische und psychische Belastbarkeit Voraussetzung, um sich als First Responder zu registrieren. Müller findet eine gewisse Lebenserfahrung ebenso wichtig. Nur so könne man entscheiden, was man sich selbst zutraue und was nicht.
First-Responder-Pioniere
Über die nötige Erfahrung verfügen Andrea Zurkirch und Mirko Bächtiger von der Feuerwehr Regio Mellingen jedenfalls. Sie haben bereits vor drei Jahren für Mellingen, Mägenwil, Wohlenschwil und Tägerig eine 14-köpfiges First-Responder-Gruppe aufgebaut («Reussbote», 14. Januar 2022), die nun in das kantonale System integriert ist. Als Gruppe erhalten sie im Gegensatz zu Einzelpersonen, den «Publics», über die App Alarme aus der ganzen Region und stimmen sich zudem in einer internen App ab. Denn zu viele Helfer sollten auch nicht vor Ort sein: «So viele wie nötig, so wenig wie möglich», fasst Zurkirch zusammen. Sie gibt bei den Samaritern Mellingen selbst «BLS-AED»-Kurse. Die Helfer der Feuerwehr Regio Mellingen haben teils noch weitere medizinische Kenntnisse. Sie können Folgen von Unfällen behandeln und Blutungen stoppen. Normalerweise verfügen First Responder nur über eine Tasche mit den wichtigsten Utensilien, wie Gummihandschuhe, Kleiderschere und einer Beatmungsmaske. Sie müssen ausserdem auf öffentliche Defibrillatoren zurückgreifen, die ihnen die App anzeigt. Dagegen haben alle 14 First Responder der Feuerwehr Regio Mellingen einen eigenen Notfallrucksack mit Defibrillator und Sauerstoff zu Hause. Für die Abgabe von Sauerstoff braucht es eine spezielle Weiterbildung. Dank ihrer Fähigkeiten bekommen First-Responder-Gruppen auch mehr Alarm-Hinweise. Etwa bei «Brustschmerz» oder «Atemnot». 60 bis 70 Mal pro Jahr rücken die Ersthelfer aus. Die Einsatzzahlen sind seit Einführung der App gleich geblieben. Diese hat jedoch Vorteile: «Früher hatten wir nur eine Adresse und bestenfalls den Namen. Jetzt kann die Notfallzentrale uns zusätzliche Infomationen schicken», so Bächtiger. Vor allem aber hat sich die Abdeckung verbessert. Noch ist aber Luft nach oben. Ziel seien 2000 First Responder im Kanton, so Zurkirch.
Michael Lux