Gewerbeverein besucht Bohrkernarchiv
24.10.2025 MellingenDer Gewerbeverein Region Mellingen erfährt im Bohrkernarchiv viel über Atommüll-Tiefenlager
An der Industriestrasse lagern Tausende von Bohrkernen. Es handelt sich um Bohrungen der Nagra zur Standorteruierung für ein mögliches Tiefenlager von Atommüll. Der ...
Der Gewerbeverein Region Mellingen erfährt im Bohrkernarchiv viel über Atommüll-Tiefenlager
An der Industriestrasse lagern Tausende von Bohrkernen. Es handelt sich um Bohrungen der Nagra zur Standorteruierung für ein mögliches Tiefenlager von Atommüll. Der Gewerbeverein, erfuhr bei der Führung auch unbeschönigte Tatsachen.
Die Nagra mag bei einigen Personen so beliebt sein wie der Steuereintreiber», meinte Referent Heinz Sager, Geograf und Kommunikationsmitarbeiter der Nagra. Er verriet den Mitgliedern des Gewerbevereins Region Mellingen, die die Lagerhalle an der Industriestrasse besuchten, wie es um das geplante Endlager in Stadel steht. In der Schweiz werde nicht primär ein möglicher Standort nach der besten Akzeptanz der Bevölkerung gewählt, sondern nach strengen wissenschaftlichen Aspekten und besten geologischen Voraussetzungen. «So machen es auch viele andere Nationen.»
30 000 Seiten stark ist das Gesuch der Nagra für ein Tiefenlager mit Abfall-Verpackungsanlage, das 2024 beim Bund eingereicht wurde. Seit September 2022 ist bekannt, dass das Tiefenlager in Stadel, im Kanton Zürich gebaut werden soll. Nach der Prüfung durch die Sicherheitsbehörde ENSI werden die Kantone und die betroffenen Regionen Stellung nehmen können. «In rund sechs Jahren wird die Schweizer Stimmbevölkerung darüber abstimmen, ob das Tiefenlager in Stadel betrieben werden soll – sofern das fakultative Referendum ergriffen wird», so Heinz Sager.
Ab 2050 soll Atommüll in die Tiefe
Die Nagra gehe davon aus, dass in Stadel ab 2050 erste radioaktive Abfälle unterirdisch deponiert werden. «Das Thema wird auch unsere Kinder und Kindeskinder beschäftigen.» Bis spätestens 2080 sollen alle radioaktiven Abfälle von Schweizer Atomkraftwerken unter dem Boden gelagert sein. Der Vorteil ist laut Sager, dass Eile nicht im Vordergrund stehe. Zudem brauche radioaktiver Abfall viel weniger Platz als etwa Chemieabfälle. Zurzeit wird der Abfall von Atomkraftwerken in Würenlingen zwischengelagert. Sager führte aus, dass die hochradioaktiven Abfälle eine Million Jahre benötigen bis sie nicht stärker strahlen als natürliches Uranerz. «Radioaktivität kann sehr gefährlich sein. Man muss richtig damit umgehen.»
Und da kommt die Geologie ins Spiel. Tiefenlager seien wegen der unsicheren Weltlage, wegen Terroranschlägen und Kriegen letztlich die beste Wahl. Doch wer will eines vor der eigenen Haustüre? «Stellen Sie sich vor, die Nagra komme zum Schluss, Mellingen sei der beste Standort. Wie reagieren Sie? Die meisten würden wohl spontan ablehnen, weil sie zu wenig wissen.» Ein Gewerbler brachte die Reuss ins Spiel. «Ja», antwortete Sager, «fliessendes Wasser wäre schlecht. Wir wären aber 800 Meter unter der Reuss.»
Die Bevölkerung befürchte mögliche Strahlung – aus Sicht der Geologie allerdings unbegründet. Das Endlager werde ausserdem so gebaut, dass Atommüll wieder ausgegraben werden kann. «Kommende Generationen werden in mehr als 100 Jahren entscheiden, ob alles verschlossen und markiert wird oder weiter zugänglich bleibt», erklärte Sager. «Heute müssen Abfälle laut Gesetz markiert werden. Aber Gesetze können geändert werden. Niemand weiss, was in 500 Jahren geschieht.» Fakt sei, so Sager, das Tiefenlager bleibt langfristig sicher und stabil.
12 Milliarden Franken Kosten
Für das Tiefenlager wurden unzählige Berechnungen mit unterschiedlichsten Zukunfts-Szenarien wie Eiszeit oder Wüste durchgeführt. In Stadel sei optimales und sehr dichtes Gestein. Dort schlummere Opalinuston ohne grössere Bewegung seit 175 Millionen Jahren. «Er hat die Alpenfaltung und die Eiszeit überlebt. Die Wissenschaft geht davon aus, dass das auch in einer Million Jahre so bleiben wird – ohne abschliessende Garantie.»
Die Nagra forscht seit 1972 zur Atommüllentsorgung, inzwischen in weltweiter Zusammenarbeit. Ziel ist, grösstmögliche Sicherheit für die Menschheit zu erreichen. Dank Forschung werde man in den nächsten 15 Jahren, bis zu Baubeginn, noch mehr wissen, meinte Sager.
Bei den ersten Bohrungen in den 1980er-Jahren ging die Nagra davon aus, dass sich Granit am besten eigne. Seit den 1990er-Jahren ist es Opalinuston. «Wichtig ist nicht nur, Bohrkerne zu analysieren, sondern auch Versuche im Bohrloch zu machen, im ursprünglichen Umfeld des Gesteins», erklärte Sager. «Das Gebiet in Stadel ist geologisch ‹langweilig› und damit perfekt geeignet.» Hier hatte die Nagra fast 36 Kilometer Bohrkerne entnommen, davon lagern rund 18 Kilometer in Mellingen an der Industriestrasse. Die Kosten des Tiefenlagers werden auf 12 Milliarden Franken geschätzt.
Die Führung kam gut an
«Der Anlass war sehr spannend», sagte Kurt Jenni, Inhaber der Blumen Jenni GmbH. «Kein allgegenwärtiges Thema. Ich schaue das nun anders an.» Dukagjin Ukaj, Präsident des Gewerbevereins meinte: «Es waren deutlich mehr Personen angemeldet als bei anderen Anlässen. Und Hansruedi Emmenegger, Organisator des Anlasses, freute sich, dass 27 Gewerbetreibende die Gelegenheit nutzten, einen Blick hinter die Kulisse zu werfen.
Debora Gattlen

