«Tante Meier» hätte diese Schrift gerne gelesen
11.03.2025 MellingenDer erste Kindergarten des Städtchens wurde 1924 gegründet. Mellingen nahm damit eine Pionierrolle ein
Zwei bekannte Mellinger haben die Geschichte des lokalen Kindergartens aufgearbeitet. Eine riesige Fleissarbeit und ein Grund zum Feiern.
Gfätterlischuel» ...
Der erste Kindergarten des Städtchens wurde 1924 gegründet. Mellingen nahm damit eine Pionierrolle ein
Zwei bekannte Mellinger haben die Geschichte des lokalen Kindergartens aufgearbeitet. Eine riesige Fleissarbeit und ein Grund zum Feiern.
Gfätterlischuel» nannte man den Kindergarten auf Mundart früher. Das Wort kommt von «gvätterle» und meint ein wenig abschätzig das Spielen von Kindern. Und dennoch: Die Kindergarten-Zeit ist mit vielen Erinnerungen verbunden – jeder und jede von uns kann wohl dazu eine Anekdote aus seiner frühesten Kindheit erzählen.
In Mellingen gibt es seit 1924 – also seit (über) 100 Jahren – einen Kindergarten. Eine Schrift über die Geschichte dieser Institution fehlte aber bisher. Das lokale Fotoarchiv-Team hat diese Lücke jetzt gefüllt und eine 72-seitige Jubiläumsschrift verfasst. Damit wird die Institution aufgewertet und den vielen «Kindergarten-Frauen» endlich einmal ein Denkmal gesetzt.
Fröhlich und nachdenklich
Die Schrift ist den kleinsten Bildungsempfängern Mellingens und deren Lehrpersonen gewidmet, enthält viele Fotos und teilweise ans Herz gehende fröhliche oder eher nachdenkliche Anekdoten, welche Mellingerinnen und Mellinger Madlen Zimmermann erzählt haben. Die ehemalige Primarlehrerin schrieb die Interviews nieder. Da liest man beispielsweise: «Wenn wir einen Ausflug (...) unternahmen, war immer die rot-weisse Fahne dabei. Aber ich durfte diese Fahne nie tragen. Ich hatte zu viele Striche auf meinem Konto.» – Striche gab es, wenn man nicht artig war. Ein anderer Mellinger erinnert sich: «Fräulein Meier verteilte jede Woche in der letzten Stunde am Samstag allen braven Kindern ein kleines Heiligenbildli.» Die Sauberkeit der Finger wurde jeden Morgen mit einem Lineal kontrolliert, schildert eine Frau: «Wehe sie waren schmutzig, dann gab es einen Klapps auf die Finger.»
An einem kleinen Anlass im katholischen Vereinshaus, wo die erste «Kleinkinderschule» auf Initiative von Pfarrer Richard Bopp (1885 – 1956) gegründet wurde, wurde die Fertigstellung der Broschüre diese Tage gefeiert und die Geschichte des lokalen Kindergartens von den Anfängen bis heute in Wort und Bild vorgestellt. Der Mellinger Vize-Stadtpräsident Silvan Herzig dankte dem Autorenteam Madlen Zimmermann und Rainer Stöckli im Namen des Stadtrats für ihre Arbeit. Aber auch all denen, die Geschichten und schöne Anekdoten geliefert haben sowie dem heutigen Kindergarten-Personal gehöre ein grosses Dankeschön ausgesprochen.
«Mellingen nahm 1924 eine Vorreiterrolle ein», erklärte Lokalhistoriker Rainer Stöckli, «mein heutiger Wohnort Unterentfelden erhielt erst 1963 einen Kindergarten.» Anfänglich wurde die neue Institution in Mellingen von kirchlicher Seite initiiert. Der Kindergarten befand sich im Vereinshaus, das ursprünglich eine Gerberei war.
