Sie löscht als Letzte das «Liechti» — für immer
28.03.2025 MellingenNach 40 Jahren verliert das Städtli einen weiteren Laden. Barbara Liechti schliesst ihr Uhren- und Schmuckgeschäft
Und wieder geht im Städtli eine Ära zu Ende. Barbara Liechti schliesst nach 40 Jahren ihr Uhren- und Schmuckgeschäft. Sie hätte das ...
Nach 40 Jahren verliert das Städtli einen weiteren Laden. Barbara Liechti schliesst ihr Uhren- und Schmuckgeschäft
Und wieder geht im Städtli eine Ära zu Ende. Barbara Liechti schliesst nach 40 Jahren ihr Uhren- und Schmuckgeschäft. Sie hätte das Fachgeschäft gerne an Nachfolger übergeben. Doch es liess sich niemand finden. Deshalb entschloss sie sich schweren Herzens zur Aufgabe. Am Samstag, 29. März, löscht Barbara Liechti, als Letzte im Laden, das «Liechti» – für immer.
Barbara Liechti stellt sich mit wehmütigem Blick ein letztes Mal für den «Reussbote»-Fotografen unter die «Liechti»-Uhr, die an einem schmiedeeisernen Galgen an der Fassade den Weg zum Uhrenund Schmuckgeschäft Liechti weist. Dieses Sujet diente dem «Reussbote»- Reporter schon einmal als Vorlage. Es ist zehn Jahre her. Damals gings um das 30-jährige Firmenjubiläum. Und damals stand Barbara Liechti mit ihrem Mann Bernhard Modell. Bernhard Liechti ist nicht mehr. Der Mann mit der markanten Brille und dem nach hinten gekämmten grauen Haar, verstarb am 25. Mai 2018 völlig unerwartet im Alter von 72 Jahren. Ein Schock für Mellingen. Ein schwerer Schlag für Barbara Liechti, die an der Seite ihres Mannes das Geschäft gegründet und jahrzehntelang aufgebaut hat. Gemeinsam gingen sie durch dick und dünn, erlebten Höhen und Tiefen und freuten sich schon auf später, wenn sie einmal kürzertreten würden. So weit kam es allerdings nicht mehr. Bernhard Liechti, ein Mann mit hintergründigem Schalk und ausgeprägtem Sinn für das Geschäft, fuhr zum Rasen mähen ins Ferienheimetli nach Amden hoch über dem Walensee. Und kam nicht mehr zurück. Ehefrau Barbara wartete vergeblich, begann zu telefonieren. Schliesslich wurde Bernhard Liechti vom Nachbar in Amden auf einer Holzbank sitzend tot aufgefunden. Er wollte sich dort, mit herrlicher Aussicht auf die Berge und auf das klare Wasser des Walensees, ausruhen, als das Herz plötzlich und unerwartet stehenblieb.
Ein schicksalhafter Entscheid
Barbara Liechti stand ohne jede Vorbereitung vor der Frage: Wie weiter? Sie entschied sich fürs Weitermachen, ohne zu wissen, was auf sie zukommen würde. «Was hätte ich tun sollen?», stellt sie im Rückblick sinnierend die Frage. «Mit 59, allein ohne Partner. Da hat man nicht viele Möglichkeiten. Es wartet niemand auf einen.» In jenen Tagen tiefer Trauer fühlte sich die Zeit wie festgefroren an. Jeder Moment wog schwer wie ein Regentropfen, der unaufhaltsam gegen das Fenster schlägt. Der Nebel umhüllte Barbaras Herz, verschleierte den Horizont und liess ihren Alltag verschwimmen. Jede Bewegung fiel schwer, jedes Lächeln schien verloren, und doch – tief im Inneren – regte sich der Widerstand, der sie zum Weitermachen aufforderte. «Die Familie war in jener Zeit eine grosse Hilfe», sagt Barbara Liechti. Mit der Zeit, fast unmerklich, lichtete sich der Nebel. Erst waren es nur flüchtige Strahlen der Sonne, kleine Erinnerungen, die nicht mehr schmerzten, sondern wärmen. Farben kehrten zurück, zuerst blass, dann kräftiger. Der Verlust blieb, aber er begann sich zu verwandeln, wurde zu einem Teil der eigenen Geschichte, zu einer Quelle der Stärke und des Verstehens.
