«Glaube ist eine Ressource in der Krise»
31.07.2025 MellingenKarin Voss ist seit Mai Pfarrerin der reformierten Kirche Mellingen Rohrdorf Fislisbach
Am vergangenen Sonntag wurde die Amtseinsetzung von Karin Voss in der Kirche Rohrdorf gefeiert. Die gebürtige Baslerin ist eine Spätberufene im Amt, dennoch kann die 61-Jährige auf eine ...
Karin Voss ist seit Mai Pfarrerin der reformierten Kirche Mellingen Rohrdorf Fislisbach
Am vergangenen Sonntag wurde die Amtseinsetzung von Karin Voss in der Kirche Rohrdorf gefeiert. Die gebürtige Baslerin ist eine Spätberufene im Amt, dennoch kann die 61-Jährige auf eine langjährige Berufslaufbahn zurückblicken.
Ich bin nicht kirchlich sozialisiert worden», erzählt Karin Voss, die mit zwei Geschwistern im Kanton Basel aufwuchs. Ihre Familie sei zwar christlich geprägt gewesen, zur Kirche ging man jedoch nur zu den hohen Feiertagen. Dass sie einmal Pfarrerin werden würde, war ihr also nicht in die Wiege gelegt. Als Teenagerin habe sie sich auch für das Judentum interessiert und sogar mit dem Buddhismus geliebäugelt, erinnert sich Voss. Bis sie ihre eigentliche Berufung fand, war es ein langer Weg: «Ursprünglich ist mein Traumberuf Heimerzieherin gewesen, was heute der Sozialpädagogin entspricht», so Voss. Nach der Handelsschule arbeitete sie ein Jahr in einer Kinderkrippe, doch die Ausbildnerin meinte, sie sei «zu sensibel». Sie solle sich zunächst in der Fabrik abhärten, erst dann würde sie sie nehmen. «Dann haben meine Lehr- und Wanderjahre angefangen», lacht die sympathische 61-Jährige, die es in den folgenden Jahren an verschiedene Orte in der Schweiz verschlug. Zuletzt war sie Arztsekretärin an der psychologischen Klinik Basel.
Theologiestudium statt Psychologie
«Ich bin auf der Suche nach einem sinnvollen Beruf gewesen», sagt Voss. Zunächst habe sie Psychologie studieren wollen, wie ihre heute erwachsene Tochter, die gerade ihre Ausbildung zur Psychotherapeutin absolviert. Doch als sie bei der Studienberatung die Regale ablief, blieb sie beim Buchstaben «T» hängen und las die Mappe zum Theologiestudium: «Als ich das gelesen habe, hat es mich gepackt». Gerade die Vielseitigkeit des Studiums sprach sie an, das neben Religion sogar Ethik und Kunstgeschichte umfasste. Der Haken: Sie hatte keine Matura. «Ich musste die Matura nachholen mit 30 Jahren», so Voss. Die Matura absolvierte sie an der Kirchlich Theologische Schule (KTS) in Basel, wo sie nach der Zwischenmatur auch ihr Theologiestudium begann. Noch während des Studiums 1999 kam ihre Tochter zur Welt. Drei Jahre zuvor hatte Voss ihren Mann, einen aus Deutschland stammenden Landschaftsarchitekten geheiratet. Mittlerweile sind die beiden fast 30 Jahre verheiratet. «Wir hatten eine ökumenische Hochzeit», erzählt Voss. Denn ihr Mann war katholisch – für das junge Paar jedoch kein Hindernis. Später entschied sich das Paar für einen damals eher ungewöhnlichen Rollentausch: Ihr Mann wurde Hausmann und die junge Mutter widmete sich zu 100 Prozent dem Pfarramt in Sennwald (SG), um später die Weiterbildung zur Seelsorgerin machen zu können. In dieser Funktion Menschen in schwierigen Situationen zu begleiten und ihnen Hilfestellung zu geben, liegt ihr besonders am Herzen. «Auch Jesus war ein Seelsorger, er hat sich den Notleidenden und gar den aus der Gesellschaft Ausgestossenen zugewandt und zugehört», erklärt die Pfarrerin. Im persönlichen Gespräch über Lebens- und Glaubensfragen sieht sie eine ihrer Stärken. Nach gut fünf Jahren in der Ostschweiz arbeitete sie als Spitalseelsorgerin im Limmatspital in Zürich. Danach übernahm sie Gemeinden in Arbon (TG) und Basel-Stadt.
Krebserkrankung bremste sie aus
Während ihrer Zeit in Basel ereilte sie ein doppelter Schicksalsschlag: Nach einer Krebserkrankung litt sie drei Jahre unter sogenannter «Fatigue», einer allgemeinen körperlichen Erschöpfung: «Ich wusste nicht, ob ich Pfarrerin bleiben kann». Doch Voss kämpfte und übernahm 2020 eine Pfarrstelle in Murgenthal (AG). Dort wäre sie gerne bis zur Pensionierung geblieben. Doch die kleine Gemeinde geriet wegen sinkender Steuereinnahmen in finanzielle Schieflage und hatte Mühe, die 100-Prozent-Stelle zu finanzieren.
Also fingen Karin Voss und ihr Mann in Mellingen noch einmal ganz neu an. Ein wenig Respekt vor der Aufgabe in der grossen Pfarrgemeinde habe sie schon, gibt Voss zu. Dass sie sich in ihrem neuen Dreierteam neben den allgemeinen pfarramtlichen Aufgaben besonders auf die Seelsorge und die Seniorenarbeit konzentrieren darf, freut sie aber besonders. Die Stimme der Kirche in der Nachfolge des Prophetenamtes aus dem Alten Testament gegen zerstörerische Kräfte in der Gesellschaft und für die, die keine Stimme haben, findet sie nach wie vor wichtig. Auch für jeden Einzelnen hat der Glaube Bedeutung. «Der Glaube ist auch eine Ressource für Widerstandskraft in der Krise», sagt Voss. Das habe sie in der Seelsorge festgestellt, aber auch ganz persönlich.
Michael Lux