Zeit für Abschied – Kundschaft wird mir fehlen

Fr, 04. Dez. 2020

Rita Zehnder ist seit 40 Jahren Charcuterie-Verkäuferin in der Chämi Metzg. Am 31. Dezember geht sie in Pension

Sie kennt die meisten Kunden mit Namen und weiss auch ihre Vorlieben in Sachen Charcuterie. 40 Jahre stand Rita Zehnder hinter der Theke bei der Chämi Metzg in Fislisbach. Ende Jahr hört sie mit einem lachenden und einem weinenden Auge auf.

Ist die Salami dünn genug geschnitten?», fragt sie jeweils bei der Kundschaft nach, bevor sie die gewünschte Menge weiterschneidet. Wichtig sei, die Kundenwünsche zu berücksichtigen. Und das stets freundlich und mit einem Lächeln. Ihre Freundlichkeit ist nicht aufgesetzt. Viele Kunden kennt sie nach vier Jahrzehnten persönlich. Mit einigen ist sie inzwischen per Du. In all den Jahren ist sie immer gerne zu ihrer Arbeit nach Fislisbach gefahren. Und das zu einer Zeit, wo viele noch schlafen. Bereits um sechs Uhr beginnt ihr Arbeitstag. Während die Chämi Metzg noch geschlossen ist, füllen die Charcuterieverkäuferinnen die sehr reichhaltige Theke auf. Jeden Tag wird zudem das von den Metzgern gehackte Rindstatar mit einer speziellen «Chämi Metzg-Würzung» gemischt und in Portionenschalen abgefüllt. Danach werden die «Champagnerbrötli» angerichtet. Die frischen Tatar- und Rauchlachs-Canapés kommen ebenfalls in die Auslage. Punkt acht Uhr ist die Charcuterietheke für die Kundschaft bereit und die Metzg geöffnet. Aktuell muss Zehnder genau hinschauen, wenn ein Kunde den Laden betritt. Hört sie aber die Stimme, weiss sie bestimmt, wer sich hinter der Maske verbirgt.

Keine Langeweile in der Pension
Langweilig wird es Zehnder nach ihrer Pensionierung nicht. Sie will sich vermehrt ihren Hobbys widmen. Zehnder ist seit Jahren eine passionierte Wanderin. Sie liebt es sich in der Natur zu bewegen. Das alleine, mit ihren Geschwistern, ihrem Mann, ihrem Sohn oder mit ihrem Göttibueb. «Sie wissen alle, dass ich gerne wandere», sagt sie. Ihre Wanderungen führen sie rund um Birmenstorf, an die Reuss oder in die Berge. Sie freut sich bereits darauf, dass sie nach ihrer Pension nicht mehr auf ihre Freitage warten muss, um wandern zu gehen.
Ein weiteres Hobby von ihr ist das Skifahren. Wenn es Corona zulässt, wird sie wieder, wie jedes Jahr, in Engelberg Skifahren gehen. Seit 35 Jahren wohnt Zehnder mit ihrer Familie in Birmenstorf. Ihr Garten ist ihre Passion. Sie liebt Blumen und vor allem ihre Tessiner Palmen. Diese sind aber nicht das einzig Exotische in ihrem Garten. In einem ehemaligen Treibhaus überwintern 13 Schildkröten. Sie gehören ihren beiden inzwischen erwachsenen Kindern. Der Sohn und die Tochter sind ausgezogen, die Schildkröten blieben. Wenn die Temperaturen im Frühjahr steigen, kommen sie wieder ins Aussengehege.

