Der kulinarische Seelenwärmer am Herd!
09.05.2025 MellingenRené Hauri gehört zumindest gastronomisch zum Kulturgut in Mellingen. Er kochte zuvor in den besten Häusern Europas
Im Alterszentrum Im Grüt ist das Essen mehr als nur eine Mahlzeit. Ein tägliches kleines Highlight, ein Moment des Genusses. Und der hat einen ...
René Hauri gehört zumindest gastronomisch zum Kulturgut in Mellingen. Er kochte zuvor in den besten Häusern Europas
Im Alterszentrum Im Grüt ist das Essen mehr als nur eine Mahlzeit. Ein tägliches kleines Highlight, ein Moment des Genusses. Und der hat einen Namen: René Hauri. Seit 18 Jahren schwingt er hier als Küchenchef den Kochlöffel, und er ist weit mehr als nur ein Koch – er ist ein kulinarischer Künstler, ein Seelenwärmer am Herd.
Wer denkt, Essen im Alterszentrum sei zwangsläufig eintönig oder rein funktional, der kennt René Hauri nicht. Für ihn ist Kochen eine Herzensangelegenheit, eine Leidenschaft, die sich in jedem Detail zeigt. Selbst ein Gericht, das anderswo vielleicht achtlos auf den Teller kommt, verwandelt sich unter seinen Händen in ein kleines Festmahl. Der berühmte Wurst-Käsesalat zum Beispiel: Bei René Hauri ist das kein banaler Mix. Es ist eine Komposition aus erstklassigen Zutaten, perfekt geschnitten, mit einer Vinaigrette, die genau die richtige Balance zwischen Säure und Würze hat, und angerichtet mit einer Präzision und Liebe, die man schmeckt und sieht. Ein paar frische Kräuter aus dem eigenen Gärtchen, vielleicht eine essbare Blüte – und schon wird Alltägliches zu etwas Besonderem.
Was René Hauri auszeichnet, ist nicht nur sein handwerkliches Können, das er über Jahrzehnte perfektioniert hat. Es ist sein tiefes Einfühlungsvermögen für die Menschen, für die er kocht. Er kennt die Vorlieben und Abneigungen seiner Gäste, weiss um Diätvorschriften und kleine Sonderwünsche. Er nimmt sich Zeit, hört zu, beobachtet. Er spürt, was an einem grauen Novembertag guttut – vielleicht eine wärmende Suppe, die nach Kindheit schmeckt – oder wie man an einem Sommertag mit einem leichten, erfrischenden Dessert Freude bereiten kann. Sein Antrieb ist die Freude seiner Gäste. Ein zufriedenes Lächeln, ein anerkennendes Nicken über den Teller hinweg – das ist sein schönster Applaus.
Ein Künstler am Herd
René Hauri ist ein Meister der Ästhetik. Seine wahre Bühne sind die kalten Buffets, die er zu besonderen Anlässen zaubert. Das sind keine einfachen Platten, das sind Landschaften des Genusses. Farben, Formen und Texturen werden zu einem harmonischen Ganzen arrangiert. Lachsrosen neben kunstvoll drapiertem Schinken, Terrinen wie Mosaike, glänzende Aspik-Kreationen, Salate in allen erdenklichen Farben, dekoriert mit einer Fantasie und Sorgfalt, die ihresgleichen sucht. Seine Buffets sind legendär, eine wahre Augenweide, die die Bewohnerinnen und Bewohner immer wieder aufs Neue staunen lassen und die auch Besucher tief beeindrucken. Man spürt: Hier arbeitet jemand, der seinen Beruf liebt und der Essen als Ausdruck von Wertschätzung versteht.
Der Abschied naht
Doch ein Hauch von Wehmut liegt bereits in der Luft des Speisesaals Im Grüt. Nächstes Jahr erreicht René Hauri das Pensionsalter. Nach 19 Jahren voller Hingabe, Kreativität und unzähligen köstlichen Mahlzeiten wird der Maestro den Kochlöffel weitergeben. Die Bewohnerinnen und Bewohner können es sich kaum vorstellen. Wer wird den Wurst-Käsesalat so liebevoll anrichten?
Wer wird mit so viel Gespür ihre Wünsche erraten? Wer wird die Feste mit solch einer Augenweide krönen? René Hauri hinterlässt grosse Fussstapfen. Er hat bewiesen, dass exzellente Küche keine Frage des Ortes ist, sondern der Leidenschaft, des Könnens und des Herzens. Bis zu seinem letzten Arbeitstag wird er mit der gleichen Hingabe und Freude kochen, die ihn seit 18 Jahren auszeichnen.
