Oliver Conrad: Wie Phönix aus der Asche
21.02.2025 MellingenEr stand nach 19 Jahren in der gleichen Firma auf der Strasse. Vor zehn Jahren wagte der gelernte Zimmermann die Selbstständigkeit
«Conrad Holzbau», kurz ch, wird in wenigen Wochen zehn Jahre alt. Die Geschichte von ch ist auch die Geschichte von Oliver Conrad, Holzbauer ...
Er stand nach 19 Jahren in der gleichen Firma auf der Strasse. Vor zehn Jahren wagte der gelernte Zimmermann die Selbstständigkeit
«Conrad Holzbau», kurz ch, wird in wenigen Wochen zehn Jahre alt. Die Geschichte von ch ist auch die Geschichte von Oliver Conrad, Holzbauer aus Leidenschaft. Sie erzählt, wie Conrad am Tiefpunkt seines beruflichen Lebens allen Widrigkeiten trotzte und den Neuanfang wagte. Mit einem halben Dutzend Weggefährten gründete er in Mellingen sein eigenes Holzbauunternehmen. Eine Geschichte, wie einst als «Phönix aus der Asche» auferstanden ist.
Oliver Conrad ist zurzeit nicht gut zu Fuss. Er geht an Krücken. Das Knie machte ihm ein Leben lang zu schaffen. Jetzt, mit 52 Jahren, war die Zeit reif für ein künstliches Kniegelenk. Bis das seinen Dienst reibungslos versehen kann, dauert es noch etwas. Das Knie hat Oliver Conrads berufliche Laufbahn mit beeinflusst. In Wettingen geboren und in Baden aufgewachsen, sind seine Erinnerungen an die Schulzeit mit der Zeit verblasst. Das hat gute Gründe. Die Schule sei für ihn ein Muss gewesen. Nichts, was er unnötig hätte verlängern wollen. So hatte er keine Lust seinem Vater Peter Conrad nachzueifern, der in Baden als bekannter Advokat eine Kanzlei führte und von 1986 bis 1996 für die damalige CVP im Stadtrat sass.
Lehre als Zimmermann
«Ich hatte keine Lust auf ein Studium», sagt Oliver Conrad, der als Zweitältester mit zwei Brüdern und einer Schwester aufgewachsen ist. Der Älteste wurde Rechtsanwalt und ist in die Fussstapfen des Vaters getreten, die Schwester wurde Lehrerin und der vierte im Bunde praktiziert als Hautarzt in Baden. Trotz abgeschlossener Bezirksschule entschied sich Oliver Conrad für eine handwerkliche Lehre als Zimmermann. Schon damals machten sich als Folgen einer Wachstumsstörung Beschwerden im Knie bemerkbar. Das war auch der Grund, weshalb Conrad nicht auf dem Beruf bleiben konnte. «Ich wählte den Weg des geringsten Widerstandes», räumt Conrad freimütig ein. Dank Berufsmatura brauchte es für die Aufnahme ins Technikum in Windisch keine Aufnahmeprüfung. So begann er das Studium zum Bauingenieur. Aber nicht für lange. «Ich hatte dort einen Fensterplatz.
Von dort hatte ich einen fantastischen Blick auf eine Baustelle mit wunderschönem hölzernem Dachstuhl. Da wusste ich, das mit dem Bauingenieur ist nicht mein Weg.» Also brach er das Studium kurzerhand ab. Den leidenschaftlichen Holzbauer zog es zurück zum Lehrbetrieb, zur Fleischmann Holzbau AG in Wettingen.