Immer der Charcuterie treu geblieben
Die Lehre als Charcuterieverkäuferin absolvierte Rita Zehnder bei der Metzgerei Keusch in Baden. Danach arbeitete sie im Tessin und später bei einer Metzgerei in Zürich. Schöne Jahre, die sie nicht missen möchte. Je länger sie aber von ihrem Heimatort Künten weg war, umso mehr zog es sie wieder in den Aargau zurück. Ganz abnabeln von ihren Wurzeln konnte sie sich auch während ihren Wanderjahren nie. Nebst Besuchen bei ihrem Bruder spielte sie auch 20 Jahre Cornet im Musikverein Künten. Sie liebt bis heute die Musik. Auch nach ihrer aktiven Zeit als Musikerin, bleibt sie weiterhin als Ehrenmitglied dem Verein verbunden. Es ist für sie Ehrensache, dass sie an alle öffentlichen Auftritte geht. Leider musste sie in diesem Jahr auf dieses Musikvergnügen verzichten, da die Konzerte Corona zum Opfer fielen. Sie freut sich aber bereits darauf, wenn sie wieder live mit dabei sein kann. Beim Musikverein Künten wurde auch der Grundstein für den Job bei der Chämi Metzg gelegt.

Seniorchef bot ihr den Job an
Der Seniorchef Guido Wüest war bereits vor über 40 Jahren bei den Konzerten des Musikvereins Künten für die Kulinarik zuständig. Er kannte die meisten Musiker und natürlich auch Rita Zehnder. Er wusste, dass sie gelernte Charcuterie-Verkäuferin ist. Er bot ihr Arbeit an. Da sie sich nicht gleich entscheiden konnte, sagte er ihr, dass sie jederzeit bei ihm anfangen könne. Als ihr Heimweh zu stark wurde, machte sie Nägel mit Köpfen. Der Job bei der Chämi Metzg gefällt ihr bis heute. «Die Kundschaft ist weniger anonym wie in Zürich», sagt sie. Viele Kunden erzählen ihr auch persönliche Sachen. So erfährt sie, wann ein Enkel geboren, die Tochter oder der Sohn heiratet und wenn jemand krank oder gestorben ist. Zehnder hört sich geduldig die Geschichten an, während sie fachmännisch Würste, Rohschinken oder Mortadella aufschneidet. Kennt jemand etwas aus der Charcuterie-Theke nicht, bietet sie in Nicht-Corona-Zeiten auch eine Kostprobe an. Sie weiss über alle angebotenen Produkte Bescheid. So kann sie über den Geschmack und die Herkunft Auskunft geben. Bis heute liebt sie auch wegen des Kundenkontaktes ihren Beruf.

Viele schöne Begegnungen
Kunden kommen wegen der guten Qualität und der kompetenten Bedienung nicht nur vom Dorf, aus der Region, sondern auch aus Baden oder sogar aus Zürich in die Chämi Metzg. Ein Arzt aus Ennetbaden fragte Zehnder kürzlich, welche Wurst sie zur hausgemachten Gerstensuppe empfehle. Natürlich die, die sie für sich selbst nach Hause nimmt, die hausgemachten Schweinswürste. Eine Woche später kam die Ehefrau des Arztes einkaufen und sagte, dass sie die Würste brauche, die Zehnder ihrem Mann empfohlen habe. Solche Begegnungen sind für Rita Zehnder der schönste Lohn. Und sie weiss bereits jetzt, die Kundschaft wird ihr fehlen.
Der Entscheid mit 68 Jahren nun endgültig in Pension zu gehen, fiel ihr nicht leicht. «Irgendwann muss einmal Schluss sein», sagt sie. Für sie sei nun der richtige Zeitpunkt gekommen, um in Pension zu gehen. Eine Hintertüre lässt sie für sich noch offen. Sie hat ihrem Chef Marcel Wüest versprochen, dass sie bei Grossanlässen, wie die Raiffeisen GV, einspringen werde. «Ich schätze Rita Zehnder als Mitarbeiterin sehr», sagt Wüest. «Einerseits ist die Qualität der Produkte für die Chämi Metzg wichtig, andererseits aber auch die Freundlichkeit des Personals zur Kundschaft. Für Rita Zehnder war dies immer eine Selbstverständlichkeit.» Einmal pro Woche wird sie auch nach ihrer Pensionierung zur Chämi Metzg fahren. Dann aber nur noch, um als Kundin einzukaufen.

Debora Gattlen

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