Richard Irniger: «Das tut schon weh!»
03.06.2025 NiederrohrdorfRichard Irniger, betreibt im gleichen Gewerbehaus nach wie vor die Irniger Immobilien und Verwaltungs AG. Der 83-Jährige erzählt, wie mit den Brüdern Jäckle eigentlich alles gut begann. Er sagt aber auch, wo die neuen Besitzer aus seiner Sicht Fehler begingen.
Richard ...
Richard Irniger, betreibt im gleichen Gewerbehaus nach wie vor die Irniger Immobilien und Verwaltungs AG. Der 83-Jährige erzählt, wie mit den Brüdern Jäckle eigentlich alles gut begann. Er sagt aber auch, wo die neuen Besitzer aus seiner Sicht Fehler begingen.
Richard Irniger, 83 Jahre alt, steht in seinem Büro am Fenster. Von hier oben sieht er auf den Kreisel mit der grossen Libelle, die am Eingang von Niederrohrdorf alle Vorbeifahrenden begrüsst. «Libelle» heisst auch das Gewerbehaus, dessen Räume Richard Irniger in seiner Firma Irniger Immobilien und Verwaltungs AG vermietet. Gegründet hatte er das Immobilienunternehmen gemeinsam mit Gallus Blunschi im Jahr 2008, nachdem er die Schreinerei Irniger Innenausbau AG verkauft hatte.
Jeden Tag ist er hier anzutreffen. «Ich bin seit 58 Jahren in der Firma», sagt der 83-Jährige. «Solange ich das machen kann, mache ich es gerne.»
Richard Irniger vermietete unter anderem an die Schreinerei Irniger Innenausbau im Erdgeschoss, die bis 2008 ihm und Gallus Blunschi gehörte – gegründet wurde sie 1903 von Jakob Irniger-Egloff, einem seiner Vorfahren. Während die Besitzer der Schreinerei wechselten, blieb der Name. So wünschten es jeweils die neuen Besitzer. Denn dieser Name stand am Rohrdorferberg seit über 100 Jahren für Qualität und Wert.
Am 19. Mai machte der Kanton den Konkurs der Irniger Innenausbau AG unter ihren letzten Besitzern Hans und Robert Jäckle publik («Reussbote», 23. Mai). Die Brüder Jäckle hatten die Schreinerei 2022 von Markus Staubli gekauft. Wut und Enttäuschung habe er verspürt, sagt Richard Irniger, als er vernahm, dass der Betrieb nun schliessen muss. «Das tut schon weh!» Im Gespräch erklärt er seine Sicht auf die Dinge. Der 83-Jährige sagt auch, warum er dennoch keine schlaflosen Nächte hat.
◆ Irniger Innenausbau ging Konkurs. Sie, Herr Irniger, betreiben im gleichen Haus nach wie vor Ihre eigene Firma, die Irniger Immobilien und Verwaltungs AG. Mit Erfolg?
Wir haben 20 Mietende. Hier arbeiten Anwälte neben Handwerkern. Wir haben im Haus ein gutes Einvernehmen und sorgen dafür, dass das funktioniert, wir bemühen uns um gute Stimmung im Gewerbehaus. Die Mieterinnen und Mieter können mit ihren Anliegen zu uns kommen. Zum Beispiel, wenn sie eine zusätzliche Wand benötigen, Beleuchtung, eine Belüftung ... Dann wird ihr Anliegen geprüft und in der Regel umgesetzt.
◆ Die Schreinerei Irniger Innenausbau ist seit fast 20 Jahren nicht mehr in Ihrem Besitz. Sie hat nichts mehr mit Ihnen zu tun. Nun werden Sie wegen des Namens Irniger ebenfalls mit dem Konkurs der Schreinerei in Verbindung gebracht. Warum durften die neuen Eigentümer der Schreinerei den Namen Irniger Innenausbau weiterhin führen?
Der Name Irniger ist am Rohrdorferberg bekannt, er stand für Qualität und Wert. Alle, die nach Gallus Blunschi und mir die Schreinerei führten, wollten den Namen Irniger behalten – auch wenn niemand mehr aus der Familie Irniger mit der Schreinerei zu tun hatte. Sie gehört uns seit vielen Jahren nicht mehr.
◆ Wie lange führten Sie und Gallus Blunschi den Betrieb?
