«Nettovermögen wird schneller zur Nettoschuld»
19.12.2025 Oberrohrdorf-StaretschwilIm Interview nimmt Gemeinderätin Angela Kaiser-Michel Stellung zum abgelehnten Steuerfuss und spricht über mögliche Folgen
Noch kann Oberrohrdorf vom Nettovermögen zehren. Wie lange das möglich sein wird, hängt von den künftigen Abschlüssen ab. Und ...
Im Interview nimmt Gemeinderätin Angela Kaiser-Michel Stellung zum abgelehnten Steuerfuss und spricht über mögliche Folgen
Noch kann Oberrohrdorf vom Nettovermögen zehren. Wie lange das möglich sein wird, hängt von den künftigen Abschlüssen ab. Und auch davon, welche Investitionen sich die Gemeinde leisten will.
Keine Erhöhung des Steuerfusses von 85 auf 89 Prozent. So lautete das Verdikt der Stimmberechtigten an der Oberrohrdorfer Winter-Gmeind vom 10. Dezember. Mit 150 Stimmen folgten sie einem Antrag von Stimmbürger Daniel Schibli, der den Steuerfuss unverändert bei 85 Prozent belassen wollte. Der Antrag des Gemeinderates, den aktuellen Steuerfuss um 4 Prozent zu erhöhen – zwecks vorausschauender Planung und auch, um das Risiko einer Verschuldung zu verringern, unterlag mit 115 Stimmen.
Der «Reussbote» wollte von Gemeinderätin Angela Kaiser-Michel (FDP), zuständig für die Finanzen, im Nachgang wissen, welche Auswirkungen die Ablehnung des höheren Steuerfusses auf die Gemeinde hat.
◆ War der Gemeinderat bestürzt , weil eine Mehrheit einen höheren Steuerfuss ablehnte?
Angela Kaiser Michel: Nein. Auch mit einem solchen Ausgang müssen wir rechnen. Wären wir bereits stark verschuldet und eine Steuererhöhung wäre unumgänglich gewesen, hätte es allerdings wenig Flexibilität gegeben ...
◆ Aber so war es nicht?
Nein. Wir wussten, wir beantragen die Steuererhöhung vorausschauend. Noch haben wir ein Nettovermögen.
◆ Warum also eine Steuererhöhung?
Oberrohrdorf verzeichnete in den beiden letzten Jahren negative operative Ergebnisse. Auch dieses und nächstes Jahr sind negative Abschlüsse, beziehungsweise operative Ergebnisse, budgetiert. Zudem stehen wir in der Selbstfinanzierung ziemlich schlecht da. In Anbetracht der kommenden investitionsreichen Jahre beantragten wir eine Erhöhung des Steuerfusses.
◆ Das ruft sowohl Befürworter als auch Gegner auf den Plan.
Es geht um eine Wertehaltung. Wie ein Stimmberechtigter korrekt erwähnte, hatte Oberrohrdorf am 1. Januar 2025 ein Eigenkapital von rund 55 Millionen und ein Nettovermögen von 4,1 Millionen Franken. Die flüssigen Mittel lagen Anfang 2025 bei fast 5 Millionen Franken. Davon bezahlt die Gemeinde im Verlaufe des Jahres ihre Rechnungen. Der Gesamtumsatz der Gemeinde beträgt rund 20 Millionen Franken, ohne die Investitionen. Der Bedarf ist nicht immer gleich hoch. Aber wegen der Tagesgeschäfte will eine Gemeinde keine Kredite aufnehmen.
◆ Das klingt solide ...
Eine finanziell gesunde Gemeinde fokussiert nicht zu stark auf Eigenkapital, weil es sich um buchhalterische Werte handelt, die nicht zur Verfügung stehen, um Rechnungen zu bezahlen. Unser Selbstfinanzierungsanteil, der den finanziellen Spielraum aufzeigt, liegt bereits heute unter dem Grenzwert des Kantons. Er wird bei gleichbleibendem Steuerfuss weiter sinken. Das bedeutet, dass wir uns in den nächsten Jahren verschulden müssen.
◆ Sie sprachen von Werten ...
Wir können mit einem Steuerfuss von 85 Prozent weitermachen, weil wir aktuell noch über ein Nettovermögen verfügen. Wir können uns sagen, schauen wir, wie sich das in den nächsten zwei Jahren entwickelt. Danach reagieren wir.
