In ihr brennt das Feuer noch jeden Tag
19.09.2025 MellingenDrogistin Claudia Haus ist die letzte Detaillistin an der Hauptgasse. Sie will durchhalten bis sie 100 Jahre alt ist, sagt sie im Porträt
Vor 35 Jahren kam sie als frisch ausgebildete Drogistin nach Mellingen. Blendend hübsch und hartnäckig. Die Männerwelt drehte sich ...
Drogistin Claudia Haus ist die letzte Detaillistin an der Hauptgasse. Sie will durchhalten bis sie 100 Jahre alt ist, sagt sie im Porträt
Vor 35 Jahren kam sie als frisch ausgebildete Drogistin nach Mellingen. Blendend hübsch und hartnäckig. Die Männerwelt drehte sich nach ihr um. «Fräulein Claudia», wie sie gerufen wurde, hatte einen Plan. Sie übernahm die Drogerie von Emil und Maria Busslinger. Heute, 40 Jahre später, ist sie mit ihrem Drogeriehaus die letzte Detaillistin an der Hauptgasse. Aber sie hat nicht aufgehört zu träumen.
Die Türglocke bimmelt leise, als Claudia Haus ihre Drogerie betritt. Ein vertrauter Klang, der den Beginn eines jeden Tages markiert – ausser mittwochs. Hier geht sie im Dienste ihrer Kundschaft, die aus allen Ecken der Schweiz nach Mellingen kommt, auf. Die 64-jährige Unternehmerin «arbeitet» nicht. Sie ist und wirkt. Ihr Beruf ist ihre Berufung. Claudia Haus ist Drogistin mit Leib und Seele, doch das ist nur eine Facette ihres beeindruckenden Lebens. Sie ist Unternehmerin, Ausbildnerin, Therapeutin, und ja, viele nennen sie liebevoll eine «Kräuterhexe» oder «Esoterikerin». Denn in der europäischen Naturheilkunde gibt es kaum etwas, wofür sie nicht eine fundierte Ausbildung absolviert hat. Die unzähligen Diplome in ihrem «Kräuter- und Drogeriehaus», einer Mischung aus Kunst-, Hexen- und Knusperhaus.
Das Resilienzzentrum
Ihre Drogerie in Mellingen ist weit mehr als ein Geschäft; das Drogeriehaus ist sozusagen ein physikalisches Resonanzzentrum für Mensch und Tier. Oder für viele auch ein Resilienzzentrum, wo Menschen Kraft finden, die in dieser schnelllebigen Gesellschaft verloren gegangen ist. Hier finden Kunden nicht nur klassische Drogerieartikel, sondern auch ein breites Spektrum an therapeutischen Dienstleistungen, die auf Claudia Haus’ fundiertem Wissen und ihrer jahrzehntelangen Erfahrung basieren. Ob Pflanzenheilkunde, Spagyrik; Bachblütentherapie oder alternative Diagnosemethoden – Claudia Haus hat für jedes Leiden ein offenes Ohr und fast immer auch den passenden Rat.
Doch Claudia Haus wäre nicht Claudia Haus, wenn sie sich auf eine Sache beschränken würde. Gleich nebenan hat sie ein Teehaus eröffnet, ein Paradies für Liebhaber feiner Heissgetränke, wo Hunderte von Teesorten darauf warten, entdeckt zu werden. Und als ob das nicht genug wäre, ist vor Kurzem um die Ecke an der Grossen Kirchgasse das «Kinderhaus» dazugekommen – ein Ort, an dem Kinder lachen, lernen und toben können. Kinderheilkunde ist das Thema, ein Ort, der das «Natürliche Wachsen» von Kindern zum Thema macht.
Aus purer Leidenschaft
Pensionierung? Für Claudia Haus ist das ein Fremdwort. Sie kann es sich schlichtweg nicht vorstellen, ihre Tage ohne ihre Drogerie, ohne ihre Kunden und ohne ihre Leidenschaft zu verbringen. Ihr Ziel ist klar und unmissverständlich: Sie will 100 Jahre alt werden und bis zum letzten Atemzug arbeiten. Denn für Claudia Haus ist das Leben, ihre Arbeit und die Menschen um sie herum eine untrennbare Einheit – ein erfülltes Dasein, geprägt von Hingabe, Wissen und einem unerschütterlichen Glauben an die Kraft der Natur. Mit Claudia Haus ein Gespräch zu führen, ist zwar ganz einfach, aber genauso anspruchsvoll. Sie hat sich schliesslich vorbereitet. Hat ihre wichtigen Episoden aus ihrem Leben mit Bleistift auf einem Zettel notiert. Weil der Chronist aber genauso gern das Gespräch führt, nimmt die Lebensgeschichte von Claudia Haus ständige Wechsel von Orten und Zeiten. Hier der Versuch, Ordnung in ihre vielen Erzählungen zu bringen. Claudia Haus wurde am 9. April 1961 geboren, exakt acht Minuten nach Mitternacht. Ihr Sternzeichen ist Widder, und ihr Aszendent Schütze. Nach aussen hin wirkt Claudia Haus stets gelassen und ist eine gute Zuhörerin, fast so, als würde sie wie eine weibliche Buddhafigur in sich ruhen.