So entschied sich Barbara Liechti zum Weitermachen. Dabei konnte sie sich auf ihre langjährige treue Mitarbeiterin Sabine Friedli verlassen. Gemeinsam zogen sie den schwer gewordenen Karren, bis das Lachen seinen Weg zurück in den Alltag fand, erst zögerlich, dann zunehmend freier. Neue Begegnungen, neue Träume, neue Wege – sie brachten Licht und Wärme, wo einst Schatten war. Der Verlust wird nie vergessen, aber er ist kein Ende. Vielmehr markiert er den Beginn eines anderen Kapitels, eines, das mit Mut und Hoffnung geschrieben wird. Rückblickend sagt Barbara Liechti: «Ich bin stolz darauf, wie es gelaufen ist. Ich bin allen Verpflichtungen nachgekommen. Aber irgendwann ist die Zeit gekommen, auch für mich. Denn es wurde nicht einfacher. Die Ansprüche der Lieferanten an die Händler wurden zunehmend strenger., So, dass wir diese nicht mehr erfüllen konnten. Deshalb mussten wir zuletzt auf die Marke Longines, die uns so viele Jahre begleitet hat, verzichten.»
Barbara Liechti ist eine geborene Widmer aus dem nahen Hausen bei Brugg. Dort ist sie als zweitjüngstes von fünf Kindern der Bäckersfamilie Widmer geboren und aufgewachsen. Vater Max stand Zeit seines Lebens in der Backstube, Mutter Gertrud (Trudi) war nicht nur für den Haushalt sondern auch für den Laden an der Hauptstrasse zuständig. In diesem kleingewerblichen Millieu erinnert sich Barbara an unbeschwerte Kindertage. Bei ihrer Erzählung glaubt man den Duft von frisch gebackenem Brot und süssem Gebäck zu riechen. «Wir waren von morgens bis abends draussen und konnten im nahen Wald spielen.» Die Winter waren damals noch Winter. «Es lag oft viel Schnee, sodass wir Kinder hinter dem Haus schlitteln und Ski fahren konnten. Und wenn es so richtig kalt war, wurde aus dem Schulhausplatz eine Eisbahn, auf der wir Schlittschuh laufen konnten.
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Da reklamierte niemand, wenn wir Kinder Lärm machten.» Barbara Liechti besuchte im Dorf die Primarschule bis zur fünften Klasse. Für den Besuch der Sekundarschule musste sie später mit dem Velo nach Windisch. Es gehörte selbstverständlich dazu, zwischendurch auch im elterlichen Betrieb mitzuhelfen. «Ich hatte eine wunderschöne Kindheit.» Barbara Liechti mochte es, mit den Händen zu arbeiten. Schon in der 1. Klasse durfte sie mit den älteren Mädchen in die «Schnurpfi» (Handarbeitsunterricht), wo sie bei «Schnurpfi-Lehrerin» Klara Bopp «lisme» lernte. Daraus erwuchs ihr Berufswunsch, selbst einmal «Schnurpfi-Lehrerin» zu werden. Es ist beim Wunsch geblieben. Die Eltern wollten ihre Tochter im eigenen Betrieb haben. Also absolvierte sie in der Bäckerei eine Lehre als Detailhandelsangestellte.
In jener Zeit wagten die Widmers eine Investition, die bis heute nachklingt. Sie bauten das markante Geschäftsund Wohnhaus «Huserhof» an der Hauptstrasse mitten im Dorf, mit dem bis heute weitherum bekannten Restaurant Max & Moritz.