Von 2001 bis 2008. Im Jahr 2001 kam Jacob Irniger-Blunschi, der die Schreinerei seit 1963 führte, auf mich und Gallus Blunschi zu. Er fragte uns, ob wir den Betrieb übernehmen wollten. Ich war damals 59 Jahre alt. Wir diskutierten, ob wir es wagen wollten, in diesem Alter noch eine Firma zu übernehmen.
◆ Aber Sie sagten ja?
Da waren eben auch die 20 Mitarbeiter ... Schon damals war für uns aber klar, wir müssen einen Nachfolger aufbauen. Wir verkauften den Betrieb 2008 an Markus Staubli, einen langjährigen Mitarbeiter. Er führte die Firma zeitgemäss und brachte das Unternehmen auf den höchsten technischen Stand, er automatisierte und digitalisierte. Die Schreinerei konnte er 2022 dann zu sehr guten Bedingungen weiterverkaufen, an den Höchstbietenden. Es gab damals weitere Interessenten, die beim Höchstpreis aber nicht mitbieten konnten.
◆ Sie arbeiten in Ihrer Firma Irniger Immobilien im dritten Stock, im gleichen Gebäude. Wussten Sie von den Schwierigkeiten, vom drohenden Konkurs der Schreinerei im Parterre?
Ich spürte es.
◆ Aber Sie wussten nichts?
Am 30. April wurden wir erstmals orientiert. Die Hinterlegung der Bilanz erfolgte am 16. Mai. Zuvor wurden wir hingegen nie kontaktiert, niemand kam auf uns zu. Irgendwie wurde gewurstelt und dann standen alle vor vollendeten Tatsachen.
◆ Das war am 19. Mai?
An diesem Montagmorgen wurde der Schlüssel gedreht ... Die Jäckles luden die Mitarbeiter um 9 Uhr zum Kaffee ein und sagten ihnen: So, jetzt geht ihr heim. Die Mitarbeiter sollten nicht einmal mehr aufräumen. Traurig!
◆ Und die Mitarbeiter?
Die fielen aus allen Wolken.
◆ Sie sagten, Herr Irniger, Sie hätten es gespürt. Warum?
Mein Mitarbeiter Claude Meier, der den Kontakt zu den Mieterinnen und Mietern pflegt und auch Hauswartarbeiten erledigt, und ich, wir ahnten, das kann nicht funktionieren.
◆ Was konnte nicht funktionieren?
Als die Brüder Hans und Roberto Jäckle den Betrieb 2022 von Markus Staubli kauften, übernahmen sie auch alle treuen und langjährigen Mitarbeitenden – gute Leute! Alle verliessen schon bald den Betrieb.
◆ Warum gingen sie?
Es ging chaotisch zu und her, beispielsweise bei der Abwicklung der Aufträge. Das bekamen die Mitarbeiter mit.
◆ Worin sehen Sie die Ursache für den Konkurs?
Eine solche Schreinerei braucht eine klare Betriebsleitung. Diese war aber nicht klar ersichtlich. Möglicherweise hatten sie die Lage, die Situation falsch eingeschätzt. Vielleicht zu hoch gepokert? Die beiden vermittelten das Bild, in ihrem Unternehmen laufe alles perfekt. Es war ein Trugschluss..
◆ Hätte man diesen Konkurs abwenden können?
Dafür wissen wir zu wenig. Am Anfang sah es wirklich gut aus. Wir besprachen mit den Brüdern Jäckle, was wir alles machen wollen, neuer Eingang, neue Garderoben.
◆ Wann wendete sich das Blatt?
Plötzlich hiess es, wir haben die Firma Hasler gekauft – ein gutgehender Dorfbetrieb im Thurgau, dessen Inhaber im Pensionsalter war und den beiden seine Firma verkaufte. Später kam aus anderen Gründen die Luzerner Sitzplatz AG dazu – diesem Unternehmen ging es bereits schlecht. Innert drei Jahren kauften Jäckles drei Firmen. – Vermutlich hätten wir ihnen vom Kauf einer weiteren Firma abgeraten.
◆ Vom Kauf der Firma Sitzplatz zum Beispiel?
Zum Beispiel, ja. Hingegen wäre es kaum sinnvoll gewesen, selbst nochmals Geld hineinzustecken.
◆ Wie erleben Sie diesen Konkurs?