Pfarrer Bopp hatte das Gebäude für diesen Zweck und die Pfarreivereine aus seiner eigenen Tasche gekauft, erfuhr man weiter. Anfänglich setzte sich der Mütterverein für das Wohl der Kleinsten ein oder der spätere Gemeinnützige Frauenverein, der später für die Einführung des Kindergartens ab fünf Jahren kämpfte. Es gab oft Auseinandersetzungen und manchmal Streit um Betrieb und Finanzierung des Kindergartens. 1939 wird im Protokoll von einem «frechen Betragen» der Kindergärtnerin gegenüber dem Präses des Müttervereins, Pfarrer Bopp, berichtet.
«Klasse mit bis zu 60 Kindern»
«Bis 60 Kinder zählte eine Kindergartenklasse in den Anfangsjahren», erklärte Stöckli (Lachen im Saal). «Und ‹Tante Meier› war während 45 Jahren für den Kindergarten da.» Die Rede ist von der ersten Kindergärtnerin, Anna Meier, die 1970 in Pension ging. Er sei genau vor 75 Jahren zu ihr in den Kindergarten gegangen, erinnerte sich Stöckli, bevor er 1950 in die erste Primarschulklasse eintrat. Erst 1946 wurde der Kindergarten in Mellingen eine kommunale Institution. Ab 1968 bekam Anna Meier eine erste Kollegin.
Kindergarten im Wandel der Zeit
Heute gibt es an vier Standorten neun Abteilungen. 25 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter betreuen bis zu 170 kleine Kinder, oft mit Migrationshintergrund und Deutsch als Zweitsprache. «Die Kindergarten-Arbeit hat eine recht starke integrative Rolle erhalten», sagte Rainer Stöckli Madlen Zimmermann schilderte im Referat, wie sie überhaupt auf die Idee kamen, diese Broschüre zu verfassen. «Ich habe ein Inserat von 1924 im ‹Reussbote› entdeckt und fand, dieses Jubiläum müsste man doch feiern. Daraufhin telefonierte ich mit Rainer.» Die Aufarbeitung sei «nahrhafter» gewesen als zuerst angenommen. «Deshalb ging es etwas länger, bis wir Ihnen nun das fertige Werk präsentieren können.»
Das Autorenteam griff für seine Arbeit zum Beispiel auf alte Chroniken der Kindergartenklassen zurück. Stöckli und Zimmermann äusserten ihr Bedauern darüber, dass solche Erinnerungsbücher heutzutage oft nicht mehr geführt werden. Auch würden auf der Homepage der Schule Mellingen keine Klassenfotos mehr publiziert, weil gewisse Eltern das nicht wünschten. Die Erinnerung gehe dadurch verloren.
Zimmermann führte die Anwesenden in kurzweiliger Art und mit vielen Anekdoten, die Schmunzeln auslösten, durch die Broschüre – und damit durch eine 101-jährige Geschichte. Anna Meier war nicht die einzige Kindergärtnerin, die ihr Leben dem Wohl der Kleinsten widmete. Sie erwähnte auch Marie Theres Zimmermann, die von 1973 bis 2011 an den zwei Standorten Trottengasse und Weihermatt tätig war. Aktuell die dienstälteste Kindergärtnerin ist Claudia Knecht. Sie hat von 1990 bis 2024 Kindergarten-Kinder betreut und wird in der Broschüre interviewt. Madlen Zimmermann hat auch eine Liste aller in Mellingen je tätigen Kindergärtnerinnen erstellt. «Sie hat noch einige Lücken», erklärte sie, «wir wären froh, wenn Sie uns helfen würden, diese zu füllen.»
Mit einem kleinen Apéro klang der Abend aus. Die Stadtpräsidentin schenkte Getränke aus. Viele Besucherinnen und Besucher schauten sich die an Wänden aufgehängten Klassenfotos an und werweissten lange, wer von ihren «Gspänli» abgebildet ist.
Marc Benedetti
Die Jubiläumsschriften können über Madlen Zimmermann bestellt und bei ihr abgeholt werden. Die Schrift kostet 20 Franken. Kontaktdaten: Madlen Zimmermann, Lindenmattweg 11, Mellingen, Telefon 056 491 22 06