Er ist der Herr über 1000 Orgelpfeifen
24.12.2025 WohlenschwilKaum eine Mitternachtsmesse ohne Orgel. Orgelbauer Matthias Künzler sorgt für den richtigen Klang
Als vor vielen Jahren die Berufswahl anstand, sollte es «etwas mit Holz» sein. Zum Orgelbauer wurde Matthias Künzler auch dank seinem Klavierlehrer. Regelmässig ...
Kaum eine Mitternachtsmesse ohne Orgel. Orgelbauer Matthias Künzler sorgt für den richtigen Klang
Als vor vielen Jahren die Berufswahl anstand, sollte es «etwas mit Holz» sein. Zum Orgelbauer wurde Matthias Künzler auch dank seinem Klavierlehrer. Regelmässig stimmt er die Orgelpfeifen der Kirche in Wohlenschwil.
Spielen kann er die Orgel nicht. Das Interesse dafür war zu gering. Und doch fand er über das Klavierspiel zu seinem Beruf. Gut ein Jahr lang nahm Matthias Künzler als Jugendlicher Klavierstunden. Gleichzeitig stand die Berufswahl an. «Ich wollte mit 16 weg von der Schule», sagt er. Das habe sich mit den Jahren zwar geändert, er absolvierte später einige Weiterbildungen. Damals aber zählte nur eines: Nie mehr Schule!
«Eigentlich wollte ich immer Schreiner werden, es musste etwas mit Holz sein», sagt Künzler. Als er das seinem Klavierlehrer erzählte, meinte dieser, er solle doch mal beim Orgelbauer reinschauen, der arbeite ebenfalls mit Holz. Der Beruf habe ihn von Anfang an fasziniert. Vier Jahre lang ging er in Männedorf in die Lehre. Die Leidenschaft ist geblieben. «Aber Orgelbauer», sagt er, «braucht es in der Schweiz nicht viele.» Ihm kam zugute, dass er die Abwechslung liebt. Er erledigte Schreinerarbeiten auf dem Bau und bei der SBB. Und immer träumte er von einer eigenen kleinen Schreinerei in einem Bauernhaus.
Die eigene Werkstatt im Traumhaus
Ein solches Haus fand er in Wohlenschwil. Im Ortsteil Büblikon, um genau zu sein. «Keine Absicht», sagt Matthias Künzler, der nach seiner Geburt mit seinen Eltern zwei Jahre lang in Argentinien lebte, in genau jenem Dorf, in welches vor rund 100 Jahren auch arme Wohlenschwilerinnen und Wohlenschwiler ausgewandert waren. Das, sagt er, sei reiner Zufall. In Büblikon fand der Orgelbauer sein Traumhaus und konnte eine kleine Schreinerei als Einmannbetrieb einrichten. Die Schreinerei befindet sich im ehemaligen Kuhstall, wo er Futterkrippen durch Maschinen ersetzte.
Mittlerweile lebt Künzler seit 25 Jahren in Wohlenschwil. Er ist für die Orgel in der katholischen Pfarrkirche St. Leodegar verantwortlich. Künzler prüft sie, pflegt sie und stimmt die 1000 Pfeifen aus Holz und Zinn perfekt aufeinander ab. Er mag die Musik. Ihm gefallen Konzerte an grossen Orgeln. Ihm gefällt aber genauso, wenn die Dorfmusik in der Dorfkirche auftritt und von der Orgel begleitet wird. Mehr noch als die Musik faszinieren ihn hingegen Technik und Mechanik. Die komplexe Verbindung zwischen Tasten und Pfeifen, unterstützt von einem grossen Blasebalg. Harmoniert das Zusammenspiel, entstehen Töne – mal fein wie Flöten, dann sehr laut als spielten Trompeten. «Das System entspricht einer Blockflöte», sagt er. Die Reporterin schaut ihn fragend an. Künzler aber erklärt: In die Flöte wird Luft geblasen, während die Finger gleichzeitig unterschiedlich viele Öffnungen verschliessen. An dieses Spiel erinnern sich viele aus ihren ersten Musikschuljahren. Zwar seien Mechanik und Technik bei der Orgel ausgeklügelter, aber die Funktionsweise sei dieselbe, meint der Orgelbauer.
Von Mäusen und Vogelnestern
Seit einigen Jahren arbeitet Matthias Künzler mit einem Knonauer Orgelbauer zusammen. In dessen Auftrag reist ein Trio nach Holland, Deutschland oder Österreich, um Orgeln zu kontrollieren und zu warten. «Mitten in einem schönen, fremden Städtchen nehmen wir eine Kirchenorgel auseinander, reparieren sie und setzen sie wieder zusammen – das ist das Schönste», sagt er. «Wir putzen Pfeifen, entfernen auch mal eine Maus oder ein Vogelnest.» Oft werden sie unterstützt von zahlreichen Helfenden, bisweilen schauen Interessierte zu. Wenn es allerdings hoch hinausgeht, dann kneift der Orgelbauer, lässt seine Kollegen vor. Denn Matthias Künzler ist nicht schwindelfrei. Erst vor kurzem konnten sie zu dritt die Orgel in der Kirche St. Karl Borromäus im österreichischen Hohenems erneuern. «Das war ein grosser, toller Auftrag», sagt er. Die Blasbälge hat Künzler unter anderem in seiner Büebliker Werkstatt vorbereitet.
In Wohlenschwil ist die kleine Orgel über 100 Jahre alt, Baujahr 1913. Wenn heute bei der Mitternachtsmesse ihre Pfeifen wie Flöten und Posaunen klingen, dann auch dank Matthias Künzlers Fertigkeiten.
Heidi Hess

