Er ist der ruhende Pol, auch wenns hitzig wird
06.12.2024 TägerigGemeindeschreiber Rolf Meier sieht sich als Berater und «juristisches Gewissen» des Gemeinderates. Im Januar 2025 wird er pensioniert
40 Jahre lang war Rolf Meier Gemeindeschreiber in Tägerig. Er organisierte ein Fest für die «Miss Schweiz», bekam kurz nach ...
Gemeindeschreiber Rolf Meier sieht sich als Berater und «juristisches Gewissen» des Gemeinderates. Im Januar 2025 wird er pensioniert
40 Jahre lang war Rolf Meier Gemeindeschreiber in Tägerig. Er organisierte ein Fest für die «Miss Schweiz», bekam kurz nach Amtsantritt einen Computer und bedauert das Verschwinden der Dorfbeizen.
Rolf Meier scheint die Ruhe selbst. Und dieser Schein trügt nicht: Der Mann ist die Ruhe in Person. Schon in jungen Jahren als Gemeindeschreiber konnte ihn kaum etwas erschüttern. Etwa als es 1991 plötzlich hiess, Tägerig hat einen Grossratspräsidenten, nachdem der Tägliger Kurt Oldani vom Aargauer Parlament in dieses Amt gewählt worden war. Rolf Meier war gerade mal 31 Jahre alt und seit 1984 Tägerigs Gemeindeschreiber. Nun richtete er im Dorf gemeinsam mit dem Gemeinderat das Fest für den höchsten Aargauer aus, unter den Gästen der Regierungsrat und «die ganze politische Prominenz».
Als sich zehn Jahre später, 2001, Jennifer Ann Gerber aus Tägerig mit 15 weiteren Frauen der Wahl zur «Miss Schweiz» stellte, nahm er auch das gelassen. Er war an diesem Abend an einem Klassentreffen, erzählt er. Dem Gemeindeammann habe er gesagt, die Wahrscheinlichkeit, dass unter 16 Frauen gerade die junge Tägligerin «Miss Schweiz» werde, sei gering – er werde bestimmt ruhig schlafen. Jennifer Ann Gerber aber wurde gewählt. Und wieder richtete die Gemeinde ein grosses Fest aus.
Hier arbeitet er, hier macht er Musik
In Tägerig begann Rolf Meier, 24 Jahre alt, am 1. April 1984 als Gemeindeschreiber. Er hatte zuvor Erfahrungen in verschiedenen Gemeindeverwaltungen gesammelt, die Lehre von 1976 bis 1979 bei Gemeindeschreiber Adolf Fuchs in Mellingen absolviert. Danach arbeitete er in Wohlen auf dem Betreibungsamt. Vorübergehend half er in der kleinen Gemeinde Aristau aus, wo er nicht nur alles machte, sondern auch in alles Einblick erhielt. «Als ich nach Wohlen zurückkehrte, wusste ich, dass mir die gesamte Verantwortung besser gefällt als die Spezialisierung», erklärt Rolf Meier. Und als in Hägglingen die Stelle des stellvertretenden Gemeindeschreibers ausgeschrieben war, bewarb er sich. 1984 wechselte er dann von Hägglingen nach Tägerig. Es war eine Rückkehr in die Gemeinde, in der er aufgewachsen, wo schon sein Vater Gemeindeammann war, wo er im Musikverein das Euphonium spielt und in der er noch heute mit seiner Frau lebt.
«Ruhig Blut» – in jeder Situation
Heute, nach 40 Jahren im Amt, hat der Tägeriger Gemeindeschreiber verinnerlicht, was ihm für seine Arbeit stets wichtig schien: «Ich hypere nicht.» Er habe versucht, in jeder Situation «ruhig Blut» zu bewahren, gelassen zu bleiben. Unter anderem als es vor Jahren um Lösungen für die Sportanlagen ging oder jüngst um Erschliessungsstrassen für das geplante Quartier Floss- und Stockacher. Nie wäre es ihm in den Sinn gekommen, sagt er, jemandem keine Auskunft zu erteilen. Er informierte sachgerecht und erklärte notfalls auch, dass etwas noch nicht spruchreif sei. «Wir sind ein Dienstleistungsunternehmen», fasst Rolf Meier die Arbeit der Gemeindeverwaltung zusammen.
Deutlich distanziert er sich von der Aussage, der Gemeindeschreiber sei der sechste Gemeinderat: «Ich treffe keine Entscheide.» Als Gemeindeschreiber sei er die beratende Stimme, das «juristische Gewissen» des Gemeinderates. Es reize ihn, rechtliche Fragen zu klären, damit er den Gemeinderat beraten kann. Vier Jahrzehnte lang begleitete Rolf Meier die Arbeit von acht Gemeindeammännern und insgesamt 30 Gemeinderätinnen und Gemeinderäten. Er liess sich auf unterschiedliche, meist erwerbstätige Persönlichkeiten ein, arbeitete sie ein und unterstützte sie. «Im Sinne des gegenseitigen Respektes», sagt er. «Ich hätte mir ein Gewissen gemacht, wenn ich den Gemeinderat ungenügend beraten hätte und es deswegen zu Fehlentscheiden gekommen wäre.»
Viel Zeit, viele Änderungen
In 40 Jahren ändert sich manches. Früher traf man sich nach der Musik oder nach dem Sport auf ein Bier in der Dorfbeiz, sagt er, im «Meierhof» oder im «Adler». Dort wurde diskutiert und politisiert. «Manchmal hitzig, im besten Fall sachlich und anständig», meint Meier. «Auch bei unterschiedlichen Ansichten.» Das sei heute leider nicht mehr möglich, bedauert er. Stammtische gibt es keine mehr, die früheren Dorfbeizen sind in Tägerig verschwunden.
Geändert hat sich auch die Technologie. Protokolle habe er zu Beginn an der Schreibmaschine geschrieben, erzählt Rolf Meier: «Erst im Sudel, dann ins Reine». Bereits an Meiers zweiter Gemeindeversammlung in Tägerig, im Dezember 1984, wurde ein Kredit von 65 000 Franken für ein Computer-System beantragt. Es war der Aufwand für zwei Arbeitsplätze mit einem damals zeitgemässen, elektronischen Datenverarbeitungssystem. Heute sei in der Verwaltung alles digitalisiert. Wenn sein Nachfolger im Januar 2025 übernehme, habe er per Mausklick Zugriff auf umfassende Daten, sagt Meier.
Und der pensionierte Gemeindeschreiber wird sich dann Zeit nehmen. Zeit fürs Wandern, fürs Velofahren und für Reisen mit seiner Frau. Zum Beispiel in den hohen Norden.
Heidi Hess