Übergewicht: Nicht an den Schulen der Region?
09.11.2021 GesundheitLaut einer Studie der Gesundheitsförderung Schweiz sind 17,2 Prozent der schulpflichtigen Kinder und Jugendlichen übergewichtig
Neun Kantone und vier Städte haben an der BMI-Analyse teilgenommen. Im Aargau liegt der Anteil übergewichtiger Kinder mit 13,4 Prozent auf der ...
Laut einer Studie der Gesundheitsförderung Schweiz sind 17,2 Prozent der schulpflichtigen Kinder und Jugendlichen übergewichtig
Neun Kantone und vier Städte haben an der BMI-Analyse teilgenommen. Im Aargau liegt der Anteil übergewichtiger Kinder mit 13,4 Prozent auf der Grundstufe und 22,4 Prozent auf der Oberstufe sogar leicht über dem Schnitt. Gilt das auch für die Region?
Was die Studie noch zeigt: Während sich die Situation bei den Primarschülern in den letzten Jahren verbessert hat, verharrt sie auf der Sekundarstufe I weiterhin auf hohem Niveau. Für Ernährungsberaterin Denise Kaufmann spielt dabei das «auswärts essen der Jugendlichen ausserhalb des betreuten Mittagstisches» eine grosse Rolle: «Die Peergroups – sprich der Freundeskreis – beeinflusst das Essverhalten vermehrt.» Meist gebe es dann Pizza, Burger und ähnliches Fastfood, dazu extrem zuckerhaltige Getränke: «Ein Liter Red Bull entspricht 60 Würfelzucker, ein Liter Cola 28 Stück Zucker», rechnet Kaufmann vor. Dazu bewegten sich die Jugendlichen zu wenig und würden lieber am Computer gamen, statt aus dem Haus zu gehen. Hinzu kommt der soziale Druck: «Wenn jemand bereits übergewichtig ist, kann es sein, dass er sich erst recht zurückzieht.» Auch wenn der Einfluss der Eltern an der Haustüre endet, so könnten sie doch durch ihr eigenes Kochverhalten einen Samen für eine richtige Ernährung legen, so Kaufmann. Die Expertin warnt allerdings auch vor zu viel Druck: «Es kann sein, dass die Kinder dann das genaue Gegenteil machen. Man muss als Eltern eine Balance finden.»
Schule mit vielfältigen Angeboten
Dr. Guido Hirschvogl, Schulleiter der Kreisschule Rohrdorferberg, kann die Ergebnisse der BMI-Studie für seine Schule nicht bestätigen. Er kenne seine knapp 350 Schülerinnen und Schü- ler: «Mit fällt jetzt kein einziges Kind ein, das adipös ist.» Ernährung sei ein wichtiger Bestandteil des Fachs WAH (Wirtschaft, Arbeit, Haushalt). Im Gegensatz zum ehemaligen Fach «Hauswirtschaft» bestehe dieses nur noch in der zweiten Oberstufe aus reinem Kochunterricht, sondern sei «handlungs- und kompetenzorientiert», erklärt der Pädagoge. So werde beispielsweise in einem Experiment der Zuckergehalt von Coca Cola gemessen: «Dann kommt das Aha-Erlebnis.» Die Kreisschule findet Hirschvogl auch punkto Bewegung sehr gut aufgestellt: «Der Lehrplan 21 sieht drei Lektionen Sport und Bewegung pro Woche vor. Darüber hinaus bietet die Kreisschule im Sportbereich Freifachsportkurse an, die rege in Anspruch genommen werden.» So biete eine Lehrerin Tanzkurse für Mädchen an: «Ganz schön anstrengend» seien die Choreografien, welche die «Power-Girls» genannte Gruppe einstudiere. Uni-Hockey, Badminton, Polysport oder Parcours, zählt der Schulleiter weitere Kurse auf, die im Angebot sind.