Beinahe abgesprungen
Und auch wenn sein Abschied naht, die Erinnerung an seine Kochkunst, seine Ästhetik und seine warme, zugewandte Art wird im Alterszentrum Im Grüt noch lange nachklingen – wie der letzte Akkord einer wunderschönen Symphonie. Dabei wäre er, noch in der Probezeit, beinahe wieder abgesprungen. «Das war nichts für mich. Ich fühlte mich völlig unterfordert. Für rund 50 Personen kochen, das war nichts, was René Hauri wirklich herausfordern konnte. Denn er war eine andere Liga gewohnt. Er hat in den besten Häusern der Schweiz und auch im Ausland am Herd gestanden. Aber er ist geblieben, hat Willi Keller, den legendären Leiter des AZ Im Grüt dazu gebracht, dass die Altersheim-Küche weite(re) Kreise zieht. So konnte Hauri die Kantine des Strassenverkehrsamtes in Schafisheim als Kundin gewinnen. Das Essen wird so zubereitet und in speziellen Behältnissen nach Schafisheim geliefert, dass es nur noch aufgewärmt und serviert werden muss.
Beinahe wie bei einer Fluggesellschaft. Doch Hauri ist am Boden geblieben, hat weitere Kundschaft gewonnen und aus seiner Küche auch ein Cateringunternehmen gemacht. Das hat es ihm ermöglicht, eine kleine Küchenbrigade aufzubauen, die zu kulinarischen Höchstleistungen fähig ist.
Küchenchef René Hauri ist in Dulliken SO aufgewachsen. Sein Vater arbeitete als Schlosser. Die Mutter organisierte das Familienleben. «Wir waren drei Buben und hatten eine wunderbare Kindheit», erzählt Hauri. Seine berufliche Richtung stand für ihn früh fest: Er machte eine Lehre im damals weithin bekannten Restaurant Jura in Stüsslingen. Er glänzte mit einem ausgezeichneten Lehrabschluss.
Aufregende Lehr- und Wanderjahre
«Danach», so Hauri, «begann meine Zeit der Wanderschaft.» Sein erster bedeutender Schritt führte ihn direkt in das prestigeträchtige Hotel Schweizerhof in Bern, ein Ort, an dem wichtige politische Persönlichkeiten residieren und sich auch Mitglieder des Bundesrates kulinarisch verwöhnen lassen. Eine besondere Erinnerung hat er an seinen Solothurner Landsmann Willi Ritschard (1918 – 1983): «Er schätzte eine gute Berner Platte oder auch mal eine Rösti mit Zürcher Geschnetzeltem.» «Schon damals liebte ich es, mit den Gästen ins Gespräch zu kommen und ihre kulinarischen Vorlieben zu erfahren. Diese wertvolle Interaktion ist heutzutage leider etwas in den Hintergrund gerückt. Das ist bedauerlich, denn es ist essenziell, die Wünsche und Erwartungen der Gäste zu erspüren.»
Hauri absolvierte die Rekrutenschule in Moudon als Sanitäter. Er machte danach weiter zum Unteroffizier und wurde militärisch zum Küchenchef. Noch heute finden seine Militärchässchnitten am Mellinger Chlausmärt reissenden Absatz.
Aus der Vision wurde nichts
«Es war stets mein Traum, ein Beizli in St. Saphorin am Genfersee zu eröffnen. Da hätte ich nur zwei Gerichte gehabt: Einmal Filet de Perches (Eglifilet) und Entrecôte Café de Paris mit einer Kräuterbutter wie nur der Hauri sie macht.» Aber wie sagt Hauri so schön? Eine Vision heisst noch lange nicht, dass man sie auch realisiert. Anstatt einem Beizli im Lavaux-Gebiet hiess Hauris nächste Station Hotel Eden Palace au Lac, ein 1896 eröffnetes Fünfsternehaus aus der Belle-Époque. Es waren turbulente Zeiten. Wir blättern in Hauris angejahrten Fotoalben, die ihn bei manch einer Sause mit seinen Arbeitskollegen zeigen. «Wir waren jung, und wir waren wild», sagt Hauri mit sibyllinischem Lächeln. Als Koch sei er aber nur der «Kleinste Gummi Saucier» gewesen, dessen deutscher Chef kräftig dem Alkohol zugeneigt gewesen sei. «Das war mir eine Lehre. Alkohol bei der Arbeit ist für mich stets ein Tabu geblieben.» Weiter gings, vom Genfersee ostwärts ins Bündnerland ins Hotel Montana in Davos mit dem legendären Arvenstübli. Und von Davos wagte er den Sprung ins Ausland, ins Grand Hôtel in Stockholm. Das 1874 gegründete Luxushotel verfügt über 300 Zimmer, davon 31 Suiten, 24 Konferenzund Veranstaltungsräume und zwei Restaurants, darunter ein Gourmetrestaurant von internationalem Rang, mit einer Küchenbrigade von 80 Personen. Hauri war dort Chef de Poissonnier, der die mondänen Gäste mit Fischspezialitäten verwöhnte. Unter den prominenten Gästen waren auch die Stars von ABBA, die damals mit ihren Songs die Welt eroberten.