Barbara Liechti wurde Wirtin
Nach dem erfolgreichen Abschluss der Lehre, war für Barbaras Eltern klar, wie es mit der beruflichen Zukunft ihrer Tochter weitergehen sollte. «Ich musste die Wirteprüfung machen, die damals noch drei Monate Unterricht in der Wirtefachschule beinhaltete.» Mit dem Wirtepatent in der Tasche, wurde Barbara Liechti, die damals gerademal 20 Jahre jung war, Wirtin im «Max & Moritz». Ein Umstand, der schicksalhaft und wegweisend für ihr weiteres Leben sein würde, wie sich später herausstellen sollte.
Jedenfalls kehrte im «Max & Moritz» öfter mal ein gewisser Bernhard Liechti ein. Ein schneidiger, stets gut gewandeter Handelsreisender, mit kräftigem, dunklem Schnurrbart. Liechti stammte aus dem Fricktal. Er war für eine Basler Firma als Aussendienstler mit Schmuck und Goldwaren in der ganzen Schweiz, von Genf über Lugano bis St. Moritz unterwegs. Dabei zählten die besten Bijoutiers des Landes zu seiner Kundschaft.
Bernhard Liechti hatte ein Auge auf die hübsche und tüchtige Wirtetochter im «Max & Moritz» geworfen. 1983 haben die beiden geheiratet. Und 1985 kam Tochter Simone zur Welt. Als junges Ehepaar lebten die Liechtis damals in Brugg. Die junge Mutter hängte den Wirteberuf an den Nagel.
Aller Anfang ist schwer
Das sah Bernhard Liechti etwas anders. Eines Tages kam Bernhard nach Hause, wie immer mit dieser und jener Geschichte, die er gerne erzählte. Er sagte, Batliner, der Inhaber des Uhren- und Schmuckgeschäftes in Mellingen denke ans Aufhören. Batliner habe ihm ein Angebot gemacht. «Wir könnten den Laden übernehmen.»
Barbara Liechti wollte nicht. Denn sie wusste, was es heisst, ein eigenes Geschäft zu führen. «Wir hatten eine Abmachung: Geschäft oder Familie.» Doch plötzlich war alles anders. Ihr blieb keine Wahl. Die Liechtis zogen mit ihrer kleinen Tochter nach Mellingen, an die Hauptgasse. Die Mellinger, die damals gerne auf Bewährtes setzten und ebenso gerne unter sich blieben, waren skeptisch. Damals stand im «Reussbote» geschrieben: «Was zum Teufel will denn der da in Mellingen?»
Bernhard Liechti liess sich nicht beirren. Der etwas muffige Laden in dem schmalen Haus an der Hauptgasse sollte nach neuesten verkaufspsychologischen Grundsätzen umgebaut werden.
Mellinger waren skeptisch
Das kostete eine schöne Stange Geld. Max Sinniger, der damals die Raiffeisenbank führte, war skeptisch. Jedenfalls empfahl er den Neulingen, erst einmal «ein wenig zu schaffen». Dann werde man schauen können. Kredit gab es jedenfalls keinen, weswegen die Neue Aargauer Bank NAB in Frick, wo Liechti als tüchtiger Händler und Verkäufer einen Namen hatte, einsprang. Die Mellinger gerieten ob des neuen Ladens mit den prächtigen Vitrinen und dem eleganten Design, das durchaus auch an die Bahnhofstrasse in Zürich gepasst hätte, ins Staunen. Und sie unkten, das könne nicht lange gutgehen. Doch die Liechtis waren gekommen, um zu bleiben. Mellingen, das damals an jeder Ecke mindestens eine Beiz hatte, drohte schon damals unter der Last des Verkehrs zu veröden. Ausgerechnet hier in ein edles, ja geradezu mondänes Uhren- und Bijouteriegeschäft zu investieren, schien den Mellingern dann doch reichlich verwegen. Was nur wenige wussten: Bernhard Liechti hatte im Laufe der Jahre als Handelsreisender ein Netzwerk geknüpft, das ihn unabhängig vom Standort machte. Bis zuletzt kamen betuchte Kunden aus der ganzen Schweiz und auch aus dem Ausland, um sich vom Meister für erlesenen Schmuck und schöne Uhren persönlich beraten zu lassen. «Von den Mellingern hätten wir sicher nicht leben können», sagt Barbara Liechti im Rückblick.
