Fassungslos wegen dieses Biber-Kahlschlags
21.02.2025 StettenIm Naturschutzgebiet Gspiss, zwischen dem Eichhof und der Reuss, hat der Biber diesen Winter vier Weidenstämme gebodigt
Vier grosse Weiden hat der Biber diesen Winter umgelegt. Otto Wettstein will wissen, warum sie nicht geschützt wurden. Das sagen die Biberfachleute.
...Im Naturschutzgebiet Gspiss, zwischen dem Eichhof und der Reuss, hat der Biber diesen Winter vier Weidenstämme gebodigt
Vier grosse Weiden hat der Biber diesen Winter umgelegt. Otto Wettstein will wissen, warum sie nicht geschützt wurden. Das sagen die Biberfachleute.
Was der Fislisbacher Otto Wettstein letzten Sonntag unterhalb des Eichhofs in Stetten auf einem Spaziergang entdeckte, machte ihn fassungslos: Ein grosser Baum, der sich in 30 Zentimetern Höhe in drei massive Stämme teilte, liegt am Boden – in Kleinstarbeit vom Biber angenagt und rechtwinklig zu Fall gebracht. Daneben ein weiterer, gleich grosser Baum – auch dies, das Werk eines Bibers. Wettstein erzählt, wie er vergangenen Sommer das letzte Mal hier unterwegs war. Beide Bäume standen noch und spendeten Schatten. «Grosse, massive Bäume! Ein schöner Anblick.», meint er. «Dass er das alles zu Boden gefressen hat ...» In Wettsteins Worten hört man Bedauern und Entrüstung. Wenn auch im Wissen, dass den Biber keine Schuld trifft: Das Tier verhält sich seiner Natur gemäss. Und doch fragt sich der Fislisbacher: «Warum hat Pro Natura diese grossen Bäume nicht geschützt?» Ein Zaun um den Stamm hätte den Kahlschlag doch verhindert?
Tatsächlich sieht man an der Ripishalde, was Christian Tesini, kantonaler Fachspezialist Jagd und Wildtiere, in der jüngsten Ausgabe «Umwelt Aargau» als «Biber-Chaos» beschreibt («Reussbote», 18. Februar). Tesini weiss um das Konfliktpotenzial, wenn sich Biber ans Werk machen: «Für uns Menschen sieht das furchtbar aus», erklärt er. Und doch spricht der Experte vom «schier unendlichen Potenzial für die Artenvielfalt», wenn Biber über mehrere Jahre hinweg die Landschaft verändern dürfen.
Er musste weit suchen für Nahrung
Zum Kahlschlag in der Ripishalde im Naturschutzgebiet Gspiss äussert sich Marianne Rutishauser, die als Biologin bei Pro Natura Aargau für den Biber im Reusstal zuständig ist: «Bei den gefällten Bäumen handelt es sich um Weiden und Pappeln.» Das seien Arten mit weichem Holz, die rasch nachwachsen. «Der Biber hat hier vor ein paar Jahren schon mal Pappeln und eine Kopfweide gefällt», erklärt sie. Es sei zwar schade, dass er nun auch die letzten grösseren Bäume gefällt hat. «Aber gerade in Naturschutzgebieten muss Platz für die Natur sein», meint sie und betont: «Der Biber ist Teil dieser Natur.» Die gefällten Bäume würden ausserdem rasch wieder ausschlagen und wachsen.
Rutishauser erklärt, es sei etwas speziell, dass der Biber erneut in diesem Schutzgebiet aktiv werde. Er entferne sich nämlich nur ungern so weit vom Gewässer – die Reuss liegt rund 200 Meter weit weg. Üblicherweise finde man gefällte Bäume und Sträucher in einem Bereich bis zu 20 Metern beim Gewässer. Der Abschnitt der Reuss sei an dieser Stelle allerdings steil, so dass dort vor allem Buchen wachsen, deren Holz hart ist. «Der Biber musste weit suchen, um Nahrung zu finden», meint sie. «Wir werden die gefällten Bäume nun erstmal liegen lassen, damit er sie entrinden kann.» Auch Albert Karer, kantonaler Biberbeauftragter, spricht von einem natürlichen Zustand. Auf Kantons- und Gemeindegebiet lasse man den Biber in der Regel gewähren. Besonders schützenswerte Bäume – etwa aus Sicht des Forstwartes – würden vom Forst eingezäunt. «Biber fällen Bäume», so Karer, «weil die Rinde im Winter ihre hauptsächliche Nahrungsquelle ist. Oder sie schaffen Freiraum und Licht für Pionierpflanzen, die ihnen wiederum als Nahrung dienen.» Und schliesslich sei Totholz Lebensraum für Insekten und Pilze und somit ein Beitrag zur Biodiversität.
Heidi Hess
Schützen Sie Bäume?
Marianne Rutishauser, Biberexpertin Pro Natura Aargau, erklärt, warum die Rückkehr der Biber auch ein Umdenken nötig macht.
◆ Der Mensch soll umdenken?
Ja. Wir sind gewohnt, an Flussufern grosse Baumriesen zu sehen. Ursprünglich sah die Ufervegetation aber ganz anders aus, weil dort über Jahrtausende Biber aktiv waren. Biber ernähren sich im Winterhalbjahr von Baumrinden und bevorzugen Weichholzbäume. Diese Arten wachsen besonders schnell und können nach einer Fällaktion auch rasch wieder neu ausschlagen. Die jungen Triebe der Weiden sind sogar mit einem Art Frassschutz versehen, der sie ungeniessbar macht für den Biber.
◆ Schützen Sie Bäume auch?
Da grosse Bäume auch sehr wertvolle Habitate oder einfach schön sind, sehen wir keinen Hinderungsgrund, ausgewählte, besonders wertvolle einheimische und alte Bäume zu schützen. Dies setzen wir auch teilweise in unseren Pro-Natura-Schutzgebieten um.
◆ Mit welchen Massnahmen?
Wichtig ist, sogenannte «Drahthosen» anzubringen und zu unterhalten, damit die Bäume nicht einwachsen oder sich die Biber am zu dünnen Draht verletzen können. In Naturschutzgebieten wird oft komplett auf einen Baumschutz verzichtet, was wir begrüssen. (hhs)