Ein wandelnder Vulkan
Doch dieser Eindruck täuscht. Sie sagt: «Eine Kartenlegerin hat mir einmal gesagt, mein äusserer Eindruck würde täuschen, ich käme zwar ruhig daher, aber im Innern lodere ein mächtiges Feuer.» In der Tat, Claudia Haus ist ein wandelnder Vulkan. Ihre Tochter Lorena (34), die als Drogistin mit den höchsten Diplomen längst in den Fussstapfen ihrer Mutter wandelt, bestätigt diesen Eindruck: «Als Mutter war sie zwar sehr locker. Man musste einfach ehrlich sein und die Regeln einhalten, dann hatte man alle Freiheiten.» Manchmal müsse sie ihre Mutter richtiggehend bremsen, «wenn sie wieder mal mit dem Kopf durch die Wand will. Sie ist sehr impulsiv. Und wenn sie eine Idee hat, will sie die immer sofort umsetzen.» «Man muss mich schon aushalten können», sagt Claudia Haus von sich selbst.
So wie ihr Mann Freddy, der sichere Anker an ihrer Seite, der über sie sagt: «Für Claudia ist nichts unmöglich. Wenn sie sich etwas in den Kopf setzt, dann wird sie es auch schaffen.» Aufgewachsen ist Claudia Haus mit drei Geschwistern (einem Bruder und zwei Schwestern) auf einem stattlichen Bauernhof in Leibstadt. Und hier beginnt die nächste Geschichte, eine Liebesgeschichte wie sie nur das Leben schreiben kann. Ihr Vater Otto Haus aus Leibstadt war als gelernter Maurer und Bauführer drauf und dran ein Baugeschäft aufzubauen, als er Verena Gärtner kennenlernte, eine Bauerntochter aus dem Dorf. Sie wurde seine erste und einzige Liebe. Weil kein männlicher Erbe zur Verfügung stand, musste Verena den Hof von ihrer Mutter übernehmen. Otto Haus liess kurzerhand Bau und Karriere sein. Er heiratete seine Verena und wechselte den Beruf und wurde Landwirt. Und zwar ein sehr erfolgreicher, wie Claudia Haus betont.
Die Anfänge des KKWs erlebt
Dazu wurde er schon in jungen Jahren Gemeinderat in Leibstadt. Claudia Haus erlebte als Jugendliche die frühe Planung des Kernkraftwerkes in Leibstadt. Ihre Eltern mussten dafür Land abtreten. «Wir waren als Kinder jeweils mit am Tisch, wenn die hohen Herren kamen, um mit unserem Vater zu verhandeln. Wir wollten kein Geld sondern gleichwertiges Land, das wir bewirtschaften konnten.»
Claudia Haus geht ihren Weg
Claudia Haus war eine gute Schülerin. Sie träumte davon Lehrerin zu werden, die Jugend formen, den Geist erleuchten. Welch eine Ironie für jemanden, der den Eltern keinen Kummer machen wollte, und aus diesem Grund vom geträumten Pfad abliess, selbst so oft dem vorgezeichneten Pfad den Rücken kehren sollte. Der Weg, er war für klein Claudia klar wie ein Gebirgsbach im Frühling: die Bezirksschule in Leuggern. Doch Leuggern war nicht Leibstadt, und zwischen beiden Orten lag nicht nur eine Strecke, sondern auch das beunruhigte Herz der Eltern. Ihre Claudia, ein «richtiges Hämpfeli», wie die Mutter murmelte, während der Vater sorgenvoll auf die dünnen Glieder blickte – sollte diese zerbrechliche Erscheinung die tägliche Radfahrt bestehen, die Strapazen des Lernens, die Bürde des Wissens? Die Zweifel knisterten wie trockenes Laub im Wind. Nun, die Bedenken waren umsonst. Claudia Haus setzte ihren Kopf durch. Sie war zwar zart wie eine Spindel, aber hartköpfig wie ein Felsbrocken. Und sie schaffte die «Bez» mit Auszeichnung. Das Seminar stand offen, die Türen der akademischen Welt weit aufgestossen. Doch hier, verehrte Leserinnen und Leser, kommts zu einer Wendung, wie sie für Claudia Haus typisch ist. Der jugendliche Heisssporn mit eigenem Kopf wollte seinen Eltern nicht mit einem langen Studium zur Last fallen.
