Haarreste helfen, die Weltmeere zu retten
05.11.2021 Fislisbach, Region ReusstalDie Coiffure Papillon ist Mitglied der Vereinigung «Coiffeurs Justes», die abgeschnittene Haare sammelt und als Ölfilter recycelt
Ein französischer Coiffeur gründete die «Coiffeurs Justes», die Haare sammeln und Schläuche aus Stützstrümpfen ...
Die Coiffure Papillon ist Mitglied der Vereinigung «Coiffeurs Justes», die abgeschnittene Haare sammelt und als Ölfilter recycelt
Ein französischer Coiffeur gründete die «Coiffeurs Justes», die Haare sammeln und Schläuche aus Stützstrümpfen damit befüllen. Diese dienen später als natürliche Ölfilter. Monique Granacher macht seit Kurzem mit – und schickt die Haare ihrer Kunden zum Recyceln nach Frankreich.
Ganz voll ist der Papiersack noch nicht, den Monique Granacher, Chefin der Coiffure Papillon in Fislisbach, vorzeigt. Immerhin ein Kilo Haarreste sind aber schon zusammengekommen: «Eine Kundin bringt vielleicht ein bis zwei Gramm», erklärt die Coiffeuse. Erst seit zwei Monaten sammelt sie die abgeschnittenen Haare in ihrem Salon ein, um sie später nach Frankreich zu den «Coiffeurs Justes» zu schicken. Auf die «fairen Coiffeure» – wie die Vereinigung übersetzt heisst – sei sie über einen Kunden gekommen. Der wiederum habe einen Artikel über eine Coiffeuse in St. Gallen gelesen, die bereits Mitglied war: «Ich habe sie dann kontaktiert und bin über sie dazu gekommen», erzählt Granacher, die sich seither in einer Whatsapp-Gruppe mit 43 anderen teilnehmenden Schweizer Coiffeur-Salons austauscht.
Würste aus Stützstrümpfen
«Ich wusste, dass Haare sehr saugfähig sind, aber dass ein Kilo Haare acht Liter Rohöl aufsaugen kann, das wusste ich nicht», gibt die Coiffeuse zu. Die Idee, mit Haarresten ausgelaufenes Öl im Wasser zu binden, sei nicht neu, berichtet Thierry Gras, der Gründer der «Coiffeurs Justes», in einem Fernsehinterview. Bereits 1978 hätten bretonische Fischer bei einer Ölkatastrophe die abgeschnittenen Haare ihrer Frauen in Stützstrümpfe gefüllt und die so entstandenen «Würste» ins Wasser geworfen, um ein Ausbreiten des Ölteppichs zu verhindern. 2015 gründete Gras die «Coiffeurs Justes» im französischen Saint-Zacharie bei Marseille. In einer kleinen Fabrik in der Nähe fertigen Langzeitarbeitslose seither die simplen Ölfilter, die nach dem Auswaschen bis zu zehnmal wiederverwendet werden können. 300 Gramm Haare kommen in jeden der Strümpfe, die aus naheliegenden Krankenhäusern stammen. Bevor diese gefüllt werden, werden sie von Staub und anderen Rückständen gereinigt. Jeder der so entstandenen Schläuche kann zwei Liter Öl aufnehmen. Ihren ersten grossen Einsatz hatten die Ölfilter der «Coiffeurs Justes» nach der Havarie eines Frachters vor Mauritius. Eine weitere Idee der «Coiffeurs Justes»: Auf kleinen Motorbooten könnten sie austretendes Öl im Motorraum aufsaugen: «Ich kann mir vorstellen, so etwas könnte man auch in der Schweiz versuchen», zeigt sich Monique Granacher begeistert.
Pionierarbeit leisten
Die Anmeldung bei «Coiffeurs Justes» über die Homepage sei ganz einfach gewesen, berichtet Granacher. Nur auf den Papiersack habe sie fünf Wochen warten müssen. Dennoch zeigt die interaktive Karte auf der Homepage der Vereinigung, die schon über 4700 Mitglieder in Frankreich, Deutschland, Spanien, Portugal und der Schweiz zählt, hierzulande noch einige blinde Flecken. Während die Westschweiz gut vertreten ist, sind es im Aargau gerade einmal drei Salons. In der Region ist die Coiffure Papillon der einzige. Die Fislisbacherin leistet also gewissermassen Pionierarbeit – auch im Kollegenkreis: «Wenn ich mit Kollegen spreche, sind sie überrascht und begeistert», erzählt Granacher. Das gelte auch für ihre Kundinnen und Kunden: «Alle machen mit, das ist doch super», freut sich die Coiffeuse. Zumal die abgeschnittenen Haare sonst verbrannt würden oder auf dem Kompost landeten. Recycelt werden können in den Filtern übrigens alle Haare, egal ob kurz oder lang, ob gefärbt oder nicht. Nur gewaschen müssten sie sein, berichtet Granacher, damit keine Rückstände mehr daran hafteten.
Umweltbewusstsein geschärft
Seit sie in den Ferien auf den Malediven die stark verschmutzen Strände gesehen habe, habe bei ihr ein Umdenken stattgefunden, erzählt die Coiffeuse. Nachhaltigkeit sei ihr ohnehin wichtig: «Unsere Shampoos und Pflegeprodukte zum Beispiel, sind frei von Mikroplastik». Vor Kurzem hat Monique Granacher ausserdem eine Ausbildung als Naturcoiffeur angefangen. Parallel zum traditionellen Färben kann man sich bei ihr die Haare mit haut- und umweltschonenden pflanzlichen Naturfarben färben lassen.
Dass sie den Sack mit Schnitthaaren nach Frankreich schicken und das Porto selbst berappen muss, stört Granacher nicht: «Ich habe das Gefühl, auch wenn ich mit etwas Kleinem anfange, kann ich einen Beitrag leisten», findet die Coiffeuse und hofft, dass viele Kollegen ihrem Beispiel folgen. Für positive Energie im Salon sorgt die Haarsammel-Aktion obendrein: «Es hebt die Stimmung, wenn man zusammen etwas Nachhaltiges macht. Jede Kundin fühlt sich hinterher gut.»
Michael Lux