Bei der Nüssli Druck AG wird das Ende der Lehrzeit in der Tradition der Schwarzen Kunst mit einer Gautschfeier zelebriert
«Schwarzkünstler», so nennen sich seit jeher Schriftsetzer und Buchdrucker. Neue Mitglieder werden mit einer Wassertaufe, der Gautschete, in ihren ...
Bei der Nüssli Druck AG wird das Ende der Lehrzeit in der Tradition der Schwarzen Kunst mit einer Gautschfeier zelebriert
«Schwarzkünstler», so nennen sich seit jeher Schriftsetzer und Buchdrucker. Neue Mitglieder werden mit einer Wassertaufe, der Gautschete, in ihren Berufsstand aufgenommen. Dieses Ritual musste auch Gergey Steinacher über sich ergehen lassen.
Am Dienstagnachmittag war es soweit. Gergey Steinacher wurde nach alter Tradition im Johanni-Brunnen in der Mellinger Altstadt gegautscht. Um Punkt 15 Uhr wurde das überraschte Opfer während der Arbeit gepackt, in einen Gitterwagen verfrachtet und begleitet vom Gautschmeister in Frack und Zylinder, den beiden Packern und der Belegschaft als Gefolge zum Brunnen gefahren.
Die Vorbereitungen für die Gautschete sind stets streng geheim. Der Termin wird festgelegt, der Gautschmeister, Packer und Schwammhalter ernannt. Zusätzlich unterzeichnen die Arbeitskolleginnen und Kollegen der Nüssli Druck AG die handgeschriebene Urkunde. «Ich dachte, dass ich erst nächste Woche gegautscht werde», verrät Gergey Steinacher nach der Zeremonie. Sein Ausbildner Marcel Müller hätte ihm gesagt, dass ein Monteur für die Druckmaschine um 15 Uhr vorbeikomme und er diesen empfangen müsse. Er sei deshalb überrascht gewesen. Gewehrt habe er sich gegen die Packer nicht.
Wenn der Gautschmeister ruft
Mit Frack und Zylinder waltete Ausbildner Marcel Müller als Gautschmeister seines Amtes. Auf sein Kommando hievten die Packer Gergey Steinacher beim Johanni-Brunnen aus dem Käfig und setzten ihn auf einen bereitgestellten Stuhl. Dazu sagte der Gautschmeister: «Lasst seinen Corpus posteriorum fallen auf diesen nassen Schwamm, bis triefen seine beide Ballen. Der durstigen Seele gebt ein Sturzbad obendrauf, das ist dem Sohne Gutenbergs die beste Tauf.» Nach der Wasserdusche aus einem Eimer tauchten die Packer Gergey Steinacher im Brunnen unter. Kurz darauf entstieg der neuste Jünger Gutenbergs unter Applaus und mit einem Lachen auf dem Gesicht den kalten Brunnenfluten. Gratulationen folgten, bevor Steinacher die nassen Kleider gegen trockene austauschen konnte.
Alte Tradition lebt weiter
Der Brauch des Gautschens geht ins 16. Jahrhundert zurück. Alle Medientechnologen und Polygrafen werden gemäss dieser Tradition zum Abschluss ihrer Lehrzeit auf einen nassen Schwamm gesetzt und in einem Brunnen untergetaucht. Mit diesem Akt sollen die Gautschlinge von den Unannehmlichkeiten und Fehlern ihrer Lehrzeit gereinigt und offiziell in den Gesellenstand aufgenommen werden. Sichtlich gerührt und stolz verfolgte die Familie von Gergey Steinacher die Gautschete ihres Sohnes. Mutter Henriette Steinacher vergoss dabei ein paar Tränen. Ausbildner und Gautschmeister Marcel Müller sagt nach der Gautschete: «Ich bin stolz, dass Gergey nun ein echter Sohn Gutenbergs und Mitglied der Schwarzen Künste ist.»
Die «Gautschete» wurde noch gebührend mit den Gästen und Zeugen mit einem Apéro gefeiert.
Debora Gattlen