Was nun? Auf Rat der Eltern schnupperte sie in der Drogerie «Tanneck» in Leuggern. Ein Lehrstelle war just frei geworden, ein Zufall so banal und doch so schicksalhaft wie der Fall eines Apfels vom Baum. Und so nahm die aufblühende Bauerntochter, mit dem strohblonden Haar, die entscheidende Abzweigung ins Reich der Salben, Tinkturen und wohlriechenden Seifen.
Schicksal nimmt seinen Lauf
Allerdings nicht, bevor sie von einem Berufsberater begutachtet worden war. «Sie müssen unbedingt studieren!», rief er aus, die Hände ringend ob der vergeudeten Intelligenz. Doch dann, ein Achselzucken, ein Nicken, «aber eine Drogistenlehre, ja, da kann man es auch weit bringen.» Welch treffliche Prophezeiung! Nach der vierjährigen Lehre, die Claudia Haus – wie könnte es anders ein – mit Bestnoten abschloss, hatte der temperamentvolle Wildfang, der sich vor männlichen Verehrern kaum retten konnte, die Idee, zu heiraten. Doch Vater Otto legte sein unmissverständliches Veto ein. Er meinte, sie solle jetzt erst einmal Berufs- und Lebenserfahrung sammeln. Und sie erhörte den Rat.
Ankunft in Mellingen
Am Bettag 1980, stellte sich «Fräulein Claudia», wie sie damals im Laden gerufen wurde, bei der Drogerie von Emil und Maria Busslinger an der Hauptgasse in Mellingen als neue Kraft vor. Stellenantritt war am 1. Mai 1981. Vier Jahre lang arbeitete sie in der Drogerie als Angestellte, als ihr Emil Busslinger das Geschäft andiente. Das hatte allerdings einen Haken. Ohne höhere Fachprüfung darf man keine Drogerie führen. Also studierte Claudia Haus während zwei Jahren an der Höheren Fachschule für Drogist/ -innen in Neuenburg. Ein Blick ins Fotoalbum zeigt: «Es waren aufregende Jahre für die junge Studentin, die neben dem Studium das Leben mit ihren Kommilitonen in vollen Zügen genoss.» Manch ein Verehrer machte ihr den Hof. Doch Claudia Haus konzentrierte sich auf ihren Studienabschluss, den sie mit Bravour bestand. So war der Weg frei in die Selbstständigkeit. Schon die Grossmutter mütterlicherseits hatte ein Flair für natürliche Medizin. «Sie war eine richtige Kräuterhexe», sagt Claudia Haus. «Wenn wir krank waren gabs Kräuter und Wickel anstatt Tabletten.» Die in die Jahre gekommene Drogerie bedurfte dringend einer Auffrischung. Schon früh erkannte die junge Drogistin aus Leibstadt, dass sie mit der Drogerie alleine keine Zukunft hatte. So stürzte sie sich in den Themenbereich der Naturheilkunde. Ein Blick auf das aktuelle Angebot zeigt, wie viel Claudia Haus in ihre nie endende Ausbildung gesteckt hat. Man ist versucht zu sagen: Es gibt nichts was es im Drogeriehaus zu Mellingen nicht gibt. Für das Angebot der verschiedenen Teeangebote, konsultiert man am besten die Website drogerie-haus.ch. Es waren wilde Jahre in Mellingen, das damals mit seinen 16 Beizen ein Nachtleben kannte, wie man es sich heute nicht mehr vorstellen kann. Claudia Haus hatte auch hier viele Verehrer.
Teppichkauf und Heirat
Doch es kam ganz anders. Weil sich ihre Katze am antiken Teppich zu schaffen gemacht hatte, wollte sie günstigen Ersatz beschaffen. Im Möbel Pfister in Suhr begegnete sie einem schnauzbärtigen Verkäufer, der ihr das passende Stück aufschwatzen wollte. «Ein arroganter Schnösel», erinnert sie sich. Dem zeigte sie die kalte Schulter und kaufte entgegen dem Rat des Verkäufers einen grünlichen Teppich, den sie wegen seiner Hässlichkeit sogleich weiterverkaufte. Tage später rief der Verkäufer von Möbel Pfister an. Aber nicht um sich zu erkundigen, ob sie mit ihrem Kauf zufrieden sei. Er interessierte sich für die attraktive Frau. Der Verehrer hiess Freddy Widmer, ein gelernter Chemielaborant, der nebenher an Samstagen als Verkäufer bei Möbel Pfister aushalf. Nun, es kam zu einem ersten Date in der legendären «Löwen-Bar» in Mellingen. Der Rest ist Geschichte. Die beiden feierten kürzlich ihren 35. Hochzeitstag.
Beat Gomes