◆ Aber das entsprach nicht dem Plan des Gemeinderates?
Nein. In Oberrohrdorf stehen, neben den stetig steigenden, gebundenen Ausgaben, grosse Investitionen an: Die finanzielle Beteiligung an der Erweiterung des Oberstufenschulhauses der Kreisschule Rohrdorferberg, ein neuer Werkhof und der Umbau der Tagesstruktur. Will sich die Bevölkerung diese Investitionen leisten, müssen wir über den Steuerfuss reden. Je länger wir mit der Erhöhung zuwarten, umso grösser das Risiko, dass der Steuerfuss stärker erhöht werden muss als auf 89 Prozent.
◆ Was heisst das konkret?
Zu einem späteren Zeitpunkt genügt die Erhöhung auf 89 Prozent vielleicht nicht mehr. Das werden die Abschlüsse in den kommenden Jahren zeigen.
◆ Werden Investitionen verzögert?
Das ist eigentlich keine Option. Der Druck würde mit einer zeitlichen Verschiebung nicht geringer. Im Gegenteil. Wir riskieren einen Investitionsstau. Das möchte der Gemeinderat unbedingt verhindern. Es gilt auch zu bedenken, unsere Infrastruktur ist so gut, wie wir sie unterhalten.
◆ Gemeindeammann Thomas Heimgartner hatte an der Winter-Gmeind erklärt, der Gemeinderat setze jetzt auf 89 Prozent, weil er beim Steuerfuss keine 9 an erster
Stelle will.
Genau. Der Gemeinderat wollte vorausschauend handeln.
◆ Ist das mit dem Entscheid des Souveräns nun gescheitert?
Ja. Unsere finanzielle Leistungsfähigkeit ist bereits heute eher schwach. Das versuchten wir, abzufedern. Es bleibt eine gesellschaftliche Frage, wie stark sich eine Gemeinde verschulden und diese Verschuldung an nächste Generationen weitergeben will. – Auch dies eine Frage der Wertehaltung.
◆ Was bedeutet denn nun der unveränderte Steuerfuss für Oberrohrdorf?
In einem ersten Schritt wurden das Budget 2026 und der Finanzplan angepasst. Wir korrigierten die Fiskalerträge nach unten, von 15,8 Millionen auf 15,2 Millionen Franken. Der budgetierte Aufwandüberschuss liegt neu bei über 2 Millionen Franken. Wir werden deshalb von unserem Nettovermögen zehren müssen, das Ende 2024 rund 4,1 Millionen Franken betrug. Ende 2026 dürfte es bei 2,5 Millionen Franken liegen.
◆ Müsst ihr zaubern?
Nein, da wir die Aufwandüberschüsse durch das Eigenkapital decken können. Unser Nettovermögen wird sich jedoch schneller in eine Nettoschuld verwandeln.
◆ Also doch «Steuern auf Vorrat»?
Nein. Der Gemeinderat wollte angesichts der gestiegenen Kosten und kommenden investitionsreichen Jahre verhindern, dass das Nettovermögen allzu schnell wegschmilzt. Mit einer leichten Erhöhung wollten wir versuchen, besser über die Jahre zu kommen, in welchen in Oberrohrdorf hohe Investitionen anstehen. Jetzt müssen wir beobachten, wie sich die künftigen Abschlüsse entwickeln und schauen, welcher finanzielle Spielraum dann noch bleibt.
◆ Und wenn nicht?
Dann kommen wir um eine Erhöhung des Steuerfusses nicht herum.
◆ Letztlich ist auch ein Steuerfuss von 89 Prozent tief. Da blickt die eine oder andere Gemeinde in der Region wohl durchaus neidisch auf Oberrohrdorf. Sicher haben wir in Oberrohrdorf starke Vertreterinnen und Vertreter eines tiefen Steuerfusses.
◆ Zu Lasten von Investitionen ...
Das möchten wir vermeiden. Investitionen in einen Werkhof, in Schulen oder Tagesstrukturen tangieren aber nicht alle Menschen gleichermassen.
◆ Ist das nicht egoistisch?
Der Gesellschaftsvertrag beinhaltet, dass auch kommende Generationen eine gute Infrastruktur erhalten sollen. Dem wurde bis anhin in Oberrohrdorf stets Sorge getragen.
Heidi Hess