In der Freizeit verdiente er sich noch etwas dazu (denn die Entlöhnung war nicht gerade üppig). «Ich fuhr mit Kollegen auf der Fähre jeweils nach Finnland. Dort war der Alkohol günstig. Wir bunkerten die Flaschen in einem Schliessfach und warteten bis das Schiffsrestaurant zumachte. Dann verkauften wir den Gästen unseren Alkohol zu guten Preisen.
Dunkle Zeiten in Lappland
Die Zeit in Stockholm sei sehr lehrreich gewesen. Wir machten Bankette für bis zu 4500 Leute. Das bedingt eine gute Organisation. Weniger schön sei der dreimonatige Aufenthalt in Lappland gewesen. Als im Luxushotel in Stockholm gefragt wurde, wer gerne im Winter in der Dependance von Kiruna arbeiten möchte, streckte Hauri vorwitzig auf. Er hatte nicht bedacht, dass es in der nördlichsten Stadt Schwedens den ganzen Winter über dunkel ist. «Aber auch das war eine Erfahrung», sagt er im Rückblick.
Schliesslich kehrte er nach Davos zurück. Dort lernte er seine Frau Gaby kennen, die im Montana an der Rezeption arbeitete. Die beiden heirateten 1990 und wurden Eltern von zwei Mädchen. Das junge Paar zog ins Unterland und wurde in Othmarsingen heimisch. Hauri war lange Jahre beim führenden Gastrodienstleister «SV Group», der allein in der Schweiz 4000 Mitarbeitende beschäftigt, angestellt. Für die «SV Group» führte er als Küchenchef 13 Jahre lang das Personalrestaurant von Möbel Pfister in Suhr. «Dort wurden täglich 2500 Essen zubereitet. Ich war dort mehr im Büro als in der Küche», sagt Hauri. Deshalb habe er seinem Vorgesetzten Willi Keller in den Ohren gelegen, um wieder vermehrt am Herd stehen zu können. Keller übernahm 2006 die Leitung des Alterszentrum Im Grüt.
Am liebsten Blut- und Leberwurst
Und der erinnerte sich an Hauris Wunsch. «Willi fragt mich damals, ob ich überhaupt kochen könne. Denn er sah mich nur im Büro sitzen.»
Wie wir wissen, hat sich Kellers Frage von selbst erübrigt. Hauri kam nach Mellingen und er machte nach anfänglichen Zweifeln aus der damals bescheidenen Altersheimküche einen kulinarischen Hotspot. Mit seinem Verkaufstalent und seinen ausgeprägten kommunikativen Fähigkeiten kochte sich Hauri in die Herzen der stets wachsenden Kundschaft. Etwas zugespitzt gesagt: Hauri gehört mittlerweile, zumindest kulinarisch, zum Mellinger Kulturgut.
Dabei mag er selbst eher «chüstigi» Küche. «Ich liebe Blut- und Leberwurst oder eine Bratwurst», sagt Hauri, der nächstes Jahr in Pension gehen wird.
Hauri bleibt den Kochtöpfen treu
Was er nach seiner langen beruflichen Laufbahn machen wird, will Hauri (noch) nicht verraten. Ein Kochbuch werde er auf keinen Fall schreiben, auch wenn er könnte. Schon eher ein Hörbuch. Nur so viel sei verraten: «Der Hauri wird nach seiner Pensionierung den Kochtöpfen treu bleiben», sagt er in der dritten Person. Und: «Ich habe eine Vision!»
Beat Gomes