«Die KI nahm mir die Freude an meinem Beruf»
14.11.2025 Region RohrdorferbergMit über 50 Jahren startete Guido Schuppisser eine Zweitkarriere als Postauto-Chauffeur bei der Steffen Bus AG in Remetschwil
30 Jahre lang leitete Guido Schuppisser eine Full-Service Werbe-Agentur. Doch den zunehmenden Trend zum Einsatz von künstlicher Intelligenz (KI) wollte ...
Mit über 50 Jahren startete Guido Schuppisser eine Zweitkarriere als Postauto-Chauffeur bei der Steffen Bus AG in Remetschwil
30 Jahre lang leitete Guido Schuppisser eine Full-Service Werbe-Agentur. Doch den zunehmenden Trend zum Einsatz von künstlicher Intelligenz (KI) wollte er nicht mitmachen. Er suchte sich ein zweites Standbein als Postauto-Chauffeur – und bereut es nicht.
Den Moment, in dem ihm klar wurde, dass KI alles verändern würde, kann Guido Schuppisser aus Niederrohrdorf genau benennen. Es war vor vier Jahren bei einem Weiterbildungsseminar seines Branchenverbandes, bei dem auch Experten grosser IT-Konzerne über den zukünftigen Einfluss der künstlichen Intelligenz referierten. Keines der gängigen Computer-Tools, wie beispielsweise Photoshop, würde künftig ohne KI auskommen. Und die Techfirmen hätten obendrein via Internet-Cloud Zugang auf die Daten der Nutzerinnen und Nutzer. Gleichzeitig könnten die Kunden viele Dienstleistungen, wie etwa Logo-Gestaltung und sogar die Planung ganzer Werbe-Kampagnen, mit Hilfe der KI selbst übernehmen. «Das hat mir auf einen Schlag die Freude an meinem Job genommen, weil es für mich so keine ehrliche Arbeit ist», erklärt Schuppisser mit Bezug auf die KI-Werkzeuge. Gleichzeitig ahnte er, dass durch die Verbesserung der künstlichen Intelligenz in zwei bis drei Jahren nicht nur Teile seiner Aufträge wegbrechen würde. So sei es dann auch gekommen: «Erst hat es die Texter erwischt, dann die Fotografen, jetzt die Grafiker», zählt er auf. Für sich persönlich hat der 54-Jährige die Konsequenzen gezogen. Anfang des Jahres hat er seine Agentur Orcamedia umstrukturiert und die Bereiche Webdesign, Online und Events abgekoppelt. Stattdessen konzentriert er sich in seinem Atelier auf die Bereiche Grafik, visuelle Gestaltung und Layout.
Die Reaktionen waren geteilt
Bereits vor diesem Schritt ging er auf die Suche nach einem zweiten Standbein; einem Job, in dem er noch zehn bis zwölf Jahre arbeiten könnte – möglichst ohne den Einfluss von künstlicher Intelligenz. «Ich wollte etwas Sinnstiftendes machen», erzählt Schuppisser. Die Mitarbeit in einer Stiftung oder einem Museum hätte sich der ehemalige Leiter des Kulturkreises Rohrdorf gut vorstellen können. Er habe jedoch schnell gemerkt, dass er dort überall ins gleiche Fahrwasser geraten würde. Denn überall würde schliesslich mit IT gearbeitet. Dann kam die ungeahnte Lösung: Fabian Meier, Betriebsleiter bei der Steffen Bus AG, stellte ihm eine Stelle als Postauto-Chauffeur in Aussicht. Das Traditionsunternehmen, das im nächsten Jahr sein 100-Jahr-Jubiläum feiert, zählt zu den langjährigen Kunden Schuppissers. Auch mit Fabian Meier ist er seit langem gut bekannt. Man habe früher schon gewitzelt, dass er einmal als Chauffeur bei Steffen Bus einsteigen könnte, erzählt Schuppisser bei einem Kaffee im Pausenraum. Nun nahm er das Angebot dankend an. Als er im vergangenen Jahr seinem Umfeld von den Plänen berichtete, seien die Reaktionen unterschiedlich ausgefallen. Doch seine Partnerin habe ihn von Anfang an unterstützt, obwohl die unregelmässigen Arbeitszeiten ihre gemeinsame Freizeit ganz schön durcheinander gewirbelt habe: «Es ist im Moment noch eine Herausforderung, die beiden Leben umzustellen», gibt er zu.
Führerschein der «Königsklasse»
Doch bevor er im Februar die schmucke Postauto-Uniform anlegen durfte, musste er einige Voraussetzungen erfüllen. Vor allem musste er den Führerausweis der Katgegorie D für «Gesellschaftswagen» erwerben – «die Königsklasse», wie Guido Schuppisser sie schmunzelnd nennt. Die Theorieprüfung sei relativ einfach gewesen, berichtet er. «Bei der praktischen Fahrprüfung gibt es aber null Toleranz», fügt er an. Nach den vorgeschriebenen 52 Lektionen bei der «V8 Fahrschule» in Othmarsingen klappte es dann aber gleich im ersten Anlauf. Zusätzlich musste er nach der Chauffeur-Zusatzverordnung (CZV) noch mehrere Weiterbildungskurse besuchen – darunter Verkehrspsychologie, Sicherheit und Nothilfe. Dabei können die Fahrer beispielsweise lernen, wie man einen brennenden und mit Rauch gefüllten Bus evakuiert. Und wie ist es, so ein Postauto zu fahren? «Zuerst kämpft man mit den schieren Dimensionen des Fahrzeugs», beschreibt Schuppisser. Auch das Kräftemanagement mit Motor und Bremse wolle gelernt sein. Man müsse extrem fein bremsen lernen und jederzeit bereit sein, anzuhalten – schliesslich transportiere man Passagiere. «Du fährst einen 18-Tonnen-Eierkarton», bringt Schuppisser es auf den Punkt. Auch immer voll konzentriert zu bleiben und über die zahlreichen Spiegel und Monitore den Überblick zu behalten – und das über Stunden – sei fordernd.
Er ist alles andere als ein Exot
Doch Letzteres zählt auch zu den Dingen, die er an seinem neuen Job als Postauto-Chauffeur besonders schätzt: «Du bist im Hier und Jetzt, das ist extrem schön und heilsam», findet er. Auch dass er nach Jahrzehnten wieder in einem grossen Team arbeiten darf, gefällt ihm.
Zu seiner Überraschung ist dieses ziemlich bunt gemischt und er als Quereinsteiger gar kein Exot. «Wir haben Schreiner, Schlosser, Bäcker, Finanzberater und Landwirte», zählt er einige Berufe auf. Auch ein ehemaliger Gemeinderat ist mit von der Partie. Ein weiterer Vorteil sei die Vielfältigkeit des Berufs aufgrund der zehn verschiedenen Linien, die man bei Steffen Bus bediene. Und dann sind da noch die Passagiere, die ein Spiegel der Gesellschaft seien: «Besonders schön ist es natürlich, wenn man Freunde oder Bekannte aus dem Dorf mitnimmt», erzählt Schuppisser. Seine Entscheidung bereut er jedenfalls keine Sekunde: «Ich kann es nur jedem empfehlen, der im höheren Alter über einen Jobwechsel nachdenkt», lautet sein Fazit.
Michael Lux

