«Ich habe noch einmal viel über Fussball gelernt»
08.07.2025 FussballLangjährige Schiedsrichterin Belinda Pierre-Brem aus Mellingen ist an der Women’s Euro als «Giant Screen Supervisor» im Einsatz
Belinda Pierre-Brem ist beim Aargauer Fussballverband Frauenverantwortliche für das Schiedsrichterwesen. Am Samstag hatte die ...
Langjährige Schiedsrichterin Belinda Pierre-Brem aus Mellingen ist an der Women’s Euro als «Giant Screen Supervisor» im Einsatz
Belinda Pierre-Brem ist beim Aargauer Fussballverband Frauenverantwortliche für das Schiedsrichterwesen. Am Samstag hatte die Mellingerin an der Women’s Euro ihren ersten Einsatz als «Giant Screen Supervisor» im Letzigrund.
◆ Belinda Pierre-Brem, eigentlich hätten Sie am 24. Mai Ihren letzten Einsatz als Schiedsrichter-Assistentin gehabt. Das war dann aber eben doch nicht so.
Doch, ein bisschen schon, ich habe mich für einen teilweisen Rücktritt entschieden. Das heisst, ich werde in Zukunft keine Männerspiele mehr leiten, bei den Frauen mache ich aber noch weiter. Das internationale Fussballjahr dauert eben bis Dezember und hier in der Schweiz ist die Saison im Mai oder Juni zu Ende. Und weil im Herbst einige internationale Einsätze anstehen, habe ich mich entschlossen, weiterzumachen, damit der Verband noch auf mich zurückgreifen kann.
◆ Sie hatten ja gute Gründe für Ihren geplanten Rücktritt, weshalb machen Sie jetzt trotzdem weiter?
Zum einen war natürlich der Abschied im Männerfussball schon nicht ganz einfach, ausserdem möchten wir gerne alle unsere internationalen Plätze besetzt haben. Wenn ich jetzt zurücktrete, wird dort ein Platz frei, den wir im Moment nicht füllen können. Wir sind aber daran, diese Frauen vorzubereiten und haben eine Aargauerin in der Pole Position, die dann meinen Platz übernehmen soll. Im Moment studiert sie aber noch. Ich überbrücke jetzt gewissermassen ein Jahr für sie, damit ich dann hoffentlich den internationalen Badge innerhalb des Kantons weitergeben kann. Das wäre natürlich sehr schön.
◆ Sie haben nun ja einen Vorgeschmack bekommen auf ein «letztes» Spiel. Wird es das dann bei Ihrem endgültigen Rücktritt einfacher machen oder eher noch schwieriger?
Ich glaube, dass es das doch einfacher machen wird, weil ich es jetzt umso mehr geniessen kann – nicht zuletzt, weil es jetzt doch ein reduziertes Pensum ist: Bisher waren es rund 40 Spiele im Jahr. Mein Ziel ist es, in Zukunft nur noch jedes zweite Wochenende auf dem Platz zu stehen. Ob das dann wirklich so sein wird und wie viele internationale Spiele dazukommen, wird sich erst noch zeigen. ◆ Im Moment sind Sie ausserdem an der Women’s Euro engagiert. Was machen Sie dort genau?
Mein Job dort nennt sich «Giant Screen Supervisor» und ich bin im Letzigrund stationiert. Zusammen mit dem «Giant Screen Operator» entscheide ich, was wir auf dem grossen Bildschirm im Stadion projizieren. Auf diesem Screen möchten wir die positiven Seiten des Fussballs hervorheben, jubelnde Fans, schöne Spielzüge und eben keine traurigen, wütenden Fans oder hässliche Fouls. Konkret muss ich zum Beispiel im Umfeld eines Goals schauen, ob vorher irgendwelche kontroversen Situationen waren, und die dann wegschalten.
◆ Das findet also in Echtzeit statt?
Ja, auf dem Giant Screen zeigen wir den Match und ich schaue ihn mir an, wie am Fernsehen. Wenn dann eben zum Beispiel ein Tor fällt, muss ich entscheiden, ob vorher eine kontroverse Situation entstanden sein könnte. Ich muss also sozusagen gleichzeitig mit dem Schiedsrichter auf dem Platz diese Entscheidungen fällen. Im Zweifelsfall gebe ich dem VAR-Headquarter in Nyon Zeit, die Situation zu checken, bevor wir sie dem Publikum zeigen. Solange eine Situation ungeklärt ist, zeigen wir kein Replay.
◆ Das klingt nach 90 Minuten vollster Konzentration.
Ja, es ist eben doch etwas völlig anderes, als zu Hause vor dem Fernseher zu sitzen, vielleicht noch am Handy rumzuspielen oder nebenbei Online-Einkäufe zu tätigen. So etwas liegt natürlich jetzt nicht drin. Ich finde es eindrücklich, wie schnell sich der Fussball in letzter Zeit in technischer Hinsicht weiterentwickelt hat, und gerade bei meiner jetzigen Aufgabe spielt das eine grosse Rolle. Ich habe tatsächlich in den Tagen der Vorbereitung noch einmal sehr viel Neues über Fussball dazugelernt. Dabei hatte ich immer gedacht, ich wisse viel über Fussball …
◆ Sie haben einen ziemlich verantwortungsvollen Job. Wie fühlt sich das an?
Es sind gemischte Gefühle. Zum einen denke ich manchmal schon: Worauf habe ich mich hier bloss eingelassen? Aber ich habe ein tolles und extrem professionelles Team und die Tests sind alle sehr gut verlaufen.
◆ Die nötigen Skills bringen Sie als Schiedsrichterin ja mit. Gibt es etwas, wovor Sie dennoch Respekt haben?
Ich habe bei dieser Aufgabe in vieles einen Einblick bekommen und sehe, was das für ungeheure Datenmengen sind, die einmal quer durchs ganze Land geschickt werden müssen. Das ist schon sehr beeindruckend, und ich bin froh, wenn das alles reibungslos klappt.
◆ Sie arbeiten im Ganzen fünfmal als «Giant Screen Supervisor». Haben Sie einen Wunsch-Match für den Letzigrund?
Wir kennen ja noch nicht alle Paarungen, aber ich fände es natürlich super, wenn Spanien im Letzi spielen würde. Mir gefällt der spanische Fussball.
◆Morgen Mittwoch ist der Match England-Holland. Am Samstag war Ihr erster Einsatz bei Frankreich-England. Hat dort alles gut geklappt?
Ja, wir hatten eine erfolgreiche Premiere und alles hat wie erwartet bestens geklappt. Die Stimmung im Stadion war toll! Unser Team war glücklich nach dem Spiel und umso mehr freuen wir uns auf die nächsten Einsätze in der Hoffnung, wir können so weitermachen.
Susanne Loacker
Belinda Pierre-Brem
Belinda Pierre-Brem aus Mellingen ist beim Aargauer Fussballverband als Frauenverantwortliche im Schieds richterwesen tätig. Sie ist seit über 20 Jahren Schiedsrichterin und Schiedsrichterassistentin bis in die Promotion League und spielte früher beim FC Bremgarten in der 2. Liga. Viele Jahre lang war die heute 37-jährige Physiotherapeutin FIFA-Schiedsrichterassistentin. Sie leitete als SR-Assistentin 2015 mit Susanne Küng den Champions-Lead-Final Frankfurt gegen Paris Saint-Germain und war 2017 zusammen mit Esther Staubli an der Frauen-EM in Holland im Einsatz.