Reliquie der heiligen Corona im Gnadenthal

Fr, 12. Jun. 2020

Nichts ist mehr wie früher. Wir halten Abstand im Alltag, desinfizieren die Hände, befolgen Schutzkonzepte – gezwungenermassen. Und wir glauben daran. Und hoffen, dass der Spuk vorbeigeht.

Früher half nur Beten. Etwa zur Zeit des Klosters Gnadenthal. Grassierenden Pandemien vom Aussatz bis zur Pest hatte man nichts anderes entgegenzusetzen; man baute auf den Glauben – und hoffte auf die Hilfe der Schutzheiligen.
Mehrere Legenden berichten vom Märtyrertod der jungen Frau in Syrien oder Ägypten im zweiten oder dritten Jahrhundert. Historisch belegen lässt sich nichts. Ob die junge christliche Märtyrerin wirklich Corona hiess oder ob sie erst nach ihrem Tod wegen des strahlenförmigen Heiligenscheins – der Krone einer Märtyrerin – so genannt wurde, verliert sich im Dunkel der Geschichte.
Allerdings wurden bereits seit dem ersten Jahrtausend in Bremen und Aachen Reliquien verehrt, die der heiligen Corona zugeschrieben werden. Und es gab auch Wallfahrten zu Ehren der Märtyrerin. Noch heute findet man im Strassburger Münster in einem der riesigen Bleiglasfenster eine Darstellung der Heiligen. Aber eigentlich – gestehen wir es ein – ist die Märtyrerin längst in Vergessenheit geraten.

Die Heilige neu entdecken
Dass die heilige Corona nun ausgerechnet in Zeiten einer Pandemie mit gleichem Namen wiederentdeckt worden ist, wirkt schon fast wie eine gerissene Marketing-Idee. Gut zu wissen: Das Virus hat seinen Namen keineswegs von der Heiligen. Unter dem Mikroskop sieht der Erreger einfach so aus, als würde er von einer Zackenkrone bekränzt.
Während das gleichnamige Virus die Welt in Atem hält, ist auch die Märtyrerin Corona in den Medien fast zu einem Hype geworden. Nicht nur konfessionell orientierte Blätter berichten ausführlich über die «Patronin gegen Seuchen». Es ist allerdings eine extreme Verallgemeinerung, die Märtyrerin pauschal als Schutzheilige gegen Seuchen zu vereinnahmen. Corona gilt eigentlich als Schutzpatronin bei Geldsorgen und für Schatzsucher.
Angesichts der doch beängstigenden weltwirtschaftlichen Situation hat man natürlich auch diese Aspekte berücksichtigt. «Finanz und Wirtschaft», ein seriöses Wirtschaftsblatt, setzt als pointierten Titel: «Heilige Corona: Bitt für uns!» Und das Blatt schreibt weiter: «Den Finanzministern der Kabinette des einst christlichen Abendlandes hülfe dieser Tage somit ein Bittgang zu Corona ebenso sehr wie ihren Kollegen Gesundheitsministern. Schaden kanns auf keinen Fall.» – Die heilige Corona soll ja nicht nur bei Geldnöten, sondern auch bei Seuchen helfen. Und vielleicht müssen sich die Finanzminister ohnehin bald als Schatzsucher betätigen ... «Honi soit qui mal y pense – beschämt sei, wer schlecht darüber denkt.»
So nützt denn auch das Aachener Domkapitel die Gunst der Stunde. Man hat den Reliquienschrein, der die Gebeine der Märtyrerin Corona enthalten soll, aus dem Depot geholt, um ihn zu restaurieren und den Besuchern neu im Museum zu präsentieren. Die Gebeine selbst werden allerdings nicht untersucht. Sie befinden sich in einem eigenen Behältnis, das versiegelt und verplombt in dem Schrein liegt.

Die Corona-Reliquie
Kaum jemand weiss heute, dass im grossen Reliquienschatz, den die Zisterzienserinnen im Kloster Gnadenthal nach der Aufhebung zurückgelassen haben, auch eine Reliquie der heiligen Corona zu finden ist. Die Nonnen im Gnadenthal waren ja bekannt dafür, Reliquien mit kostbarem Zierrat für die Verehrung durch die Gläubigen aufzuarbeiten.
Man denke an den heiligen Synesius in Bremgarten oder die heilige Justa im Gnadenthal. Die Reliquie der heiligen Corona ist ein hervorragendes Beispiel für eine unterbrochene Arbeit. Der Knochen wurde, wie die Beschriftung unter der Gaze zeigt, ursprünglich der Märtyrerin Corona zugeordnet («Corona Mar.»). Das Zettelchen (caedula) aus der Barockzeit weist die Reliquie als Teil der heiligen Corona – lateinisch im Genitiv: «Stanctae Coronae M[artyris].» – aus.

Beglaubigungsschreiben ist vorhanden
Es ist anzunehmen, dass auch dieses Teil von den Nonnen mit anderen Reliquien, kunstvoll drapiert und ausgeschmückt, in einen Reliquienschrein eingearbeitet worden wäre. Ausgeführte kostbare Beispiele solcher Reliquiare gibt es samt den amtlichen Beglaubigungsschreiben im ehemaligen Kloster.
Die Reliquien des Klosters Gnadenthal, einem eidgenössischen Kulturdenkmal, sind wertvolle Kulturgüter und beredte Zeugnisse der Volksreligiosität im Freiamt.

Heinrich Briner

Zum Autor dieses Textes: Dr. Heinrich Briner ist wohnhaft in Bellikon. Er studierte Germanistik und Geschichte an der Universität Zürich. Briner ist pensioniert und Mitglied des Vereins Gnadenthal.

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