Die Lehr- und Wanderjahre
Dem Holz blieb er treu, bis heute. Wir treffen Oliver Conrad in der alten «Sagi», in der seit mehr als 100 Jahren Holz bearbeitet wird. Die riesige Halle ist aber nicht mehr vergleichbar mit der einstigen Sägerei. Das Büro finden wir über eine nachträglich eingebaute Betontreppe durch den Hinterhof im 1. Stock. Dort hat Conrad einen Zwischenboden einziehen lassen, auf dem die Büros der neugegründeten Firma Einzug hielten. Zum Büro gehört auch ein «Glashaus». Es dient als Sitzungszimmer, von dem aus Besucher einen Blick in die darunter liegende Fabrikationshalle erhalten. Oliver Conrad erzählt, wie er an der Holzbaufachschule in Biel (Architektur, Holz und Bau) die Aufnahmeprüfung zum Holzbau-Techniker bestand, und wie er neben der Arbeit Jahre später die Schule erfolgreich abschloss. Hinterher machte er auch gleich noch den «Eidgenössischen Holzbaupolier». Noch während der Ausbildung heuerte er in Künten bei der Schreinerei und Zimmerei Meier an. Mit der Holzbauabteilung baute Conrad für die Firma ein drittes Standbein auf. «Ich sammelte in dieser Zeit nicht nur viel Erfahrung, ich konnte im Laufe der Jahre auch ein grosses Netzwerk aufbauen», sagt Conrad. «Ich durfte damals, Mitte der 1990er-Jahre, bei Meier den Elementbau aufbauen.» Die Teile wurden in der Werkstatt vorfabriziert und auf der Baustelle endmontiert. Auch die Einführung der Computersoftware CAD (Computer-Aided Design) fiel in seine Zeit. Damit werden komplexeste Projekte entworfen und berechnet. CAD ist im heutigen Betrieb nicht mehr wegzudenken. Ein Blick aus dem Glashaus zeigt Silvio Annunziata stehend an seinen Computern. Annunziata ist ein alter Weggefährte aus Künten, der bei der Einführung von CAD schon dabei war und der heute bei ch in der Rolle eines Projektleiters wichtige Planungsund Berechnungsaufgaben inne hat.
ch – Werbetechnischer Volltreffer
Dabei wäre beinahe alles ganz anders gekommen. Conrad wollte nämlich zuerst eigentlich Forstwart und nicht Zimmermann werden. Doch der damalige Stadtoberförster Georg Schoop habe ihm die fehlenden Karriereaussichten eines Forstwartes aufgezeigt. So wurde aus dem verhinderten Forstwart der Holzbauer Oliver Conrad. Und schliesslich der Gründer von ch.
Anfänglich mochte sich manch ein Zeitgenosse über das merkwürdige Kürzel ch gewundert haben. Ch, wie das Akronym confoederatio helvetica. Ein Firmenname, den sich ausgefuchste Marketingprofis nicht besser hätten ausdenken können. Was fast auf jedem Auto aufgeklebt zu sehen ist, hat mit der Eidgenossenschaft und dessen Kürzel aber rein gar nichts zu tun. Es bedeutet schlicht und ergreifend «Conrad Holzbau».
Der Schock
Der werbetechnische Volltreffer lag auf der Hand. Allerdings muss man den Vorteil, der einem in die Wiege gelegt wurde, auch erkennen – und nutzen.
Dem Neuanfang mit «ch» ging ein fundamentaler Bruch in Conrads Berufsleben voraus. Sozusagen auf dem Höhepunkt seines Schaffens ist Conrad beruflich unvermittelt zwischen Stuhl und Bank gefallen. Und zwar auf so dramatische Weise, wie sich das kein Roman-Autor hätte dramatischer ausdenken können. Oliver Conrad wurde von seinem damaligen Arbeitgeber unvermittelt freigestellt. 19 Jahre im Betrieb endeten abrupt. Grund für den Rauswurf: Conrad hatte seinem Chef vorgeschlagen, die florierende Abteilung Holzbau aus der ins Schlingern geratenen Gesamtunternehmung herauszukaufen. Es war als würde Conrad mit seiner Idee zum Management-Buy-out mit dem Kopf gegen einen mächtigen Dachbalken laufen. Sein Arbeitgeber glaubte, das sinkende Schiff auch ohne Conrad retten zu können. Ein Irrtum, wie sich Wochen später herausstellen sollte. Der Konkurs war nicht aufzuhalten. Anstatt Conrads Vorschlag zu prüfen, stellte Meier seinen langjährigen Kaderangestellten kurzerhand vor die Tür. «Das war ein Schock», erinnert sich Conrad. «Ich musste innerhalb einer Stunde meine Sachen räumen, die Schlüssel abgeben und die Firma verlassen», erinnert sich der vierfache Familienvater. Das war im April 2015.