Eine Ära geht zu Ende
Und heute, da der Abschied naht, blicken wir zurück auf eine Ära, die lediglich Erinnerungen für die Geschichte zurücklässt. Mit einem Schmunzeln erzählt Barbara Liechti, wie einst plötzlich schwer bewaffnete Einsatzkräfte der Aargauer Kantonspolizei den Laden stürmten. Doch da war nichts. Bis sich herausstellte, dass Töchterchen Simone in einem unbeobachteten Moment mit dem Alarmknopf gespielt hatte. Und sie erinnert sich an die Schaufensterdekoraktion in der Adventszeit, welche zu den Hinguckern im Städtli gehörten.
Bernhard Liechti war ein begnadeter Verkäufer. Er hatte stets einen flotten Spruch auf den Lippen, wenn es ums Geschäft ging. Unvergessen sein Slogan zu Weihnachten «Es werde Liechti!» Oder: «Mit Liechti heiratets sichs liechter!» Auch den gabs jedes Jahr zur Hochzeitsaustellung im «Löwen-Saal» zu hören. Die Liechtis gehörten zu den treibenden Kräften hinter der Hochzeitsausstellung, die jeweils im Frühling Scharen von Interessierten nach Mellingen lockte. Dabei ging es nicht nur darum, Hochzeitsringe zu verkaufen. Als einer, der gerne Geschichten erzählte und auch gerne welche zu hören bekam, erfreute sich Bernhard Liechti an all den vielen Paaren, die er beraten und somit auf ihrem Lebensweg auch ein Stück weit hat begleiten dürfen. Er liebte das Gespräch und konnte mit seinem manchmal etwas hölzernen Charme die Leute für sich gewinnen. Aber das alles hätte wohl nicht so funktioniert, wenn mit seiner Frau Barbara nicht eine stille Schafferin im Hintergrund dafür gesorgt hätte, dass der Laden auch in den Details stets wie geschmiert gelaufen ist. Was die wenigsten wussten: Im Laden überliess er die Feinarbeit den Frauen. Bernhard & Barbara Liechti, das war eine symbiotische Beziehung, die als gemeinsames Ganzes die Marke «Liechti Uhren und Schmuck» erst richtig zum Blühen gebracht hat.
Als Barbara Liechti mit einem Schlag vor sieben Jahren alleine dastand, dürfte das einer der wesentlichen Gründe gewesen sein, weiterzumachen. Pflichtbewusst, zuverlässig und hingebungsvoll hat Barbara Liechti das gemeinsam erarbeitete Erbe weitergeführt. Bis zum heutigen Tag.
Dank und gute Wünsche
Doch Ende März ist unwiderruflich Schluss. Was bleibt ist Wehmut. Die Erinnerung an eine Ära. Und die Hoffnung, dass in dem schmalen Haus an der Hauptgasse, in dem Barbara Liechti auf vier Stockwerken über dem Laden 40 Jahre lang gelebt und gearbeitet hat, und das für eine knappe Millionen Franken zum Verkauf ausgeschrieben ist, innovative Nachfolger einziehen, die eine neue gewerbliche Geschichte im Städtli schreiben werden.
Barbara Liechti möchte sich bei ihrer treuen Kundschaft für die vielen schönen Begegnungen in all den Jahren herzlich bedanken. Sie freut sich darauf, sich vermehrt ihren Enkelkindern widmen zu können, die auch in schwersten Zeiten stets Sonnenschein in ihr Leben gebracht haben. Wir vom «Reussbote» bedanken uns bei Barbara Liechti für die unvergessliche Zeit und für ihr langjähriges Engagement für ein lebendiges Städtli. Wir wünschen ihr viel Freude im Ruhestand.
Beat Gomes