Türöffner für umweltbewusste Entscheidungen

Di, 17. Nov. 2020

Die Gemeinde Niederwil ist mit dem Label «Energiestadt» ausgezeichnet worden. Sie trägt es als einzige Gemeinde im Verbreitungsgebiet

Der Bund verleiht das Label «Energiestadt» an fortschrittliche und nachhaltige Gemeinden. Niederwil hat die Auszeichnung im ersten Anlauf erhalten. Auf Antrag der Energiekommission hat sich der Gemeinderat letztes Jahr zur Zertifizierung entschlossen.

Es ist eine herausragende Leistung, als kleine Gemeinde den anspruchsvollen Kriterien des Labels zu entsprechen», freut sich Michael Egger, Präsident der Energiekommission. Niederwil hat nicht mal eine Zuganbindung. Im Zertifizierungsprozess für die durch den Bund vergebene Auszeichnung gab dies Punktabzug. Dennoch meisterte das 2600-Seelen-Dorf die Hürde für die Auszeichnung knapp. Mit einem Ergebnis von 56,1 Prozent der möglichen Gesamtpunktzahl lag man über dem Schwellenwert von 50 Prozent. Zum Vergleich: Die Stadt Baden erreichte zuletzt 79,5 Prozent.

Niederwils Vorzeigeprojekte
Egger arbeitet in der IT-Branche, hat eine Zusatzausbildung als Techniker für Energie und Umwelt und ist seit Gründung der Energiekommission deren Präsident. Im Ort seien in der Vergangenheit einige gute Entscheidungen getroffen worden, erklärt er den Erfolg. «Da wussten wir noch nicht, dass wir uns eines Tages als Energiestadt bewerben.» Da ist zum einen die Solaranlage Riedmatt III – eine Photovoltaikanlage mit einer Leistung von rund 77 Kilowatt, seit 2019 in Betrieb. Oder das Wärmeverbundnetz, mit dem die Schulhaus- und Gemeindeanlagen zentral über eine Grundwasserwärmepumpe versorgt werden. Neun von zehn Gemeindegebäuden werden heute auf diese Weise ökologisch beheizt.
Auch für kommende Jahre geplante Projekte spielten mit hinein: Die Solaranlagen auf dem Kindergarten und auf dem Feuerwehrgebäude etwa, die Verbesserung des Langsamverkehrs im Dorf oder die Weiterentwicklung der Abwasserwirtschaft. Zudem will der Niederwiler Gemeinderat Energieeffizienz- und Solarprojekte bei Grundeigentümern fördern und hat sich auf die Fahne geschrieben, die Bevölkerung in seine Entscheidungen miteinzubeziehen.
Bezüglich des Labels «Energiestadt» wurde der Gemeinderat aktiv, weil ihn die Energiekommission und ihre Mitglieder inspirierten. Vergeben wird das Label für vier Jahre. Dann steht ein Re-Audit an. Gekostet hat es 20 000 Franken, die der Gemeinderat ins Budget 2020 aufgenommen hatte. Bund und Kanton beteiligen sich finanziell in der Grössenordnung von 13 000 Franken. Dazu kommen 1300 Franken wiederkehrende Kosten als Mitgliederbeitrag für den Trägerverein «Energiestadt».
Niederwil ist die erste Gemeinde im Verbreitungsgebiet des «Reussbote», welche das Label erhält (siehe Kasten). Schweizweit gibt es 445 Energiestädte (Stand: Ende 2019). Mittlerweile leben knapp zwei Drittel der Schweizer Bevölkerung in Energiestädten.

Mehrwert für die Gemeinde
In Eggers Augen ist der Mehrwert, den die Gemeinde vom Label «Energiestadt» erhält, enorm. Es sei zwar nur «ein Stück Papier». Aber dieses werde es zukünftig erleichtern, neue Ideen im Dorf umzusetzen. Denn für die Zertifizierung musste Niederwil ein energiepolitisches Programm erarbeiten. «Dieses ist massgeschneidert. Da stehen keine Vorgaben drin, die überzogen sind», sagt Egger. Auf diese Charta werde man sich ab jetzt immer berufen können, um ökologische Aspekte bei Entscheidungen zu berücksichtigen – unabhängig davon, wer gerade Amtsträger ist.
Weitere Vorteile sind für Egger der erleichterte Zugang zu Fördergeldern oder dem Wissen aus dem Netzwerk der «Energiestädte». Und das Standortmarketing: Es sei gute Werbung, wenn an den Ortseingängen das Label hängt. «Umweltbewusste Unternehmen oder Investoren können sich sicher sein, dass ihre Ideen hier fruchtbaren Boden finden.» Ein Beispiel ist derzeit die Entwicklung des Gewerbegebiets «Geere». Die Energiekommission hat Einsitz in der Findungskommission, die dort neue Unternehmen ansiedeln will. Bei zukünftigen Diskussionen wird es das Label erleichtern, ökologische Vorgaben zu machen. Er ist überzeugt: «Das wäre vor zwei Jahren noch nicht möglich gewesen.»

Stefan Böker


Andere wollten das Label nicht

Niederwil ist derzeit die einzige Gemeinde im Verbreitungsgebiet des «Reussbote», welche das Label besitzt. Mägenwil wurde bereits 2010 zur Energiestadt, erneuerte das Label aber nur einmal, und entschied sich 2017 aufgrund von Kosten-/ Nutzenüberlegungen dazu, auf ein Re-Audit zu verzichten, sagt die stellvertretende Gemeindeschreiberin Monika Flückiger. In Künten wollte die Gemeindeversammlung nichts von einer Zertifizierung wissen. Daraufhin gründete man dort ebenfalls eine Energiekommission, welche 2012 ihre Arbeit aufnahm, Ebenfalls schlechte Karten hatte die Idee an der Gemeindeversammlung in Oberrohrdorf. Die Gemeinde sei aber auch ohne Label bemüht, sich an den Ideen der Energiestadt zu orientieren, sagt Gemeindeschreiber Thomas Busslinger. In Oberrohrdorf setze man sich kontinuierlich für effiziente Nutzung von Energie, Klimaschutz und erneuerbare Energien sowie umweltverträgliche Mobilität ein – aber nicht um jeden Preis. Als Beispiel nennt Busslinger unter anderem die Photovoltaikanlage auf dem Schulhaus. In Niederrohrdorf entschied sich der Gemeinderat aus Kosten- und Effizienzgründen gegen eine Zertifizierung. Man konnte aber diverse Projekte im Geiste der «Energiestadt» umsetzen, zuvorderst der Wärmeverbund, an welchen alle Gemeindeliegenschaften angeschlossen wurden oder noch werden, teilt Gemeindeschreiber Claudio Stierli mit. In den meisten anderen Gemeinden war eine Bewerbung als «Energiestadt» bisher kein Thema. (sb)

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