Neuanfang mit alten Weggefährten
«Die ersten Tage nach dem Rausschmiss war ich völlig durch den Wind», sagt Conrad. Doch knorrig wie ein «Hölzerner», der er nun mal ist, bekam Conrad schon bald wieder Boden unter die Füsse – und begann neue Pläne zu schmieden. Conrad entschied sich für das Wagnis, selbst anzufangen. In einer Zeit des Fachkräftemangels scharte er ein halbes Dutzend ausgewiesene Holzbau-Spezialisten um sich, mit denen er schon in Künten zusammengearbeitet hatte. Fehlte nur noch ein geeigneter Standort in der Region. Conrad wollte unbedingt in der Gegend bleiben. Denn hier kennt er Land und Leute, hier verfügt er über ein über die Jahre gewachsenes Netzwerk. Schliesslich wurde er in Mellingen fündig. Die grosse Halle der alten Sägerei, in der die Marin Frey AG 100 Jahre lang Holz gesägt hat, war zwar schon fast als Lagerhalle vermietet, als sich Conrad mit Besitzer Christoph Nüssli zum Gespräch traf.
Gründung von ch
Der zeigte sich von Conrads Ideen angetan. Die beiden wurden sich einig. Drei Monate nach dem Rauswurf in Künten, wurde die «Conrad Holzbau AG» ins Handelsregister eingetragen – ch war geboren. Am 9. Juli dieses Jahres wird die Firma ihren 10. Geburtstag feiern können. Ch spielt mittlerweile im Konzert der besten Holzbauer der Region mit, wenn es um die Vergabe anspruchsvoller Aufträge geht. Eben erst konnte ch den grössten Auftrag ihrer jungen Geschichte fertigen, ein Mehrfamilienhaus in Fischbach-Göslikon. Ein Holzhaus, natürlich. Bis dahin musste Conrad und seine Truppe immer wieder die Ärmel hochkrempeln. Denn auch für die «Neulinge» aus der Mellinger «Sagi» war der Anfang nicht leicht. Mit einigem Geschick und auch etwas Glück gelang es Conrad einen Grossteil des Maschinenparks aus der Konkursmasse seines langjährigen Arbeitgebers herauszukaufen. Die geballte Fachkompetenz von ch und seinen «Hölzernen» hat sich herumgesprochen.
Sie liessen sich auch nicht durch zwei Hochwasser, bei denen sie den ganzen Maschinenpark innerhalb von acht Stunden räumen mussten, von ihrem Weg abbringen. Auch die Covid-Pandemie konnte sie nicht bremsen.
Damit die fachliche Qualität hochgehalten werden kann, investiert Conrad in die Ausbildung seiner Mitarbeitenden. Dazu gehört auch die Ausbildung von Lernenden. Zurzeit sind es sieben an der Zahl. «Nur so können wir dem Fachkräftemangel entgegenwirken», sagt Conrad, der mittlerweile auch mal einige Wochen ausfallen kann. Sein Stellvertreter Michael Hardmeier und das ganze Team ziehen den Karren, auch wenn er nicht da ist.
Investition in die Zukunft
Mittlerweile drängt auch der familieneigene Nachwuchs in die Firma. Ein Sohn ist bereits in der Administration aktiv, ein weiterer wird schon bald die Lehre als Zimmermann antreten. Zu weit will Oliver Conrad nicht nach vorne schauen. «Unser Ziel ist es weiter qualitativ gute Lernende auszubilden, damit wir unsere Prozesse und Arbeitsabläufe kontinuierlich an die Jungen weitergeben können.» Oliver Conrad ist für die Zukunft zuversichtlich. «Denn wir sind die einzige Branche, die auf nachwachsenden Rohstoff setzt.» Und er betont: «Wir führen nicht nur grosse Aufträge aus. «Von der kleinsten Dachfensterreparatur bis zur Planung und Ausführung ganzer Holzhäuser machen wir auch in Zukunft alles, was mit Holz zu tun hat.»
Beat Gomes