Beim Fototermin führt Hirschvogl stolz durch die Vierfachturnhalle in Niederrohrdorf, an der an diesem Nachmittag viel los ist. Hier ist auch Bettina Navarin, Fachlehrerin Bewegung und Sport, gerade mit einer Mädchengruppe zugange. Man habe an der Schule hochkarätige Sportlehrer, bestätigt sie: «Da steckt Know-how dahinter.» Die Sportvereine der Gemeinde seien zudem sehr engagiert. «Man merkt das sozial gehobene Umfeld», ergänzt sie auf die Frage, warum es nur sehr wenige übergewichtige Kinder an ihrer Schule gebe.
Ein Auge auf die Kinder haben
Auch Susanne Wietlisbach von der Schulsozialarbeit an der Schule Mellingen-Wohlenschwil kann keinen deutlichen Trend zu mehr Übergewicht erkennen: «Ich bin seit sechs Jahren an der Schule und es ist nicht auffällig», erklärt sie. «Wenn einer Lehrperson auffällt, dass jemand über- oder untergewichtig wäre, sucht man das Gespräch mit den Eltern.» Die Schule sei ausserdem Mitglied des Netzwerks für gesunde Schulen, die sich gesundes und nachhaltiges Lehren und Lernen auf die Fahnen geschrieben haben. Wietlisbach verweist ebenfalls auf das Fach Wirtschaft, Arbeit und Ernährung und die möglichst frühe Aufklärung der Kinder: «Schon im Kindergarten lernen sie: was ist gesund, was darf ich mitnehmen und was nicht.» So seien Süssigkeiten schon bei den Kleinsten tabu. Und am Pausenkiosk schaue man ebenfalls auf gesunde Ernährung. Neben dem obligatorischen Sportunterricht gibt es auch in Mellingen zahlreiche Angebote für freiwilligen Schulsport. Auf der Homepage finden sich Uni-Hockey, Volleyball, Badminton, Fussball, polysportive Spiele oder Kids-Tennis. Letzteres ist so beliebt, dass ein Rotationsbetrieb eingeführt werden musste. «Wir finden es aber auch wichtig, dass Klassenlehrpersonen Bewegung in den Alltag integrieren», ergänzt Wietlisbach. Etwa indem die Kinder zwischendurch aufstünden und sich bewegten.
Individuelles Coaching
Dani Würmlin, Schulleiter des Schulverbandes Reusstal, ist durch die BMI-Studie ebenfalls nicht alarmiert: «Das variiert von Jahr zu Jahr. Dieses Jahr haben wir niemand stark Übergewichtigen. Wenn das der Fall wäre, würden wir das über individuelle Coaching-Massnahmen durch die Sport- und WAH-Lehrer lösen», erklärt er. In der Oberstufe sei es zwar schwerer abzuschätzen, ob die Schüler übergewichtig seien, weil sie sich noch im Wachstum befänden, aber es seien sehr wenige, bei denen man es auf den ersten Blick sehe. Der Lehrplan 21 sehe drei Sportlektionen pro Woche vor und diese seien selbst während Corona nicht ausgefallen. Stattdessen habe es während des Lockdowns Online-Sportunterricht mit Sportaufgaben und Fitnessprogramm geben. Warum es verglichen mit der BMI-Studie in der Region scheinbar vergleichsweise wenig übergewichtige Kinder gibt, könne er nur vermuten: «Tendenziell sind es auf dem Land weniger. Bei uns kommt die Hälfte der Schüler mit dem Velo.»
Tatsächlich stellt die Untersuchung der Gesundheitsförderung Schweiz leichte Unterschiede zwischen urbanen und ländlichen Wohnregionen fest: In der Stadt sind im Schnitt 18,6 Prozent, auf dem Land 16,4 Prozent der Kinder und Jugendlichen übergewichtig. Der Unterschied zeigt sich allerdings erst auf der Mittel- und Oberstufe. Die Differenz habe sich im Laufe der letzten zehn Jahre ausserdem verringert, schreiben die Statistiker. Bleibt nur zu hoffen, dass eine solche Annäherung in der Region noch sehr lange ausbleibt.
Michael Lux