«Kein öffentlicher Aufruf zu Gewalt»
08.07.2025 BirrhardDie kantonale SP forderte Gemeinderat Birrhard auf, sich von Aussagen ihres Vizeammanns zu distanzieren
Die umstrittene, «private» Mail von Vizeammann Gaudenz Lüchinger (SVP) an Sanija Ameti gibt weiter zu reden. Die kantonale SP hat sich nun eingemischt. Gemeindeammann ...
Die kantonale SP forderte Gemeinderat Birrhard auf, sich von Aussagen ihres Vizeammanns zu distanzieren
Die umstrittene, «private» Mail von Vizeammann Gaudenz Lüchinger (SVP) an Sanija Ameti gibt weiter zu reden. Die kantonale SP hat sich nun eingemischt. Gemeindeammann Daniel Knappe verteidigt die Meinungsäusserungsfreiheit.
Gegen Drohungen – für Respekt und demokratische Debatte» ist die Medienmitteilung der SP Aargau überschrieben. Die Kantonalpartei forderte den Gemeinderat von Birrhard in einem von über 300 Personen unterschriebenen offenen Brief dazu auf, Stellung «zu den verbalen Attacken» ihres Vizeammanns gegenüber der Politikerin und Stadtzürcher Gemeinderätin Sanija Ameti zu nehmen. Er solle sich «klar und deutlich» von dessen Aussagen distanzieren. Zur Erinnerung: Lüchinger schrieb Ameti in der Wut eine Mail (Ausgabe vom 6. Juni). Es gipfelte in folgendem Satz: «Ich hoffe, du verreist aus der Schweiz, bevor man dich mit anderen Mitteln an der Zerstörung unserer Eidgenossenschaft hindern muss.» Später sprach er in den Medien sein Bedauern aus.
Die SP findet jedoch, Lüchinger habe Aussagen gemacht, die als Gewaltandrohung und Einschüchterung gewertet werden könnten. «Jetzt ist Verantwortung gefragt – und eine klare Haltung», wird Anja Gestmann, Co-Präsidentin der SP Aargau zitiert. Die Sache eilte den Genossen offenbar so, dass sie die Mitteilung zwar am Freitag, 27. Juni, an die Medien verschickten; der Empfänger des offenen Briefs, der Gemeinderat, hatte diesen jedoch noch gar nicht erhalten. Inzwischen ist das Schreiben tatsächlich im Dorf Birrhard eingetroffen, bestätigt Gemeindeammann Daniel Knappe. Er nimmt nun Stellung zur Forderung der SP und schildert die Haltung des Gemeinderats. Knappe erklärt, sein Ratskollege habe Sanija Ameti «von seiner privaten Mailadresse, in Ich-Form und ohne Bezugnahme auf sein Amt als Vizeammann geschrieben». Das sei eine private Korrespondenz zwischen einem Absender und einer einzigen Empfängerin gewesen.
Kein Gewalt-Aufruf oder Hetze
«Der erhobene Vorwurf, dass es sich um einen öffentlichen Aufruf zu Gewalt oder Hetze handelt, trifft nicht zu», sagt der Gemeindeammann weiter. Die Meinungsäusserungsfreiheit sei ein hohes Gut in der Schweiz und Europa. Die Rechtssprechung schütze ausdrücklich auch Meinungen, die unangenehm seien oder schockierten. Politikerinnen und Politiker müssten sich weit mehr gefallen lassen als eine Privatperson, so der Gemeindeammann. Knappe betont auch, dass es «nicht unserem Verständnis von Demokratie entspricht», die von der Bevölkerung gewählten Gemeinderatsmitglieder aus dem Amt zu drängen. Es sei auch nicht die Aufgabe des Gemeinderats, «seine Bürger zu verurteilen, sobald dies gewisse Parteien verlangen.»
SP Aarau: «Kein Wahlkampfthema»
Wieso mischt sich eigentlich die SP in die Sache ein – ist sie bereits im Wahlkampfmodus? Und warum verteidigt sie eine bürgerliche Politikerin? Sanija Ameti war bis zu ihrem Fauxpax 2024 mit dem Foto aus dem Schiessstand in der grünliberalen Partei. «Es geht uns weder um Wahlkampf noch um Schaumschlägerei», sagt die Co-Präsidentin der SP, Anja Gestmann, auf Anfrage. Sie ist auch Gemeinderätin von Schöftland und selbst eingebürgert. Gestmann kam 1998 von Deutschland in die Schweiz. 2013 wurde sie in den Gemeinderat gewählt. «Ich weiss wie es ist, wenn man einem sagt: Wenn es dir nicht passt, kannst du ja gehen. Man kommt nie richtig an», sagt Gestmann. Sanija Ameti sei schliesslich Schweizerin und als dreijähriges Kind hierher gekommen. «Ich wünsche mir eine bessere Willkommenskultur von den Leuten, die in der Schweiz aufgewachsen sind», sagt Gestmann – sie sei gespannt auf die Stellungnahme des Gemeinderats Birrhard.
Lüchinger hat Anwältin genommen
Gaudenz Lüchinger selbst äussert sich nicht mehr zur Angelegenheit, teilte seine Anwältin Barbara Borer-Mathys vom Büro leiser.meyer.müller in Aarau mit. Der Grund: «Seit die Operation Libero die fragliche E-Mail öffentlich gemacht hat, sieht sich mein Klient mit massiven Beleidigungen und Bedrohungen konfrontiert», so Borer-Mathys, die auch SVP-Grossrätin ist. «Diese Situation ist für ihn selbst wie auch für seine Familie sehr belastend.» Er habe klar gemacht, dass es ihm fern lag, irgendjemanden zu bedrohen oder zu beleidigen. – Und Sanija Ameti? Sie und ihre Bewegung schweigen zum Ganzen, trotz mehrerer Mail-Anfragen dieser Zeitung.
Marc Benedetti