Ich bin jetzt 83 Jahre alt. Was macht das mit mir? Ich überlebe diese Geschichte und schlafe noch. Wenn ich allerdings nachts aufwache, beschäftigt sie mich. Dennoch schlafe ich wieder ein. Die Frage ist, hätten wir verstärkt das Gespräch mit Hans und Roberto Jäckle suchen sollen?
◆ In welchem Zusammenhang?
In unserem Haus war der Mietzins für die Schreinerei tief – und als es darum ging, den Mietzins einem marktüblichen Wert anzugleichen, da fragten wir die beiden, wie geht es euch? Ist es realistisch, den Mietzins leicht zu erhöhen? Es war uns immer ein grosses Anliegen, den Mietenden gegenüber fair zu sein, ihnen Startmöglichkeiten zu geben und die Betriebe zum Laufen zu bringen. Ausserdem ist hier die ganze Dachfläche mit Photovoltaik überdeckt. Diesen Strom geben wir unseren Mietern ab, es ist günstiger Strom.
◆ Sie sprachen also mit den Brüdern Hans und Roberto Jäckle?
Ja. Es hätte genügend Gelegenheiten gegeben, Probleme anzusprechen. Man muss fairerweise aber auch sagen, dass die Brüder Jäckle versuchten, die Firma mit Privatgeldern zu retten. Aber das waren inzwischen Dimensionen – es gab nichts mehr zu retten.
◆ Die Scheinerei Irniger Innenausbau AG hatte sich früh einen Namen gemacht, unter anderem das Möbelhaus «Form und Wohnen» in Baden in der Mitte der 1970er-Jahre gegründet. Irniger war ein Qualitätslabel ...
Ja, richtig. Deshalb wollten ja auch alle den Namen behalten.
◆ Viele Menschen kaufen Betten, Pulte, Schränke und Tische heute in grossen Möbelhäusern. Geht es der Branche schlecht?
Schauen Sie, wir befinden uns am Rohrdorferberg. Hier wird gebaut ohne Ende. Überall schiessen unglaublich teure Immobilien aus dem Boden. – Aber wenn man sich diesem Markt nicht annimmt...? (Richard Irniger zuckt die Schultern)
◆ Sie wollen sagen, die Jäckles ignorierten den lokalen Markt?
Aus meiner Sicht ist genug Arbeit da, um eine Schreinerei in dieser Grösse am Laufen zu halten. Für mich ist letztlich schwer nachvollziehbar, dass eine Firma an dieser Lage, in diesem Umfeld nicht funktionieren kann.
◆ Woran könnte es liegen?
Wir versuchten damals jeden Bedarf abzudecken. Zum Beispiel jenen von Grosskunden wie Beldona. Wir bauten auch das Kino Sterk in Baden aus – das waren gewaltige Aufträge. Gleichzeitig schätzten wir unsere Privatkunden. Auf diese Weise waren wir breit abgestützt.
◆ Das taten Ihre Nachfolger nicht?
Nachdem Gallus Blunschi und ich die Schreinerei verkauft hatten, wurde dieser private Zweig zunehmend vernachlässigt.
◆ Was denken Sie, wieso wurde diese Strategie nicht weiterverfolgt?
Die Pflege von Privatkunden ist aufwendig. Ich war abends oft bei Kunden. Das will heute niemand mehr machen. Lieber arbeitet man für andere Schreinereien, erledigt Vorarbeiten, die abgeholt und von anderen Firmen weiterverarbeitet werden. Damit ist der Auftrag erledigt...
◆ Schlagen wir einen Bogen. Als Sie die Schreinerei verkauften, gründeten Sie Ihre eigene Firma, die Irniger Immobilien und Verwaltungs AG.
Wir führten seit jeher die Schreinerei und vermieteten dann im neuen Haus neben dem Libellenkreisel gleichzeitig die übrigen Räume im Gewerbehaus. Das lag nahe. Und wir konnten dadurch Arbeitsspitzen und Arbeitsflauten besser regulieren.
◆ Nun werden diese Räume nach dem Konkurs der Schreinerei frei?
Ja, 2000 Quadratmeter, topfeben. Hier kann ein Schreiner unter besten Bedingungen fabrizieren, mit Lagerräumen im Untergeschoss, die man mieten kann. Und falls die Fläche zu gross ist, könnte man sie auch aufteilen. – Wir würden uns über eine neue Schreinerei freuen.
Heidi Hess